Hamburg. Warum Geisterspiele wie im Fußball keine Option für die Handballer sind. Die Hintergründe einer Entscheidung mit Tragweite.
In Zeiten der Coronakrise müssen harte Entscheidungen getroffen werden. So auch im Handball, wo alles auf einen schnellen Saisonabbruch hindeutet. Neuer deutscher Meister wäre dann der THW Kiel. Selbst der zweitplatzierte Titelverteidiger SG Flensburg-Handewitt plädiert für ein vorzeitiges Ende der Spielzeit und würde „keinen Aufstand machen“, wenn der Kieler Erzrivale zum Titelträger ernannt würde.
„Natürlich hätte im Endspurt noch Vieles passieren können, aber wir sind zum jetzigen Zeitpunkt unumstößlich Zweiter. Das ist Fakt“, sagte SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke am Sonntag: „Wir machen keinen Aufstand und werden nicht großartig lamentieren oder etwas infrage stellen. Wir sind superstolz auf unsere Serie und wären als Zweiter erneut direkt für die Champions League qualifiziert.“
Warum Geisterspiele wie im Fußball keine Lösung sind
Ob in Kiel oder bei den Rhein-Neckar Löwen, ob in Balingen oder Leipzig: Wie Schmäschke denken viele der Top-Funktionäre im Handball. Die notwendige Dreiviertelmehrheit für ein vorzeitiges Saisonende gilt bei der laufenden Abstimmung unter den 36 Erst- und Zweitligisten als wahrscheinlich. Geisterspiele, wie zuletzt von Bob Hanning ins Spiel gebracht, stoßen auf wenig Gegenliebe.
Denn anders als in der Fußball-Bundesliga, wo der Kartenverkauf nur 13 Prozent des Gesamt-Umsatzes ausmacht, nimmt das Ticketing im Handball einen Großteil der Umsatzerlöse ein (rund 26 Prozent). Die TV-Vermarktung (37 Prozent im Fußball) ist für die Handball-Liga (HBL) mit rund zwei Prozent hingegen zu vernachlässigen, sie wird sogar offiziell nur unter Punkt "Sonstiges" aufgeführt. Rund 200.000 Euro kassiert jeder deutsche Handball-Erstligist in dieser Saison an TV-Geld. Die Zuschauereinnahmen sind somit existenziell – selbst für Branchenprimus THK Kiel.
Bei einem vorzeitigen Saisonabbruch würde die HBL einen Verlust in Höhe von 25 Millionen Euro erwirtschaften. Ursprünglich strebte die Liga einen Umsatz von 145 Millionen Euro an – 72 Prozent dieser Summe kommt aus dem Bereich Sponsoring.
Wie der Handball die Tabelle werten will
Spätestens am Dienstag soll das Votum der Klubs vorliegen, im Falle eines Abbruchs wird das Präsidium der Handball Bundesliga (HBL) im zweiten Schritt laut HBL-Boss Uwe Schwenker „sehr zeitnah“ über die Wertung informieren.
Als Favorit gilt die Quotientenregelung (Punkte geteilt durch Spiele), die vom Deutschen Handballbund (DHB) empfohlen wird. Eine Annullierung, also eine Saison ohne Meister wie im Eishockey oder Volleyball, kommt für die meisten nicht infrage. „Ein Ausradieren der Saison ist aus mehreren Gründen kritisch zu betrachten“, sagte Schmäschke.
Und so könnte Kiel, das in der seit Anfang März eingefrorenen Tabelle vier Minuspunkte vor den Flensburgern liegt, zum ersten Corona-Meister im deutschen Sport gekürt werden. Für den THW wäre es nach vier erfolglosen Anläufen der erste Meistertitel seit 2015.
Kiel als Corona-Meister? Ex-HSV-Profi gratuliert
Nationaltorhüter und Ex-HSV-Handballer Johannes Bitter vom TVB Stuttgart hielte das für „fair. Betrachtet man die ganze Saison, ist Kiel die beste Mannschaft gewesen und wäre absolut verdient Meister“, sagte der 2007-Weltmeister. Die Frage der Wertung sei allerdings „eine ganz schwierige Entscheidung, die sehr gut überlegt sein muss. Da werden sicherlich noch einige Köpfe rauchen.“
Bei der HBL ist man beim Thema der Wertung noch zurückhaltend. Während Liga-Präsident Schwenker davon ausgeht, „dass es eine breite Mehrheit dafür gibt, die Saison zum jetzigen Zeitpunkt abzubrechen“, hält er es für „verfrüht“, Kiel jetzt schon zum Meister zu machen.
Im Interview mit dem NDR-"Sportclub" (Sonntagabend, 22.30 Uhr) ließ Schwenker aber auch durchblicken, dass man sich mit dem Thema längst befasst habe. Der THW habe eine „sehr gute Saison gespielt“, Titel Nummer 21 wäre für die Kieler als klarer Tabellenführer „möglicherweise gerechtfertigt“. Keiner Diskussion bedarf es am unteren Tabellenende: Schwenker bestätigte erneut, dass es im Falle eines Saisonabbruchs keine Absteiger geben und die kommende Spielzeit um die beiden Aufsteiger aus der Zweiten Liga aufgestockt und mit 20 Teams starten würde.