Hamburg. Das Leihgeschäft offenbart Differenzen zwischen Sport- und Clubchef. Auf die erhoffte Kaufoption muss der HSV verzichten.
Als der Mannschaftsbus des HSV am Donnerstagnachmittag um 15.45 Uhr vom Volkspark in Richtung Lübeck losfuhr, war der Platz von Joel Pohjanpalo noch leer. Bei der 2:5-Testspielpleite des HSV an der Lohmühle war der Finne noch nicht dabei.
Aber in Hamburg war der Stürmer, dessen Ausleihe die Verantwortlichen des HSV am Freitag perfekt machen möchten, längst angekommen. Im Medizincheck im UKE-Athleticum wurde der Leverkusener fast zeitgleich zur Busfahrt seiner baldigen Kollegen auf Herz, Nieren und vor allem Knöchel untersucht, nachdem Pohjanpalo (25) in den vergangenen zwei Jahren 67 Pflichtspiele wegen Sprunggelenksverletzungen verpasst hatte.
Als sich der HSV-Bus am Abend wieder auf die Rückfahrt aus Lübeck machte, war auch das Tageswerk Pohjanpalos geschafft. Bereits an diesem Freitag soll der Nationalspieler einen Leihvertrag bis zum Saisonende unterschreiben, nachdem Jonas Boldt die letzten Details mit Bayer Leverkusen geklärt hat. Auf die erhoffte Kaufoption werden die Hamburger allerdings verzichten müssen.
HSV-Ärger zwischen Boldt und Hoffmann
Dass Pohjanpalo an diesem Freitag überhaupt beim HSV unterschreibt, war vor einigen Tagen keineswegs absehbar. Bis zuletzt hatte vor allem Boldt auf Robert Bozenik (25/MSK Zilina) gehofft, von dem allerdings Vorstandskollege Bernd Hoffmann nicht wirklich überzeugt gewesen sein soll. Der HSV-Chef hatte nach Abendblatt-Informationen Kölns Simon Terodde (32) bevorzugt – am Ende wurde es die „Kompromisslösung“ Pohjanpalo.
Hinter den Kulissen wird schon länger über Meinungsverschiedenheiten zwischen Hoffmann und Boldt gesprochen. Wie groß diese Störfeuer tatsächlich sind, werden wohl erst die kommenden Wochen nach dem Rückrundenstart und dem ersten Arbeitsnachweis Pohjanpalos zeigen.
HSV-Sportdirektor Mutzel rechtfertigt Leihen
Der Finne ist nach Louis Schaub (aus Köln) und Jordan Beyer (Mönchengladbach) bereits der dritte Bundesliga-Leiharbeiter, der in diesem Winter beim HSV unterschreibt. Schon im Sommer wurden Adrian Fein (Bayern) und Martin Harnik (Werder) ausgeliehen. Bleibt also neben der Vorstandskabbelei die Frage, ob es sich bei der Vielzahl der Leihdeals um ein neues Phänomen oder um puren Zufall handelt.
„Auch mein Eindruck ist, dass Leihdeals in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben“, sagt HSV-Sportdirektor Michael Mutzel, der daran erinnert, dass auch Spitzenclubs immer häufiger Ausleihgeschäfte bevorzugen. „Auch Topvereine wie die Bayern setzen zunehmend darauf, das Risiko zu minimieren.“
Auch die Bayern investieren in Leihgeschäfte
Tatsächlich ist der Rekordmeister so eine Art Rekord-Ausleiher. Nach Philippe Coutinho, der für 8,5 Millionen Euro für ein Jahr vom FC Barcelona gekommen ist, und Ivan Perisic (Inter Mailand/fünf Millionen Euro) haben die Bayern in dieser Woche nun auch Real Madrids Alvaro Odriozola für 3,5 Millionen bis zum Saisonende gemietet.
Damit haben die Münchner allein in dieser Saison 17 Millionen Euro für Leihdeals ausgeben. Zuvor hatten sie schon 13 Millionen Leihgebühren für zwei Jahre für James Rodriguez investiert – und sind mit dieser Strategie längst nicht mehr allein.
