Hamburg. Uwe Seeler mit Jochen Meinke beim Abendblatt-Podcast „HSV – Wir müssen reden“. Die Club-Ikone zweifelt am Aufstieg.
„Da ist er ja, mein Kapitän!“ Bei jedem Wiedersehen begrüßt Uwe Seeler seinen früheren Mitspieler Jochen Meinke mit diesen Worten, so auch an diesem Morgen in den Redaktionsräumen. Seeler und Meinke – da hüpft das HSV-Herz. 1960 gewannen sie gemeinsam gegen den 1. FC Köln die Deutsche Meisterschaft mit einer längst legendären Hamburger Mannschaft, deren Spieler alle beim HSV groß geworden sind. Seeler erzielte beim 3:2 in Frankfurt zwei Tore, während Meinke die Kreise der hochgelobten Kölner Offensive empfindlich stören konnte.
Auf Einladung des Abendblatts feierten Seeler und Meinke einige Tage vor Heiligabend im zarten Alter von 83 und 89 Jahren ihre Podcast-Premiere bei „HSV – wir müssen reden“. Als sie sich nach der 50-minütigen Aufzeichnung gerade für ein Erinnerungsfoto auf die Abendblatt-Bank gesetzt haben, kommt Jonas Boldt, der ebenfalls einen Podcast-Termin am Großen Burstah hatte, den Flur entlang. Großes Hallo, und sofort setzt ein Fachgespräch zwischen den HSVern ein.
Seeler zweifelt am HSV-Aufstieg
Seeler ist natürlich bei dem kurzen Aufeinandertreffen viel zu höflich, um seine Weihnachtswünsche direkt beim HSV-Sportvorstand zu platzieren. Dass er Boldt in der Pflicht sieht, in der Winterpause aktiv zu werden, machte der frühere Ausnahme-Torjäger allerdings zuvor am Mikrofon mehr als deutlich: „Ich habe Bedenken, was das Ziel Aufstieg betrifft. Es sei denn, die Mannschaft steigert sich, was ich mir von Herzen wünsche. Auf der anderen Seite glaube ich, dass noch viel getan werden muss. Ich würde mir wünschen, dass der HSV noch ein paar Mark zusammenkratzt und während der Winterpause ein, zwei oder drei Spieler kauft.“
Seeler wünscht sich neuen HSV-Stürmer
In welchen Mannschaftsteilen der HSV neues Personal benötigt, ist für Seeler klar: „Man sieht in jedem Spiel, dass hinten eine Verstärkung benötigt wird. Vor allen Dingen aber braucht der HSV vorne einen, der knipsen kann. Wenn da was passiert, wäre ich beruhigter und sicherer, dass sie auch tatsächlich aufsteigen. Ganz ehrlich: Jetzt kann ich die Frage nach dem Aufstieg nicht mit Ja oder Nein beantworten.“
Etwas optimistischer äußerte sich dagegen Meinke: „Ich erinnere mich noch, dass ich im vergangenen Jahr nach der Halbserie noch vorhergesagt habe, dass der HSV aufsteigt. Der Unterschied zu 2018 ist aber, dass wir mit Dieter Hecking einen erfahrenen Trainer verpflichtet haben, der eine neue Mannschaft aufbauen musste und zu dem ich riesiges Vertrauen habe. Ich glaube, sie schaffen es. Was ich mich allerdings frage: Wie soll es dann weitergehen? Für die Bundesliga müsste das Team gewaltig verstärkt werden.“
Meinke ist Seelers HSV-Lexikon
Die unterschiedliche Einschätzung der HSV-Chancen für eine Rückkehr in die Bundesliga bleibt während des Gesprächs eine Ausnahme. Gekonnt spielen sich Seeler und Meinke die Bälle zu. „Wenn wir mit anderen Spielern von damals zusammensitzen und auf frühere Zeiten zu sprechen kommen, hat Jochen das Wort. Wir nennen ihn unser Lexikon“, sagt Seeler und fügt hinzu: „Ganz ehrlich: Ich weiß nicht mehr alles. Aber ich weiß, dass ich im Zweifel nur Jochen zu fragen brauche.“
Und da gibt es einiges, an was sie sich erinnern können. Das erste Mal getroffen haben sie sich vor 74 Jahren – Meinke weiß es natürlich noch genau – im Juli 1945, kurz nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland. Wie auf Knopfdruck erzählt er, dass er mit der ersten Schülermannschaft gemeinsam mit Uwes Bruder Dieter sein erstes Spiel für den HSV bestritt („Wir haben 2:1 beim Wandsbeker FC gewonnen“).
Es war die Zeit, wo auch schon wieder auf den Straßen gekickt wurde. Damals spielte das Team Eppendorf gegen Winterhude, so lernte der damals 14-jährige Meinke auch den achtjährigen Buttje Uwe kennen. Schnell merkten Seelers Mitspieler, welches großes Talent da heranwuchs. „Ich habe seine ganze Karriere also von Anfang an verfolgt und bin stolz, dass wir uns so lange kennen“, sagt Meinke.
HSV-Ansetzungen: Seelers Kritik an der DFL
Freundschaft, Zusammenhalt, Gemeinschaft – diese Werte fallen häufig während des Gesprächs. Und diese werden bis heute gepflegt. 2001 hat Meinke einen Stammtisch mit früheren Mitspielern aus seiner Zeit in der HSV-Jugend gegründet. Alle drei Wochen treffen sich die acht Herren im Wandsbeker Restaurant Cabana, Seeler ist natürlich auch regelmäßig dabei. Bei so viel Beständigkeit verwundert es nicht, dass die Ehen der Alt-HSVer bis heute halten. Während Seeler mit seiner Ilka in diesem Jahr die diamantene Hochzeit feiern konnte, ist Meinke mit Erika bereits seit 65 Jahren verheiratet.
Klare Kante zeigen, das können Seeler und Meinke noch heute. Beim Thema Spielansetzungen an einem Freitagabend und Montagabend fällt das Wort „Dilettanten“. Und auch zu den Millionengehältern der Profis gibt es Kritik: „Wenn ich mir überlege, was eine Bundeskanzlerin verdient im Vergleich zu einem Bundesligaspieler, das steht doch in keinem Verhältnis“, sagt Meinke. Und auch Seeler glaubt: „Das Verhältnis zwischen Preis und Leistung stimmt nicht. Ich frage mich, wie lange das noch gut geht und kann nur im Interesse des Fußballs hoffen, dass es besser in die Waage kommt.“
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Auch nach dem Podcast dreht sich im Restaurant „Das Parlament“ am Rathausmarkt alles nur um Fußball – und in der Nachspielzeit wird Seeler laut, als es um das Thema Videobeweis geht. „Ich weiß nicht, was die sich dabei denken, zum Beispiel mit den minutenlangen Unterbrechungen. Aber in der Form macht das den Fußball kaputt.“
Bleibt nur eine Frage offen: Seit wann hat Seeler den Spitznamen „Der Dicke“? „Das kann ich nicht beantworten, er hieß immer so“, entgegnet Meinke, das Lexikon. Seeler nickt: „Dabei war ich immer rank und schlank. Vielleicht etwas muskulös.“