Hamburg. Vor dem letzten Spiel 2019 in Darmstadt gibt sich der HSV-Coach knurrig. Hinter den Kulissen ist das jedoch anders.

Am Donnerstag zeigte sich Dieter Hecking mal wieder in der Rolle, wie man ihn am besten kennt. Pressekonferenz. Eine Art Rollenspiel, das in den vergangenen zehn Jahren wohl kaum jemand so oft auf die Bühne gebracht hat wie Hecking. Der 55-Jährige sitzt auf dem Podium des Presseraums im Volksparkstadion, roter Trainingspullover, grimmiger Blick. „Zuhören“, knurrt der Cheftrainer des HSV, als er eine Antwort wiederholen soll. Auch die Frage nach einem Hinrundenfazit gefällt ihm nicht. „Dafür bin ich noch nicht bereit“, sagt Hecking. Ruhe in der Runde.

Wer den Trainer der Hamburger dieser Tage erlebt, könnte zu der Ansicht gelangen, dass ihm vor dem letzten Zweitligaspiel des Jahres am Sonnabend bei Darmstadt 98 (13 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) ein wenig die Souveränität abhandengekommen ist. Hecking kritisierte zuletzt wechselweise die Medien („immer nur schwarz-weiß“), die Nörgler in sozialen Netzwerken („haben wahrscheinlich 50 Kilo Übergewicht“), den eigenen Aufsichtsrat („dann ist das ihre Meinung“). Wer Hecking seit Saisonbeginn beobachtet, der weiß, dass der Trainer mit diesem Spiel eines deutlich macht: Der Chef bin ich.

Hecking hat sich beim Mitarbeiterkick verletzt

Wie aber tickt Hecking abseits der wöchentlichen Frage-Antwort-Runden, in denen er vor allem Stärke demons­triert? Wer dieser Frage nachgeht, der sollte ihn am besten bei seiner eigens ins Leben gerufenen Fußballrunde beobachten. Das Problem: Hecking hat sich bei diesem Mitarbeiterkick vor einigen Wochen selbst am Knie verletzt. Der Trainer- und Betreuerstab des HSV trifft sich einmal pro Woche zum Kreisspiel. Ein Fünf-gegen-zwei, bei dem es Hecking und seinem Co-Trainer Dirk Bremser darum geht, die Mitarbeiter in lockerer Stimmung zu verbinden und für die gemeinsame Arbeit zu motivieren. Sprüche klopfen, Spaß haben, abschalten.

Weil der Trainer in dieser Woche selbst nicht mitspielen konnte, hatte er seinen Stab bereits am Mittwoch zum gemeinsamen Glühwein auf den Weihnachtsmarkt an der Osterstraße eingeladen. So kühl und knurrig sich der Trainer präsentieren kann, wenn die Kamera läuft, so warm und herzlich beschreiben ihn seine Vertrauten, wenn das Mikrofon aus ist. Was Hecking und seinem Team beim Glühwein noch einmal deutlich geworden sein wird: Dieses erste halbe Jahr beim HSV hat alle Beteiligten viel Kraft gekostet. Und der Trainer muss einer Entwicklung entgegensteuern, damit seiner Mannschaft auf den letzten Metern vor Weihnachten nicht die letzten Reserven ausgehen.

Hecking: Führungsstärke ist gefragt

Auch an Hecking ist die Schwächephase mit zuletzt nur sechs Punkten aus sechs Spielen nicht spurlos vorbeigegangen. „Natürlich hinterfragen wir kritisch, warum wir in den letzten sechs Spielen nicht mehr so gepunktet haben“, sagte Hecking am Donnerstag, um dann vor dem ersten Spiel der Rückrunde direkt in den Angriffsmodus zu wechseln. „Jetzt beginnt die entscheidende Phase. Alles andere war Vorgeplänkel. Aus dieser starken Position, die wir uns erspielt haben, müssen wir noch etwas Besseres machen. Und damit müssen wir in Darmstadt anfangen.“

Es ist genau diese Rolle in schwierigen Zeiten, die Hecking im Volkspark ausfüllen muss. Im nervösen HSV-Gebilde soll Hecking die nötige Führungsstärke demonstrieren. Ein Kapitän sein, der den Dampfer HSV durch den Sturm führt. Vor allem aber hat er das Selbstbewusstsein zu sagen: Ich schaffe das. Doch auch Hecking braucht dafür Vertraute an seiner Seite, die ihn auf diesem Weg unterstützen.

Co-Trainer Bremser erfüllt dabei die wichtigste Rolle. Hecking beschäftigt zudem zwei Berater, die ihn bei verschiedenen Fragen und Themen den Rücken stärken. Nach außen will der Trainer keine Schwächen zeigen. Dabei gab es in der Hinrunde viele Themen, die auch Hecking Kraft gekostet haben: der Fall Bakery Jatta, die schwere Verletzung von Jan Gyamerah, insbesondere aber der Tod seines Vaters Wilfried nach einer Krebserkrankung.

Hecking erfüllt Rolle des HSV-Hoffnungsträgers

Hecking weiß, dass er beim HSV noch mehr als in Mönchengladbach oder Wolfsburg die Rolle des Hoffnungsträgers ausfüllen muss. Beim VfL war Klaus Allofs zu seiner Zeit der starke Mann, bei der Borussia war es Max Eberl. In Hamburg ist Hecking der Chef. Und das will er auch demonstrieren. Dass seine Aussagen in dieser Rolle auch mal zu Irritationen führen können, zeigte sich in dieser Woche, als der Trainer ein klärendes Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Max-Arnold Köttgen führte.

Zuvor hatte Hecking seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass aus dem Kontrollgremium bekannt wurde, dass finanzielle Mittel für zwei mögliche Wintertransfers vorhanden seien. „Darüber habe ich mich geärgert. Ich habe ihm gesagt, dass wir ein Gremium erst hinzuholen können, wenn die sportliche Leitung weiß, wohin sie will“, sagte Hecking, der das Thema zusammen mit Köttgen beiseiteräumte. „Wir haben im Sommer hervorragend zusammengearbeitet, und so wird es auch im Winter sein.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Hecking gilt als loyal, aber eben auch als emotional. In Mönchengladbach wollte er im April mal alles hinwerfen, nachdem Eberl ihm sein Aus zum Saisonende erklärt hatte. Erst Heckings Frau Kerstin konnte ihn überzeugen, seine Aufgabe zu Ende zu führen.

Beim HSV ist seine große Aufgabe, alle Beteiligten auf dem gemeinsamen Weg zusammenzuhalten. Vor allem aber, seine Mannschaft hinter ihm zu haben. Das macht Hecking nach außen mit Härte, nach innen mit Herz. Oder eben auch einfach mal mit einem Becher Glühwein.

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen HSV-Newsletter unter abendblatt.de/hsv-nl