Bochum. Kaum eingewechselt beschert der Neuling den Hamburgern den ersten Auswärtssieg seit August. Zuvor brauchte es einen Wachmacher.

Als um 22.22 Uhr der Sieg unter Dach und Fach war, wollte ihn jeder umarmen. Die Gratulanten mussten sich bei Joel Pohjanpalo, der nur 20 Minuten gespielt hatte, regelrecht hinten anstellen. In der 71. Minute war der Finne eingewechselt worden, in der 74. Minute traf er zum zwischenzeitlichen 2:1 – und durfte sich wenig später über den 3:1-Sieg seines HSV beim VfL Bochum freuen. Was für ein starker Auftritt des gerade erst von Bayer Leverkusen verpflichteten Stürmers.

„Das war ein ganz guter Start. Ich bin sehr zufrieden“, sagte Pohjanpalo, als er auch die zahlreichen Gratulanten abgeschüttelt hatte. „In der zweiten Halbzeit haben wir es richtig gut gemacht.“

Damit holte der HSV nach mehr als fünf Monaten nach dem 4:2 in Karlsruhe am 25. August wieder einen Auswärtssieg, kletterte wieder auf den zweiten Platz und hat nur noch einen Punkt Rückstand auf Spitzenreiter Bielefeld.

HSV-Kapitän Hunt reist erkrankt ab

Viel mehr als die Tabelle dürfte für HSV-Trainer Dieter Hecking zählen, in welcher Verfassung sich seine Mannschaft präsentiert. Nur vier Tage nach dem glatten 4:1-Jahresauftaktsieg gegen Nürnberg gab es für den Chefcoach zunächst keinen Grund, an seiner Aufstellung etwas zu verändern. Viele Blicke der 24.421 Zuschauer im Vonovia-Ruhrstadion waren zunächst auf HSV-Stürmer Lukas Hinterseer gerichtet, der nach zwei erfolgreichen Jahren beim VfL erstmals wieder als Gast nach Bochum zurückkehrte. Der Dank der Fans für 32 Tore in 62 Spielen: Pfiffe bei jedem Ballkontakt.

Für Hecking, nur 15 Kilometer von der Castroper Straße in Castrop-Rauxel geboren, gab es am Montag aber noch eine schlechte Nachricht: Kapitän Aaron Hunt musste krankheitsbedingt wieder abreisen. Xavier Amaechi, am Freitag noch beinahe zum englischen Zweitligisten Huddersfield Town gewechselt, rückte kurzfristig in den Kader nach.

Bochums Trainer Thomas Reis hatte vor dem Spiel die Rollen klar verteilt: „Hamburg ist schon das kleine Bayern München der Zweiten Liga. Wir müssen Gras fressen, den Abstiegskampf annehmen.“ Reis hatte mit Robert Tesche und Vitaly Janelt zwei ehemalige HSV-Spieler aufgestellt. Leihgabe Manuel Wintzheimer saß dagegen zunächst nur auf der Bank. Janelt, von 2010 bis 2014 in der HSV-Jugend ausgebildet, hatte auch gleich die erste große Chance des Spiels. Von Simon Zoller freigespielt, scheiterte er freistehend aus 16 Metern an HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernandes, der seine Jugend in Bochum verbracht hatte (10.). Auch die zweite Gelegenheit ging an den VfL: Kapitän Anthony Losilla köpfte nach Zoller-Flanke vorbei (26.). Bochum war zwar technisch limitierter, aber der Gras-fressen-Plan ging auf.

Fein trifft nur den Pfosten

Es dauerte bis zur 27. Minute, ehe der HSV erstmals zum Abschluss kam. Sonny Kittels abgefälschter Schuss ging knapp drüber. Es begann die beste Phase der Hamburger. Nacheinander vergaben erst Tim Leibold (28.), erneut Kittel (31.) und schließlich Adrian Fein, der aus 16 Metern nur den Pfosten traf (39.). Gefährlicher aber waren die Offensivaktionen des VfL. 7:7 Torschüsse zur Halbzeit machten deutlich, dass der Unterschied in der Tabelle auf dem Platz nicht zu spüren war.

Im Bochumer Dauerregen wurde das Gras im zweiten Durchgang immer weicher und der VfL immer stärker. Der HSV hatte große Probleme mit den Malochern aus dem Ruhrpott und Glück, als Janelt auch seine zweite gute Chance vergab (55.).

Leibold beantwortet Bochums Führung im Matthäus-Stil

Von Minute zu Minute zeigte der HSV immer mehr sein Auswärtsgesicht der vergangenen Monate. Die Schönspielerei im Hamburger Mittelfeld brachte nichts ein. Stattdessen ging Bochum verdient in Führung. Der starke Silvère Ganvolu verlängerte auf Zoller, der aus 17 Metern in die rechte Ecke traf (65.).

Die Antwort des HSV ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Nach einer Ecke von rechts landete der Ball im Rückraum. Tim Leibold zog per Volley ab und traf mit Wucht und Wut unter die Latte (68.). Ein Traumtor, das an Lothar Matthäus' legendäres Tor des Monats im November 1992 erinnerte. "Der Rückstand war für uns ein Wachmacher, danach haben wir es sehr gut gespielt", sagte Leibold dem TV-Sender Sky.

Joker Pohjanpalo trifft sofort zur Führung

Doch damit noch nicht genug: Winter-Neuzugang Joel Pohjanpalo brauchte nur 158 Sekunden, um nach seiner Einwechslung den Wunschtraum der 2200 mitgereisten Hamburger perfekt zu machen. Der Finne, der einst in seinem ersten Bundesligaspiel nach seiner Einwechslung drei Tore für Bayer Leverkusen gegen den HSV erzielte, zeigte auch am Montagabend in Bochum, dass er keine lange Anlaufzeit braucht. Mit seiner ersten Ballberührung traf er zum 2:1 (74.) – und erhöhte zehn Minuten später sogar noch fast auf 3:1.

Erst ein Traumtor – und dann noch ein Traumeinstand.

HSV beendet Serie von acht sieglosen Auswärtsspielen

Für den Schlusspunkt sorgte allerdings nicht Pohjanpalo, sondern Sonny Kittel. Drei Minuten vor Schluss machte der Toptorjäger des HSV mit seinem elften Saisontreffer alles klar. 3:1 nach 90 Minuten in der Fremde – wer hätte das nach den letzten acht Auswärtsspielen in Folge ohne Sieg gedacht?

"Bochum hat nach der Pause den Druck erhöht und ist verdient in Führung gegangen, weil wir in Schockstarre verfallen sind. Danach brauchten wir eine Reaktion, die hat die Mannschaft hervorragend gezeigt", sagte HSV-Trainer Dieter Hecking im Interview mit dem TV-Sender Sky. "Dieses Spiel sollte uns viel Vertrauen für die nächsten Wochen geben."

Und das Beste: Am kommenden Sonnabend könnte der HSV sogar wieder die Tabellenführung übernehmen. Dann trifft die heimstärkste Mannschaft auf den Tabellen-17. Karlsruher SC. Der hat nach vier Niederlagen in Folge am Montag seinen Trainer Alois Schwartz entlassen. Der Interims-Nachfolger heißt Christian Eichner – und der dürfte sich seit Montagabend vor allem mit diesem Pohjanpalo beschäftigen.

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