Hamburg. Rauswurf des Vorstandschefs Bernd Hoffmann spaltet die Anhänger. Rolle zweier Führungskräfte wird besonders kritisch gesehen.
Eine Gratulation an einen HSV-Jubilar, dazu ein bisschen Werbung für die Bundesliga-Home-Challenge, bei der Fußballprofis die Leere auf dem Platz an der Spielkonsole füllen sollen: Hätte es den Sonnabend nicht gegeben, die HSV-Tweets ließen vermuten, es könnte sich um einen schon fast ganz normalen Corona-Sonntag handeln. Aber was ist beim HSV schon normal, selbst in diesen Zeiten?
Am Sonnabend hat der Aufsichtsrat den Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann freigestellt. Max-Arnold Köttgen und Thomas Schulz, die als Einzige dagegengestimmt hatten, waren daraufhin zurückgetreten. Vereinspräsident Marcell Jansen hatte zudem Köttgens Amt als Vorsitzender des Kontrollgremiums übernommen. Ein Knall mitten hinein in die gespenstische Ruhe vor dem erwarteten Pandemie-Sturm.
In einer Sache sind sich die HSV-Fans nach dem Umsturz in der Führungsetage einig: Ihr Verein hat es selbst in der mutmaßlich größten Krise der Nachkriegszeit geschafft, negativ von sich reden zu machen. Wenigstens darauf könne man sich noch verlassen – so oder so ähnlich wird in den sozialen Netzwerken über das Beben am Volkspark gespottet.
Weitgehend Einigkeit besteht allerdings auch darüber, dass der Aufsichtsrat zum Handeln gezwungen war, nachdem die Vorstände Jonas Boldt (Sport) und Frank Wettstein (Finanzen) eine weitere Zusammenarbeit mit ihrem Vorgesetzten praktisch ausgeschlossen hatten. "Wenn’s in der Konstellation nicht weitergeht, geht's nicht weiter, dann lieber konsequent handeln. Jetzt hat man doch die Zeit", meint Twitter-User "Alan".
"Claus Günter" pflichtet bei: "Sie (die Aufsichtsräte, die Red.) haben das Chaos mit einer klaren Entscheidung beendet." Auch "marius_mx" kann bei Instagram nicht verstehen, "warum sich teilweise so darüber aufgeregt wird. Es gab Differenzen im Vorstand, die nicht ausgeräumt werden konnten, und jetzt wurden daraus die Konsequenzen gezogen, und man trennt sich fair voneinander."
Hoffmanns Rauswurf spaltet die HSV-Fans
Bliebe also die Frage, ob es mit Hoffmann den Richtigen getroffen hat. Sie spaltet die Anhängerschaft. "Hoffmann hat … uns die Hymne geklaut und Lotto King Karl", klagt Facebook-User "Uwe Paul HI" und nennt die Entlassung die "beste Entscheidung der letzten Jahre". Viele sehen es als erwiesen an, dass Hoffmann "kein Teamplayer" sei. Ihm wurde schon der erste Abgang des damaligen (und teilweise recht erfolgreichen) Sportchefs Dietmar Beiersdorfer im Jahr 2009 angelastet.
In seiner zweiten Amtszeit hatte Hoffmann zu Saisonbeginn Boldt als neuen Sportvorstand installiert. "Und dann redet er ihm rein?", wundert sich Gunnar Christiansen bei Facebook. "Von Ehrgeiz, Arroganz und Überheblichkeit zerfressen. Er hat nichts, gar nichts dazugelernt." Instagram-User "elnido80" sieht es ähnlich: "Der HSV steht im Vordergrund. So Machtleute können wir da nicht gebrauchen, es geht nicht um Einzelinteressen, sondern um den Verein. "
Facebook-User "Serdar Ersahin" dagegen bedauert die Entscheidung des Aufsichtsrats. Hoffmann sei beim HSV "der erfolgreichste Präsident der letzten 25 Jahre. Auch in seiner letzten Amtszeit war der Erfolg größer als bei seinen Nachfolgern."
Nimmt Kühnes Einfluss auf den HSV wieder zu?
Nicht wenige glauben, dass der Einfluss von Klaus-Michael Kühne auf den HSV jetzt wieder deutlich zunehmen könnte. Hoffmann hatte versucht, die finanzielle Abhängigkeit des Clubs von dem Investor zu reduzieren.
Jetzt sitzen an den wichtigsten Schaltstellen des Clubs zwei Kühne-Fürsprecher: Finanzvorstand Wettstein, dessen Rolle wichtiger werden dürfte, zumal solange das Amt des Vorstandsvorsitzenden vakant bleibt, und der Präsident und neue Aufsichtsratsvorsitzende Jansen. Letzteren hatte sich Kühne vergangene Woche in einem "Zeit"-Interview ausdrücklich auf einem AG-Führungsposten gewünscht.
Der HSV dürfe sich jetzt ganz offiziell "Kühnes Sport-Verein" nennen, merkt HSV-Buchautor Daniel Jovanov ("Der Abstieg") bei Twitter an.
Besonders kritisch wird Wettsteins Rolle gesehen. Seit November 2014 im Amt, hat der Finanzchef noch jede Entlassungswelle überlebt, obwohl die Bilanz der HSV Fußball AG – und damit auch seine – auch im abgelaufenen Geschäftsjahr desaströs ausgefallen war. Auch dass Wettstein noch im Oktober seinen Vertrag verlängert hat, um sich nur fünf Monate später hoffnungslos mit seinem Vorgesetzten zu überwerfen, wird kritisch gesehen.
Zum neuen starken Mann beim HSV aber dürfte Jansen aufsteigen. Der frühere Nationalspieler könnte versuchen, die Mitglieder von einem weiteren Anteilsverkauf an Kühne zu überzeugen, mutmaßen viele Fans. Bislang hält der Logistikunternehmer 20,6 Prozent an der Fußball AG. Erst im Februar hatte Kühne indirekt weiteres Geld für Transfers davon abhängig gemacht.
Am morgigen Montag will sich Jansen auf einer "virtuellen Pressekonferenz" vor den Medien äußern. Ob mit diesem Tag wieder die Normalität beim HSV einkehrt – oder das, was in diesem Verein eben normal ist –, bleibt abzuwarten.