Hamburg. Die Zweitligaclubs steigen unter Ausschluss der Fans wieder ins Training ein – ein umstrittener Vorgang.
Wahrscheinlich könnten die Voraussetzungen für den Trainingsneustart des HSV an diesem Montag kaum besser sein: Blauer Himmel, Sonne satt und 22 Grad Celsius. Die Wetterfrösche haben für Hamburg den bislang wärmsten Tag des Jahres vorausgesagt. Am Dienstag, wenn auch der FC St. Pauli wieder auf dem Platz trainieren will, werden immerhin 18 Grad Celsius prognostiziert. Der einzige Haken: In Zeiten von Corona geht es leider weniger um die Prognosen der Meteorologen als viel mehr um die Voraussagen der Virologen.
Einer dieser Virologen ist Alexander Kekule. Der mittlerweile bundesweit bekannte Direktor für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Halle/Saale wurde am späten Sonnabend im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF zugeschaltet und sollte seine Sicht der Dinge zur Sonderrolle des Fußballs und der geplanten Wiederaufnahme der Saison im Mai kundtun.
„Alles ist möglich“, sagte Kekule. Dunkler Anzug, gestreifte Krawatte. Man müsse berücksichtigen, dass die Spieler nicht zur Risikogruppe gehören, so der 61-Jährige. „Rein virologisch wäre das Problem deshalb lösbar. Aber nur, wenn man eine Art spezielle Blase für die Spieler schafft.“ Seine Forderung: Die Fußballer müssten „drakonische Maßnahmen“ über sich ergehen lassen. „Man müsste für sie den Lockdown verlängern. Sie müssten privat unter besonderen Sicherheitsbedingungen leben.“
Zweikämpfe beim HSV-Training verboten
Wie diese Sicherheitsbedingungen im Trainingsalltag aussehen könnten, wird man beim HSV an diesem Montag und beim FC St. Pauli am Dienstag beobachten können. Der HSV wird ab sofort täglich in drei Gruppen mit je sieben Profis trainieren. In den Videokonferenzen am Sonnabend wurden Spieler und Mitarbeiter zudem noch einmal darauf eingeschworen, dass sich diese Teams auch auf keinen Fall begegnen dürfen.
Sogar Zweikämpfe sind verboten. Der Sicherheitsabstand von 1,5 Metern gilt auch im Training. Jede Kleingruppe erhält einen Physio, einen Trainer, eine eigene Kabine. Trainiert wird zunächst ausschließlich im hermetisch abgeriegelten Volksparkstadion.
„Wir halten uns sehr streng die Empfehlungen, die von der DFL vorgegeben werden“, erklärt Sportvorstand Jonas Boldt im Gespräch mit dem Abendblatt. „Natürlich sind wir froh, dass wir diesem DFL-Plan mit Unterstützung der Behörden überhaupt folgen können.“
St. Pauli will Behördenvorgabe nun erfüllen
Das Gleiche gilt auch für den FC St. Pauli, der zum Unmut der Behörden bereits in der vergangenen Woche mit dem Kleingruppen-Training gestartet war und nun am Dienstag einen Neustart vom Neustart proklamiert. Diesmal mit Genehmigung der Behörden. Die Kiezkicker setzen auf zwei Sechser- und drei Fünfergruppen. Drei Teams trainieren im Leistungszentrum an der Kollau, zwei im Millerntor-Stadion. Trainingsbeginn ist um 9, 11 und 13 Uhr.
„So ist sichergestellt, dass die neue Gruppe erst zum Training kommt, wenn die vorherige das Gelände bereits verlassen hat“, sagt Sportchef Andreas Bornemann. Jede Kleingruppe hat eine oder sogar zwei Kabinen für sich und ein eigenes Behandlungszimmer. Die getragene Trainingsbekleidung wird getrennt gewaschen.
„Die Trainingsinhalte werden so gestaltet, dass die vorgeschriebenen Abstände eingehalten werden. Dennoch erlaubt es die Gruppengröße, dass wir sinnvoll arbeiten können. Das wäre bei noch kleineren Gruppen schwierig“, sagte Bornemann dem Abendblatt.
Corona: 13 Proficlubs droht die Insolvenz
Trotzdem könnte die Rückkehr in den Trainingsbetrieb für St. Pauli und den HSV ein kleiner Schritt in Richtung Normalität werden. Offenbar ist der Schritt aber so groß, dass manch einem die Sonderrolle des Fußballs böse aufstößt. Auch Kekule stellte die Frage, wie man diese Spezialbehandlung der Gesellschaft erkläre, wenn es ganz vielen anderen Leuten draußen schlecht gehe.
Zudem wies der Virologe darauf hin, dass für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs für Spieler und deren Umfeld rund 20.000 Coronatests bis zum Saisonende nötig seien. Dies sei kaum vertretbar, wenn man bedenke, dass ganz Deutschland derzeit nur 100.000 Tests am Tag schaffen würde. Sein indirekter Vorschlag an die DFL: Der Profifußball möge ein finanzielles Zeichen setzen, „in dem sie zehnmal so viele Tests ermöglichen wie sie selber brauchen.“
Was Kekule und andere Experten womöglich nicht wissen: Gerade finanziell sieht es für die Milliardenbranche Fußball derzeit rabenschwarz aus. Der „Kicker“ berichtete jetzt, dass 13 der 36 Proficlubs noch in dieser Saison die Insolvenz droht. Besonders dramatisch soll es dabei in der Zweiten Liga aussehen. Dort wären sieben Clubs schon im Mai zahlungsunfähig, wenn bis dahin der Spielbetrieb nicht wieder aufgenommen werden kann. Die gute Nachricht aus Hamburger Sicht: St. Pauli und der HSV gehören nicht zu diesen Clubs.
Masterplan? HSV pflichtet der DFL bei
Während die Horrornachrichten über die Finanzlage der Clubs von der DFL unkommentiert blieben, dementierten die DFL-Chefs einen anderen „Kicker“-Bericht. Demnach sei es falsch, dass sich die 36 Proficlubs auf einen Wiederbeginn der Saison am ersten oder zweiten Mai-Wochenende geeinigt hätten. „In der DFL-Mitgliederversammlung am vergangenen Dienstag wurden zwei denkbare Szenarien vorgestellt, die zwangsläufig erheblichen Unwägbarkeiten unterliegen“, teilte die DFL eilig mit und fügte hinzu, keinerlei Sonderrolle in einer Zeit, in der für die Gesellschaft die Eindämmung des Virus oberste Priorität habe, einnehmen zu wollen.
„Es gibt kein Drehbuch für so ein Szenario. Das wird ein Lernprozess von Tag zu Tag sein – wie in vielen anderen Dingen in dieser Corona-Zeit“, bekräftigt HSV-Vorstand Boldt. „Ich habe in dieser Zeit niemanden erlebt, dessen Prognosen über eine Woche hinaus Haltbarkeit hatten.“
Bleibt nur zu hoffen, dass sich der HSV zumindest auf die Wetterprognose für die kommenden Tage verlassen kann.