123 Leihgeschäfte in der Ersten Bundesliga
Tabellenführer RB Leipzig hat beispielsweise 3,5 Millionen Euro für den geliehenen Patrick Schick (AS Rom) ausgegeben, die Dortmunder hatten dagegen durch fünf Ausleihspieler (Toprak, Toljan, Schürrle, Gomez, Passlack) Einnahmen von acht Millionen Euro – und vor allem sehr viel geringere Gehaltsausgaben.
Insgesamt wurden in dieser Spielzeit bis Stichtag Donnerstag in der Bundesliga 123 Spieler ausgeliehen, in der Zweiten Liga 92. Fortuna Düsseldorf hat gleich sechs Profis ausgeliehen, der 1. FC Köln sieben – darunter auch den Neu-Hamburger Louis Schaub – verliehen.
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HSV handelte unterschiedliche Klauseln aus
„Grundsätzlich gilt für uns: Eine Leihe ist eine gute Möglichkeit, Chance und Risiko sportlich und wirtschaftlich ins Gleichgewicht zu bekommen“, sagt HSV-Sportvorstand Jonas Boldt. So wäre der HSV in diesem Winter kaum das Risiko eingegangen, Schaub direkt für 2,6 Millionen Euro zu kaufen. Startet der Österreicher aber beim HSV durch, hätten die Hamburger die Möglichkeit, ihn im Sommer fest zu verpflichten.
„Im Optimalfall hat man als Club bei Leihdeals das Heft des Handelns in der Hand. Das klappt aber nicht immer“, sagt Sportdirektor Mutzel. Bei Bayerns Fein und Gladbachs Beyer konnte sich der HSV keine Kaufoptionen sichern, Werders Harnik muss nach einem möglichen Aufstieg dagegen gekauft werden.
Boldt kritisiert Premier-League-Clubs
„In der Situation, in der wir sind, müssen wir kreativ denken. Ich befürworte das Leihmodell grundsätzlich, um Spielern mehr Spielpraxis zu gewährleisten“, sagt Boldt, der auch den Blick ins Ausland wagt: „Es gibt ja viele verschiedene Konstellationen von Leihdeals. In Italien ist es beispielsweise sehr verbreitet, dass ein Spieler mit verpflichtender Kaufoption geholt wird, um die Bilanz zu entlasten. In England holen die großen Clubs viele Talente, die sie dann als Geldanlage verleihen“, sagt Boldt, der besonders mit der gängigen Praxis der Topclubs der Premier League Probleme hat.
„Dieses Modell kann man auch kritisch sehen, weil es dabei nicht immer um die Interessen des Spielers geht.“ Nach Abendblatt-Infos gibt es sogar Überlegungen vonseiten der Fifa, dieses exzessive Verleihen zu reglementieren.
HSV-Zugang Pohjanpalo ist Leih-Experte
Besonders leiherprobt ist Pohjanpalo. Der Bald-Hamburger wurde als Teenager von Leverkusen in Helsinki entdeckt. Auch Boldt, damals Bayer-Chefscout, reiste mehrfach nach Finnland, um sich selbst ein Bild zu machen.
Er und Michael Reschke, damals Sportdirektor, waren von Pohjanpalos Qualitäten überzeugt, wollten dem Youngster aber Spielpraxis garantieren. Bayer handelte ein kompliziertes Vertragswerk aus, nach dem Pohjanpalo zunächst mit einer Kaufoption von Helsinki geliehen wurde, dann aber weiter an den VfR Aalen (2013/14) und Fortuna Düsseldorf (2014 bis 2016) verliehen wurde.
HSV sorgt sich nicht um zu viele Leihspieler
Für Pohjanpalo folgt nun also die Leihe 4.0. Weil er in Leverkusen kaum Chancen auf Einsatzzeiten hatte, will er sich nun in der Zweiten Liga für die Euro 2020 empfehlen – und ganz nebenbei den HSV in die Bundesliga schießen.
Die Gefahr, dass mit dem Finnen nun zu viele Leihspieler im Kader stehen würden, sieht man trotz aller Reibereien beim HSV nicht. Und auch Joel Pohjanpalo sieht diese Gefahr nicht. Passend dazu sein Spitzname: Danger.
Joel Pohjanpalos erstes Training beim HSV:
Joel Pohjanpalo trainiert beim HSV erstmals mit