Fürth. Denkwürdiges Geisterspiel endet mit Hamburger Enttäuschung. Dennoch patzt sich der HSV auf den Aufstiegsplatz. Hecking versöhnlich.

Diese ominöse 94. Minute lag bereits eine Dreiviertelstunde zurück, als Dieter Hecking wieder lächeln konnte. Der HSV-Trainer stand vor dem Sportpark Ronhof und genoss für ein paar Momente die fränkische Sonne. Was denn dieses atemberaubende Last-minute-Tor-Festival für den Aufstiegskampf bedeuten würde, wollte kurz zuvor ein Journalist von Hecking wissen.

"Es bleibt spannend“, hatte der Coach einsilbig geantwortet. Eine Formulierung, die nach dem 2:2 des HSV in Fürth natürlich zu 100 Prozent stimmte. Und die gleichzeitig die Dramatik des Moments ganz und gar nicht würdigte. Daran konnte auch Heckings Fazit nichts mehr ändern: "Es war kein Glanz-und-Gloria-Spieltag für uns, aber auch kein schlechter."

Hecking-Ärger auch wegen anderer Ergebnisse

Manche Geschichten muss man vom Start weg erzählen. Die Geschichte des ersten Geisterspiels des HSV muss man vom Ende erzählen. Denn dieses Ende war so denkwürdig, dass es für den Moment sogar die Rahmenbedingungen (keine Zuschauer) vergessen machte.

"Der späte Ausgleich schmerzt besonders, weil wir drei bis vier richtig gute Chancen hatten, um das dritte Tor zu machen. Das hätten wir machen müssen“, sagte also Hecking. Und: "Sehr ärgerlich, besonders wenn man die Ergebnisse auf den anderen Plätzen sieht."

HSV-Konkurrenten patzen ebenfalls spät

Es darf tatsächlich als Laune des zuletzt so gebeutelten Fußballs bezeichnet werden, dass in der vierten Minute der Nachspielzeit der Reihe nach die Aufstiegsfavoriten Bielefeld, der HSV und Stuttgart strauchelten.

Osnabrücks Marcos Alvarez (r.) beim Jubel über den Ausgleich in Bielefeld.
Osnabrücks Marcos Alvarez (r.) beim Jubel über den Ausgleich in Bielefeld. © dpa

Den Anfang machte ein Alvarez-Tor für Osnabrück, das zum 1:1 vom VfL beim Tabellenführer Arminia sorgte. Dann war da die letzte Fürther Ecke, die schließlich nach einem epochalen Gestocher im Hamburger Fünfmeterraum Stürmer Havard Nielsen zum 2:2-Endstand ins Netz drosch.

Pohjanpalo analysiert im Konjunktiv

Und während ganz Hamburg kurzzeitig in Schockstarre verfiel, waren da ja auch noch die Stuttgarter, deren Schreckmoment in der vierten Minute der Nachspielzeit sage und schreibe vier Minuten lang dauerte. Denn so lange brauchte es, ehe im fernen Wiesbaden nach Videobeweis auf Handelfmeter entschieden wurde, den schließlich Philip Tietz zum 2:1-Siegtreffer des Abstiegskandidaten verwandelte.

Was für ein Finale am ersten Spieltag des Neustarts nach acht Wochen Pause! "Stuttgart hat verloren, auch Bielefeld hatte Probleme am ersten Spieltag. Da hätten wir doch eigentlich drei Punkte holen müssen", analysierte Stürmer Joel Pohjanpalo bei Sky. "Das Spiel ist tot, wenn wir das dritte Tor gemacht hätten."

