Hamburg. Weil er zu Vorstandsboss Hoffmann eine ganz besondere Beziehung pflegt, steckt der Aufsichtsratschef im Gewissenskonflikt.
Max-Arnold Köttgens Büro am Ballindamm hat gleich zwei besondere Hingucker zu bieten. Zum einen den spektakulären Ausblick auf die Binnenalster und den Jungfernstieg durch das Panoramafenster. Und zum anderen ein gemaltes Porträt an der Wand.
Eine befreundete Künstlerin hat den jungen Köttgen gleich doppelt in Szene gesetzt: Farbenfroh als Boxer beim entscheidenden Knockout-Schlag – und als enttäuschter HSV-Fan, der seinen Wein aus seinem Glas verschüttet und mit dem Kopf auf der Tischkante wieder einmal mit dem Verein seines Herzens hadert.
Jenseits der Leinwand könnten die bunt gemalten Szenen aus Köttgens Leben aktuell kaum besser passen. Einerseits bringt ihn dieser notorisch launische HSV wieder einmal zum Verzweifeln. Andererseits sind in diesen Tagen auch die Kämpferqualitäten des 62-Jährigen gefragt, der trotz seines Alters noch immer sehr gerne im Ring steht.
Vorstandsstreit beim HSV – wie entscheidet Köttgen?
An diesem Sonnabend ab 11 Uhr wartet im Volkspark der nächste Schlagabtausch im andauernden HSV-Führungskampf. Kontrollchef Köttgen und der Rest des siebenköpfigen Aufsichtsrates treffen sich erneut, um nach einer Woche der zahlreichen Gespräche zu einer Entscheidung zu kommen. Klar ist vorerst nur eines: Ein „Weiter so“ mit dem zerstrittenen Vorstandstrio Bernd Hoffmann (Vorsitzender), Jonas Boldt (Sport) und Frank Wettstein (Finanzen) kann und wird es kaum geben.
Seit dem 6. Februar 2018 ist Köttgen Mitglied im Aufsichtsrat der HSV Fußball AG, seit dem 27. Mai 2018 ist der erfolgreiche Vorstand des Recyclingunternehmens Remondis der Vorsitzende. Doch noch nie waren die Augen so sehr auf den gebürtigen Westfalen gerichtet wie an diesem Wochenende. Im Boxen könnte man sagen: Köttgen, der erst vor Kurzem eine lebensgefährliche Blinddarmentzündung überstand, ist angezählt. Das Handtuch hat der Kämpfer aber noch nicht geschmissen.
Köttgen pflegt enges Verhältnis zu Hoffmann
Tatsächlich scheint der studierte Jurist derzeit in die Ringecke getrieben. Denn einerseits ist er qua Amt der Kontrolle des Vorstandes verpflichtet – und damit gezwungen, notfalls auch harte Entscheidungen zu fällen. Andererseits verbindet Köttgen seit dem ersten Tag seiner Aufsichtsratstätigkeit ein ganz besonderes Verhältnis zu HSV-Chef Bernd Hoffmann, um dessen Zukunft es nun aber am Sonnabend geht.
„Bernd Hoffmann hat den HSV schon erfolgreich in Europas Top 20 geführt. Ich bin sehr froh, dass er unseren Club auch in den schwierigen Zeiten der Zweiten Liga wieder in die Spur gebracht hat“, sagte Köttgen noch vor gut vier Monaten in einem Abendblatt-Interview und antwortete auf die Frage, ob Hoffmann sich sogar Hoffnungen auf eine baldige Vertragsverlängerung machen dürfe: „Es wäre wünschenswert, wenn mit dem aktuellen Vorstandsteam die Kontinuität zu schaffen wäre, die wir beim HSV in den letzten Jahren vermisst haben.“
Hoffmann und Köttgen feuerten Bruchhagen
Das Problem an dem Satz: Im Gegensatz zu Köttgen, dem Kontrollchef, und Hoffmann, dem Vorstandschef, die ungewöhnlich eng Hand in Hand arbeiten, waren die drei Vorstände untereinander schon damals kein Team. Während Hoffmann und Köttgen gerne auch Auswärtsspiele des HSV gemeinsam von der Couch aus verfolgten, klagten Boldt und Wettstein intern schon im Winter über die schwierige Zusammenarbeit mit Strippenzieher Hoffmann.
