Hamburg. Im Saisonendspurt wurde der Torhüter binnen zwei Minuten als Nummer 1 abserviert. Jetzt spricht er erstmals wieder.
Das letzte freie Urlaubswochenende verbringt Daniel Heuer Fernandes mit seiner Freundin in Belgien. Der Torhüter des HSV ist gerade auf dem Weg von der Nordsee nach Brügge, als ihn das Abendblatt auf dem Handy erreicht. „Es ist wichtig, den Kopf freizukriegen und Kraft zu tanken. Es war eine anstrengende Saison“, sagt der 27-Jährige am Telefon.
Fast auf den Tag ein Jahr ist es her, dass Heuer Fernandes als Neuzugang mit dem HSV gleich zum Auftakt der Zweitligasaison gegen seinen ehemaligen Club Darmstadt in die Mission Aufstieg startete. Eine Mission, die so hoffnungsvoll begann und so enttäuschend endete. „Dass wir den Aufstieg nicht geschafft haben, tut immer noch weh“, sagt Heuer Fernandes, als er vier Wochen nach Saisonende erstmals über sein erstes Jahr in Hamburg spricht. „Jetzt ist aber so langsam der Punkt, an dem man sich sagt, dass man es nicht mehr ändern kann. Es ist wichtig, sich auf die nächste Saison zu konzentrieren und persönlich wieder voll anzugreifen.“
Heuer Fernandes: Binnen zwei Minuten abgesetzt
Heuer Fernandes will einen Schlussstrich ziehen unter die Spielzeit, die auch für ihn persönlich mit einer schwierigen Phase endete. Vier Wochen vor Saisonschluss hatte ihn Trainer Dieter Hecking am Tag vor dem Heimspiel gegen Wehen Wiesbaden zur Seite genommen und ihm in einem Zweiminutengespräch mitgeteilt, dass er seinen Stammplatz an Julian Pollersbeck verliere.
Zwei Tage zuvor hatte der HSV beim 2:3 gegen den VfB Stuttgart mit dem Gegentor in der Nachspielzeit die wohl schmerzhafteste Niederlage der Saison erlitten. Und Heuer Fernandes musste als Sündenbock herhalten. Hecking strich ihn sogar aus dem Kader. „Es war eine große Enttäuschung für mich. Es hat natürlich gedauert, sie zu verarbeiten“, sagt der Torhüter nun mit ein paar Wochen Abstand.
Kein böses Wort über Ex-HSV-Trainer Hecking
Böse Worte hörte man von Heuer Fernandes aber bis heute nicht. „Es hat schon damals nichts gebracht zu hadern. Ich musste die Entscheidung des Trainers akzeptieren.“ Selbst die Maßnahme, ihn aus dem Kader zu nehmen, nimmt er Hecking im Nachhinein nicht übel. „Es war nicht schön, aber der Trainer wollte mich da auch ein wenig schützen, weil die Entscheidung erst kurz vor dem Spiel fiel und die Enttäuschung noch groß war“, sagt Heuer Fernandes.
„Ich habe dann schnell für mich entschieden, weiter alles zu geben und im Training zu zeigen, dass es vielleicht die falsche Entscheidung war. Als Torwart musst du immer bereit sein, weil immer etwas passieren kann. Es stand gar nicht zur Debatte, sich hängen zu lassen.“
Thioune und Heuer Fernandes sind alte Bekannte
Diese Professionalität war ein Grund, warum der HSV den Torhüter vor einem Jahr für 1,3 Millionen Euro aus Darmstadt holte. Und die auch ein Grund ist, warum der HSV ihm zur neuen Saison eine neue Perspektive eröffnen will. Während Pollersbeck zum Verkauf steht, um möglicherweise finanzielle Mittel für Transfers frei zu machen, denkt Heuer Fernandes nicht an Abschied. Er will beim HSV neu angreifen. „Für mich ist die Situation klar. Ich habe noch zwei Jahre Vertrag und fühle mich hier im Club wohl. Ich werde nächste Saison wieder und weiter Gas geben.“
Der Trainerwechsel von Hecking zu Daniel Thioune ist für Heuer Fernandes eine Chance. „Ein neues Trainergespann heißt für jeden Einzelnen, dass es bei null anfängt. Jeder hat seine persönlichen Ziele, und die habe ich auch.“ Den neuen Chefcoach kennt er selbst noch aus seiner Zeit beim VfL Osnabrück zwischen 2013 und 2015. Thioune betreute damals die U 17. „Ich kenne ihn zwar nicht als Trainer, aber als Typen. Wir haben uns damals schon ausgetauscht.“
Als "Bochumer Junge" alles "hart erarbeitet"
Während Thioune beim VfL als Trainer bis zu den Profis kletterte, arbeitete sich Heuer Fernandes über die Stationen Paderborn und Darmstadt zum HSV. Immer wieder setzte er sich gegen vermeintlich stärkere Kollegen durch. Dabei half ihm seine Mentalität aus der Arbeiterstadt Bochum, in der er die ersten 21 Jahre seines Lebens verbrachte. „Ich bin Bochumer Junge und musste mir immer alles hart erarbeiten. Ich bin zufrieden, wie es bis hierhin gelaufen ist. Aber ich will noch mehr“, sagt Heuer Fernandes und wiederholt: „Noch mehr. Ich bin in meinem Alter noch nicht am Ende.“
Der Torhüter will sich weiterentwickeln, kennt aber auch seine Schwächen. Die Diskussion um seine für Torhüter nicht gerade optimale Körpergröße von 1,88 Meter begleitet ihn, solange er im Profifußball unterwegs ist. Das muss aber nicht immer ein Problem sein. Sein Torhüterkollege Stefan Ortega von Arminia Bielefeld war der beste Torwart der vergangenen Saison – und der misst nur 1,85 Meter. Im Vergleich zu Pollersbeck (1,95 Meter) hat Heuer Fernandes in dieser Kategorie trotzdem Nachteile.
Heuer Fernandes versteht Rabe nicht immer
Seine Stärken liegen auf der Linie und im Eins-gegen-eins. Und eben auch in der täglichen Trainingsarbeit. Torwarttrainer Kai Rabe schätzt seinen Fleiß – und Heuer Fernandes schätzt seinen Trainer, der auch in der kommenden Saison beim HSV arbeiten wird. „Die Kommunikation ist gut. Ich bin froh, dass er bleibt.“ Auch wenn er den 39 Jahre alten Schwaben mit seinem extremen Dialekt nicht immer versteht. „Es gibt Sätze, bei denen muss man sich die Wörter zusammenreimen“, sagt Heuer Fernandes und lacht.
Der Torwart hat seinen Spaß im Urlaub wiedergefunden. Trotz des intensiven Trainingsplans, den Rabe allen Torhütern mitgegeben hat. Der Torwartcoach gilt als harter Trainer. „Es ist gut, vor der Vorbereitung noch eine Vorbereitung zu machen“, sagt Heuer Fernandes im Spaß. In einer Woche beginnt dann wieder der Ernst. Zunächst stehen Corona-Tests an, dann Leistungstests. Bis dahin wird der Torhüter ein paar Tage bei seiner Familie in Bochum sein. „Es tut mir gut, andere Themen zu haben.“
Ende kommender Woche heißt sein Thema dann aber wieder: nur der HSV.