Die Statistik

Greuther Fürth

Sascha Burchert - Marco Meyerhöfer, Paul Jaeckel , Marco Caligiuri, Maximilian Wittek (57. David Raum) - Paul Seguin, Julian Green (57. Kenny Prince Redondo), Timothy Tillman (75. Hans Nunoo Sarpei) - Branimir Hrgota , Havar Nielsen, Jamie Leweling (87. Marvin Stefaniak). Trainer:Stefan Leitl

HSV

Daniel Heuer Fernandes – Josha Vagnoman (79. Rick van Drongelen), Jordan Beyer, Timo Letschert, Tim Leibold – Adrian Fein – Jeremy Dudziak (64. David Kinsombi), Aaron Hunt (89. Louis Schaub) – Jairo Sampeiro (46. Sonny Kittel), Bakery Jatta – Joel Pohjanpalo (89. Martin Harnik). Trainer: Dieter Hecking

Schiedsrichter

Robert Hartmann (Wangen)

Tore

1:0 Nielsen (35.), 1:1 Pohjanpalo (41.), 1:2 Dudziak (48.), 2:2 Nielsen (90.+4)

Gelbe Karten

Seguin, Leweling  – Jairo, Beyer, Letschert

Torschüsse

14:11

Ecken

6:4

Ballbesitz

49:51 %

Zweikämpfe

78:77

1/9

Ex-HSVer einer von 115 Zuschauern im Stadion

Hätte, hätte, Fehlerkette. Und da sind wir dann doch beim Beginn des ersten Geisterspiels der HSV-Geschichte. Oder besser: beim ersten Gegentor (35.). Das konnten weder der überraschend von Beginn an aufgestellte Jairo Samperio noch die beiden HSV-Abwehrrecken Jordan Beyer und Timo Letschert verhindern.

Fürths Nielsen bedankte sich und zeigte, dass er nicht nur am Ende, sondern auch am Anfang hellwach war. Im Übrigen sehr zur Freude vom Ex-Hamburger Mergim Mavraj, der als einer von 115 Zuschauern auf der Tribüne Platz genommen hatte und jede Szene des Spiels lautstark kommentierte.

Hecking würdigt die HSV-Leidenschaft

Und der HSV? Musste sich offenbar zunächst einmal an die Kulisse ohne Kulisse gewöhnen. Fairerweise muss man festhalten, dass dies mit zunehmender Spieldauer immer besser gelang. Es folgten: Pohjanpalos Ausgleichstor nach herrlicher Vorarbeit von Tim Leibold kurz vor der Pause (41.). Und Jeremy Dudziaks mindestens genauso sehenswerter Führungstreffer kurz nach der Pause (48.).

"Gewöhnungsbedürftig" sei dieses Geisterspiel nach acht Wochen Pause gewesen, sagte Hecking. "Aber man hat die Leidenschaft gesehen, das Spiel unbedingt gewinnen zu wollen."

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Die Leidenschaft war auch ohne Zuschauer da, die Präzision aber fehlte. Der Reihe nach vergaben Pohjanpalo (62.), Bakery Jatta (68.), Hunt, Pohjanpalo und Leibold (alle 72.) sowie schließlich noch einmal Jatta (88.) die Entscheidung. Und so wurde dann eben doch nach dem Schlusspfiff mehr über das Ende (des Spiels) als über den Anfang (dieses Neustarts) gesprochen.

Unterhaltungs-Garantie auch gegen Bielefeld?

Immerhin: Trotz des Patzers ganz zum Schluss schob sich der HSV in der Tabelle doch noch am VfB Stuttgart vorbei auf Platz zwei. Und die versöhnliche Quintessenz dieses Spiels: Es gibt tatsächlich doch noch Fußballthemen, die für den Moment all die Thematiken rund um Geisterspiele, Corona und Testungen in den Schatten stellen. "Auch ohne Zuschauer war es ein richtig gutes Fußballspiel von zwei wirklich guten Mannschaften", sagte Hecking.

Und das Beste: Am kommenden Sonntag geht es bereits weiter. Dann kommt Spitzenreiter Bielefeld in den Volkspark. 94 Minuten Unterhaltung sollten da garantiert sein. Mindestens.