Heribert Bruchhagen war es, der das Team Hoffmann/Köttgen als einer der Ersten kennenlernen durfte. Es war der 8. März 2018. An jenem Dienstag löste Hoffmann Michael Krall als Aufsichtsratsvorsitzenden ab und entließ als erste Amtshandlung gemeinsam mit seinem neuen Stellvertreter Köttgen Bruchhagen.
„Ich habe Herrn Köttgen zum ersten Mal an dem Tag gesehen, als er mit Herr Hoffmann in meinem Büro stand und mich freistellte“, erinnert sich Bruchhagen im täglichen Abendblatt-Podcast „HSV – wir reden weiter“. „Als ich entlassen wurde von Bernd Hoffmann, hat er mir gesagt, dass er mir eigentlich nichts vorwerfen kann“, so Bruchhagen. „Aber wenn die Ergebnisse nicht stimmen, dann werden beim HSV die Köpfe ausgetauscht.“
Boldts Probleme mit Hoffmann waren auch Beckers
Davon kann auch Boldt-Vorgänger Ralf Becker ein Lied singen. So hatte sich der frühere Sportvorstand selbst immer im sogenannten „Team Hoffmann“ gesehen – bis Köttgen dem völlig vor den Kopf gestoßenen Becker aus dem Nichts sagte, dass er eben nicht mehr Teil dieser Führungsmannschaft sei. Das war am 24. Mai 2019, einem Freitag. Am Tag zuvor hatten sich Hoffmann und Becker noch in einem Bremer Hotel mit Trainerkandidat Markus Anfang getroffen. An jenem Freitag waren die beiden erneut verabredet. Um 10 Uhr im Büro von Becker, wo dieser den bisherigen Stand der Trainersuche zusammenfassen sollte.
Doch statt Hoffmann kamen Köttgen (mittlerweile Kontrollchef) und dessen Stellvertreter Andreas Peters ins Büro – und erklärten dem nichts ahnenden Becker im Dreiminutengespräch, dass dieser ab sofort freigestellt sei. Was Becker erst später erfuhr: Hoffmann soll sich bereits vor seiner Freistellung hinter seinem Rücken mit Trainerkandidaten ausgetauscht haben – unter anderem auch mit Wunschkandidat Dieter Hecking. Ein Vorgehen, dass nun besonders Becker-Nachfolger Jonas Boldt – auch im Gespräch mit Köttgen – bemängelte. Köttgen meldete sich übrigens noch einmal bei Becker, verabschiedete sich förmlich. Von Hoffmann hat der Ex-Sportchef seit seiner Entlassung dagegen nie wieder etwas gehört.
Auf Becker folgte Boldt. Der Leverkusener war Wunschkandidat von Kontrollchef Köttgen. Und von Clubchef Hoffmann. Doch es dauerte nur wenige Wochen, ehe das mutmaßliche Dreamteam durch Alleingänge Hoffmanns beim Verkauf von Douglas Santos gesprengt wurde (Abendblatt berichtete).
Köttgen agierte im HSV-Vorstandsstreit zögerlich
Was Köttgen sich in der Causa ankreiden lassen muss: Der frühere Vorstopper von Arminia Hamm ging bis zuletzt sehr defensiv an, was sich innerhalb des Vorstands bereits seit Monaten aufgestaut hatte. Noch vor zwei Wochen sagte er dem Abendblatt: „Der Vorstand muss meiner Meinung nach nicht nach dem Kindergartenprinzip ,Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb‘ agieren, sondern soll zum Wohle des HSV handeln.“ Sein Fazit: „Für mich als Aufsichtsratsvorsitzenden gibt es für die Zusammenstellung und die Zusammenarbeit im Vorstand keinen Handlungsbedarf.“
Ob es diesen nun doch gibt, wird am Sonnabend besprochen. Erneut treffen sich Köttgen und die Aufsichtsräte, um sich ein letztes Mal darüber auszutauschen, wie es weitergeht. Dann wird der Zigarrenliebhaber auch wissen, ob er seinen Ursprungsplan aufrechterhalten kann: sich nach Beendigung der Coronakrise im Falle eines Aufstiegs mit Hoffmann auf eine gemeinsame Havanna zu treffen. „Oder besser: zwei“, sagt Köttgen. „Denn aus dem Alter, in dem man sich die Zigarre beim Rauchen geteilt hat, sind Bernd Hoffmann und ich dann doch ein wenig heraus.“