Hamburg/Minsk. Weißrussland ist das letzte Land in Europa, in dem noch immer vor Zuschauern Fußball gespielt wird. Mittendrin: Ein Ex-HSV-Profi.
Spätestens am Sonntagvormittag ist sich Vyacheslav Hleb sicher: „Das war kein normales Fußballspiel“, sagt der 37-Jährige am Tag, nachdem er mit Arsenal Dzerzhinsk den Saisonauftakt der weißrussischen Zweiten Liga gegen Oshmyany mit 0:3 verloren hatte. Sogar knapp 300 Zuschauer waren am Sonnabend dabei, als der frühere HSV-Profi und seine Kollegen den Start in eine der letzten aktiven Ligen weltweit verpatzten.
Dass in dem 25.000-Einwohner-Städtchen 40 Kilometer westlich der weißrussischen Hauptstadt Minsk tatsächlich „ganz normal“ gespielt wurde, während auf dem Rest des Globus der Ball ruht, findet Hleb allerdings weniger ungewöhnlich. Viel mehr ist sich der Fußballer sicher, dass sein Spiel verschoben wurde. „Wir waren der haushohe Favorit, haben aber zwei rote Karten kassiert. Und zwei Elfmeter wurden gegen uns gepfiffen“, sagt Hleb. „Nichts davon war berechtigt.“
Ob es berechtigt oder angemessen ist, in Zeiten von Corona Fußball zu spielen, ist eine andere Frage. Eine Frage, die in Weißrussland im Gegensatz zum Rest der Welt nicht wirklich gestellt wird. „Wir haben hier eigentlich alles unter Kontrolle“, sagt Hleb im Telefongespräch mit dem Abendblatt.
Fußball in Corona-Zeiten: Ex-HSV-Profi freut’s
Das sieht Sergej Kowaltschuk ähnlich. „Wir sind der Meinung, dass man nicht in Panik verfallen und damit den Sport aufgeben sollte“, sagte Weißrusslands Sportminister erst kürzlich in einem ESPN-Interview. „Ob wir richtig entschieden haben, wird sich zeigen.“ Bis Sonntag um 10 Uhr gab es jedenfalls erst 4779 bestätigte Infektionen und 45 offiziell gemeldete Coronatote. Aber: Die Zahl der Infektionen verdoppelt sich derzeit alle 6,5 Tage. Zum Vergleich: In Deutschland verdoppelt sich diese Zahl alle 34,5 Tage.
„Ehrlich gesagt bin ich froh, dass wir hier noch Fußball spielen dürfen“, sagt Hleb, der die Entscheidung keinesfalls als unvorsichtig bezeichnen würde. „In Deutschland kommen Tausende zum Fußball. Hier sind es ja nur Hunderte“, sagt er. „Und 80 bis 90 Prozent tragen zudem noch eine Maske.“
Weißrussland reagiert spät auf Corona
Nachdem das autokratisch geführte Land zunächst weltweit dafür kritisiert wurde, zu lasch im Umgang mit der Corona-Katastrophe zu sein, ordnete Präsident Alexander Lukaschenko zuletzt doch eine ganze Reihe von Maßnahmen an. Während der 65-Jährige zu Beginn der Pandemie noch dazu riet, das Virus „mit Wodka, Saunagängen und Traktorfahren“ zu bekämpfen, werden nun systematisch ganze Straßenzüge desinfiziert.
„Beim Fußball wurde auch auf Hygienevorschriften geachtet“, sagt Hleb, der betont, dass auch auf das traditionelle „Shake Hands“ verzichtet wurde. Was er nicht sagt: Dass möglicherweise ein zu großer Sicherheitsabstand während des Spiels zur 0:3-Klatsche führte.
Hlebs Bruder ist ein Weltstar
16 Jahre ist es mittlerweile her, dass der seinerzeit 20 Jahre alte Vyacheslav Hleb vom damaligen HSV-Chefscout Michael Schröder aus dem Nachwuchs des VfB Stuttgart nach Hamburg gelotst wurde. „Mit Michael Schröder habe ich noch ab und an Kontakt“, sagt Hleb. „Meinen Durchbruch habe ich in Hamburg zwar nicht geschafft, aber die Zeit beim HSV werde ich nie vergessen.“
Den meisten Fußballfans in Deutschland kennen Hleb aber in erster Linie deshalb, weil sie vor allem seinen ein Jahr älteren Bruder Aleksandr kannten. Weißrusslands sechsfacher Fußballer des Jahres spielte unter anderem beim VfB Stuttgart, Arsenal London und beim FC Barcelona.
„Aleksandr konnte leider nicht bei unserem Auftaktspiel zuschauen. Er verlässt derzeit sein Haus in Minsk nicht“, sagt Vyacheslav, der sich aber weniger Sorgen um seinen Bruder als viel mehr um seine Eltern macht. „Ich bin sicherlich kein ängstlicher Typ, aber für ältere Menschen kann das Virus natürlich zum Problem werden.“
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Hilft der Fußball in der Coronakrise?
Die Lösung dieses Problems liegt laut Vyacheslav Hleb im weißrussischen Gesundheitssystem. „Deutschland hat ja auch ein gutes Gesundheitssystem. Unseres ist aber gut und kostenlos.“ Doch auch wenn es paradox klingt: Gut und kostenlos ist das System laut Experten eigentlich nur für die, die auch genügend Geld haben. Denn die Grundversorgung ist zwar wirklich gratis, eine spezielle Behandlung kann für einfache Weißrussen allerdings unerschwinglich werden.
Als zusätzlicher Muntermacher soll in diesen Tagen deshalb vor allem der Fußball dienen. „Wir haben uns gedacht“, sagt Sportminister Kowaltschuk, „dass es als zusätzliches Mittel dienen könnte, die Menschen von Depressionen zu befreien und Emotionen zu entflammen.“
Ob das mit den Depressionen nach dem bitteren 0:3 wirklich so gut geklappt hat, bleibt abzuwarten. Emotionen hat die Pleite aber definitiv entflammt. „Eines kann ich versprechen“, sagt Hleb zum Ende des Gesprächs. „Am kommenden Wochenende kann kommen, was wolle.“ Oder wer wolle. „Da werden wir gewinnen. Ganz sicher.“