Hamburg/Istanbul. Weltverband Fifa bemüht sich um neue Regelung, die allerdings nationalem Recht widerspricht. Berkay Özcan hofft auf Lösung.

Am Karfreitag hielt es Berkay Öczan nicht mehr zu Hause aus. „Ich musste einfach mal raus, bin dann mit dem Auto ein wenig rumgefahren. Aber auf den Straßen war extrem wenig los“, sagt der Fußballer, der in dieser Saison vom HSV an den Istanbul-Club Basaksehir FK verliehen ist. Die krassen Bilder, von prügelnden Menschen, die Bäckereien stürmen, hatte der Fußballer dann am Abend aus seiner sicheren Wohnung im Fernsehen verfolgt. „Um 22 Uhr hieß es plötzlich, dass es in Istanbul bis zum Ostersonntag um Mitternacht eine Ausgehsperre gibt“, sagt Özcan. „Die Leute waren natürlich komplett verunsichert.“

Özcan ist einer von fünf verliehenen HSV-Profis

Istanbul ist ein Corona-Hotspot. Bis Ostersonntag ist die Zahl der offiziell Infizierten auf 56.956 gestiegen, innerhalb von nur 24 Stunden sind 97 Menschen an Covid-19 gestorben. Innenminister Süleman Soylu (50), der am Karfreitag kurzfristig die Ausgangsperre verhängte, die zu chaotischen Zuständen führte, hatte daraufhin sogar seinen Rücktritt angeboten. Staatspräsident Recep Erdogan (66) wollte diesen allerdings nicht annehmen. Und während sich die Lage im öffentlichen Leben von Istanbul am Ostermontag wieder entspannte, bleibt Özcans persönliche Perspektive unsicher. „Mein Leihvertrag endet ja eigentlich am 30. Juni. Ich habe meinen Berater auch schon gefragt, was eigentlich passiert, wenn die Saison im Juli oder August noch weitergeht.“

Berkay Özcan ist nicht der einzige Leihspieler, der vor einer ungewissen Zukunft steht. Neben dem gebürtigen Karlsruher hat der HSV derzeit vier weitere Spieler verliehen (Manuel Wintzheimer/Bochum, Jonas David/Würzburg, David Bates/Sheffield, Aaron Opoku/Rostock), sechs Profis (Adrian Fein/Bayern, Martin Harnik/Bremen, Louis Schaub/Köln, Jordan Beyer/Mönchengladbach, Timo Letschert/Sassuolo und Joel Pohjanpalo/Leverkusen) sind ausgeliehen. Bei keinem von ihnen ist die Zukunft über den 30. Juni hinaus vorhersehbar. Und während in normalen Jahren spätestens im April die Perspektive der Leihspieler geklärt wird, ist das in diesem Jahr coronabedingt unmöglich.

Zweitligaclubs haben 56 Spieler geliehen

Die gute Nachricht aus Hamburger Sicht: Der HSV ist natürlich mit dieser Problematik nicht alleine. Der FC St. Pauli hat beispielsweise sogar fünf Leihspieler bis zum Sommer unter Vertrag. Insgesamt haben die Clubs aus der Zweiten Liga 56 Spieler geliehen und 53 Profis verliehen. Und sie alle stellen sich vor der gleichen Frage: Wie geht es in elf Wochen weiter, wenn der Leihvertrag fristgerecht endet, die Saison aber möglicherweise noch nicht einmal zu Ende gespielt ist?

Eine Frage, die nun sogar die Fifa beschäftigt. So gibt es mittlerweile Bestrebungen, auslaufende Verträge an den Spielplan anzupassen. Erst nach dem „effektiven Ende der Saison“, soll das Sommerfenster des Transfermarktes wieder geöffnet werden. Theoretisch eine gute Idee, die nur einen kleinen Schönheitsfehler hat: die Praxis. Gregor Reiter, der Geschäftsführer des Verbandes für Spielerberater, schimpfte bereits, dass die Fifa-Empfehlung „purer Aktionismus“ sei. „Die Laufzeit von Verträgen werde „nicht von einem Weltverband entschieden, sondern von Vertragsparteien.“

Ein Einwand, den auch der renommierte Arbeitsrechtler Horst Kletke im Gespräch mit dem Abendblatt vor knapp zwei Wochen so teilte: „Verträge sind so zu erfüllen, wie sie geschlossen wurden. Die DFL könnte also nicht per Verbandsrecht die Spielerverträge um einen oder zwei Monate kollektiv verlängern“, sagte der Anwalt, der allerdings auf individuelle Lösungen setzte: „Natürlich könnten individuelle Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Club und seinen Spielern, Trainern und Mitarbeitern getroffen werden. So könnten Verträge, die eigentlich zum 30. Juni auslaufen, um ein, zwei oder drei Monate verlängert werden.“

Özcan würde Saison gerne zu Ende spielen

Genau darauf setzt jetzt auch Özcan. „Mal abgesehen von Corona fühle ich mich sehr wohl in Istanbul. Sollten sich die Vereine darauf einigen, dass man die Verträge anpasst, dann würde ich sehr gerne hier mindestens auch die Saison zu Ende spielen“, sagt der 22-Jährige. Der Mittelfeldmann hatte zuletzt nur Kurzeinsätze, ist aber dennoch nicht unzufrieden mit der Ausleihe. „Natürlich würde ich mir mehr Einsätze von Anfang an wünschen. Aber der Trainer spricht viel mit mir – und sagt mir, dass er mich gerne langsam aufbauen will.“

Vom HSV habe er dagegen nicht allzu viel gehört. „An meinem Geburtstag habe ich eine SMS von Sportdirektor Michael Mutzel bekommen“, sagt Özcan, der aber annimmt, dass die Verantwortlichen des HSV mit seinem Berater im Kontakt stehen.

Opoku und David sollen Durchbruch beim HSV schaffen

Tatsächlich verfolgt man beim HSV ganz genau die Situation der verliehenen Spieler. Und während Opoku und David im Sommer einen zweiten Versuch beim HSV wagen sollen, ist man mit den Entwicklungen von Özcan, Wintzheimer und und Bates nur bedingt zufrieden. Ein endgültiges Urteil will man aber aufgrund der besonderen Situation noch nicht treffen – auch nicht bei den ausgeliehenen Spielern.

Klar ist nur: Sollte dem HSV doch noch der Aufstieg gelingen, muss Harnik für eine Million Euro von Werder gekauft werden. Bei Schaub gibt es eine Kaufoption (2,6 Millionen Euro), die allerdings durch Corona stark sinken könnte. Fein dürfte vorerst zu den Bayern im Sommer zurückkehren und bei Pohjanpalo ist die Situation noch völlig offen.

Berkay Özcan bleibt trotz der ungewissen Perspektive weiter gelassen. Er sorge sich auch weniger um seinen Vertrag als viel mehr um seine Eltern in Deutschland. „Meine Mutter ruft fast jeden Tag bei mir an. Sie hat natürlich Angst um mich, obwohl eigentlich ich mir Sorgen um meine Eltern machen muss. Mein Vater ist zuckerkrank und damit in der Risikogruppe.“ Özcans Fazit: „Fußball ist natürlich wichtig. Am Allerwichtigsten ist aber, dass wir alle gesund aus dieser Coronakrise rauskommen.“​