Hamburg. Der HSV-Trainer will vor dem Spiel in Sandhausen von einer Krise nichts wissen. Doch die könnte noch kommen.

Es gibt nicht viele Dinge im Leben, die Dieter Hecking aus der Ruhe bringen können. Schon gar nicht eine sportliche Lage mit zwei Niederlagen in Folge. Nur ein Geräusch im Medienraum des Volksparkstadions sorgte beim HSV-Trainer am Freitagmittag für leichte Irritationen. „Überwintern die Grillen? Oder ist der Kühlschrank defekt?“, fragte Hecking auf der offiziellen Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel beim SV Sandhausen am Sonntag (13.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt.de). Tatsächlich sorgte der in die Jahre gekommene Kühlschrankventilator für ein dezentes Hintergrundrauschen, das an das abendliche Grillengeräusch auf einer Mittelmeerinsel erinnerte.

Als sich Hecking über das Rauschen des Kühlschranks wunderte, hatte er gerade die sportliche Schwächephase seiner Mannschaft beschrieben. „Es ist eine große Krise“, sagte der HSV-Trainer mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. „Wenn man zweimal verliert, ist halt eine Krise da.“ Hecking machte mit seinen Worten deutlich, dass ihn die Krisendebatte im Volkspark weitaus weniger tangiert als die ungewöhnliche Geräuschkulisse im Presseraum. „Das Gerede interessiert mich nicht – und ich hoffe, meine Mannschaft auch nicht.“

Hecking fordert vom HSV bessere Laufwege

Nach nur einem Sieg und fünf Punkten aus den vergangenen fünf Ligaspielen muss Hecking allerdings erstmals seit seinem Amtsantritt beim HSV Ende Mai eine schwierige sportliche Situation meistern. Denn eines kann auch Hecking nicht bestreiten: Verliert der HSV nach Osnabrück und Heidenheim auch gegen Sandhausen, steckt er in einer echten vorweihnachtlichen Krise. Dann hätte der Club die Hinrunde mit 29 Punkten beendet. Zum Vergleich: In der vergangenen Saison holte der HSV 37 Punkte aus den ersten 17 Spielen.

Allerdings war es zuletzt weniger die Punkteausbeute als vielmehr die Spielweise, die zu einem sportlichen Abwärtstrend geführt hatte. Seit dem furiosen 6:2-Sieg gegen den VfB Stuttgart ist das Hamburger Angriffsspiel ins Stocken geraten. Nur fünf Tore erzielte der HSV in den vergangenen fünf Spielen. Zuvor waren es 28 Treffer in elf Partien.

Was sich der Trainer von Ewerton verspricht

Hecking ließ am Freitag daher vor allem Laufwege und Passstafetten trainieren. „Das sind genau die Laufwege, die wir am Sonntag brauchen“, rief der Trainer seinen Spielern während der Einheit immer wieder zu. Beim 0:1 gegen Heidenheim vor einer Woche hatte Hecking genau diese Wege vermisst. „Die Ideen sind da, aber es ist enorm wichtig, dass wir diese Tiefenlaufwege immer wieder machen. Wenn du dem Ball immer nur entgegengehst, wirst du nie in ein zwingendes Offensivspiel reinkommen. Das ist unmöglich“, erklärte der Fußballlehrer. „Wenn du viel Bewegung in die Tiefe reinbekommst, hat jede Abwehr Probleme.“

Kurioserweise könnte der HSV-Trainer am Sonntag seine Abwehr verändern, um das Offensivspiel wieder zu beleben. In den Einheiten unter der Woche deutete sich an, dass der Brasilianer Ewerton erstmals in dieser Saison in der Startelf stehen könnte. Der im Sommer für zwei Millionen Euro aus Nürnberg gekommene Innenverteidiger wird voraussichtlich im Abwehrzentrum an der Seite von Timo Letschert spielen. „Wir haben Ewerton jetzt endlich stabil“, sagt Hecking über den 30-Jährigen. „Er ist ein Spieler, der eine gute Ruhe ausstrahlt, der Zweikampfführung kann und der uns im Spielaufbau auch positive Aspekte reinbringen würde.“

Van Drongelen, Fein und Kittel droht die Bank

Insbesondere bei Rick van Drongelen, der bislang in jedem Saisonspiel in der Startelf stand, wird der Spielaufbau intern kritisiert. Aber auch Adrian Fein wurde von Hecking am Freitag genannt als Beispiel für einen Spieler im Formtief. Möglicherweise darf auch der Sechser in Sandhausen erstmals nicht von Beginn an spielen.

Auch Sonny Kittel droht die Bank. Der beste Torschütze wirkte zuletzt ein wenig müde. Für ihn könnte Stürmer Lukas Hinterseer wieder in die Offensivreihe rücken. Optionen hat der HSV in jedem Fall einige. Trainer Hecking verlangt in Sandhausen aber vor allem „mannschaftliche Geschlossenheit“.

Die wird im Stadion am Hardtwald auch nötig sein, denn Sandhausen um Kapitän Dennis Diekmeier gehört zu den heimstärksten Mannschaften der Liga, schlug zu Hause zuletzt den HSV-Konkurrenten VfB Stuttgart. „Das ist eine gute Zweitliga-Mannschaft. Aber die Schwächen, die Sandhausen auch hat, werden wir unserer Mannschaft aufzeigen. Das ist unsere Aufgabe, dafür Lösungen zu finden“, sagt Hecking.

Werte des HSV haben sich nicht verschlechtert

Statistisch hat sich das Spiel des HSV in den vergangenen Wochen nicht verschlechtert. Vor drei Monaten führten 9:9 Torschüsse und 62 Prozent Ballbesitz etwa zu einem 4:0-Erfolg gegen Erzgebirge Aue, am vergangenen Freitag reichten 16:9 Torschüsse und 76 Prozent Ballbesitz nur zu einem 0:1 gegen Heidenheim. Einzig die Torausbeute und die defensive Stabilität haben sich im Vergleich zur ersten Saisonphase verändert. Hecking erhofft sich dadurch in Sandhausen, „mal wieder in Führung zu gehen“. Das gelang zuletzt beim 1:1 in Wiesbaden, als der HSV in Überzahl den Sieg noch verschenkte. So lag der Fokus von Hecking am Freitag vor allem auf offensiven Lösungen und Torabschlüssen.

So kämpferisch sich der 55-Jährige bei der Trainingseinheit am Vormittag zeigte, so gelassen gab er sich bei der anschließenden Fragerunde. Dabei bietet die Ausgangslage vor der Partie am Sonntag durchaus Anlass zu Aktionismus. Der letzte Auswärtssieg liegt schon fast vier Monate zurück.

Doch Hecking zog nur ein wenig die Augenbraue hoch und zuckte mit den Schultern. Seit 20 Jahren arbeitet er als Trainer. Druck? Kennt er. Kann er. „Ich bin zu lange dabei, als dass mich zwei Niederlagen aus der Ruhe bringen würden“, sagt Hecking und sieht dabei so aus, dass man ihm nicht widersprechen will. „Druck hast du im Saisonfinale, weil du nicht mehr viel reparieren kannst. Aber im Moment bin ich von Druck noch weit entfernt.“

Nur dieses Geräusch, das ließ dem Trainer an diesem Tag doch irgendwie keine Ruhe. „Die Grillen haben Druck heute“, sagte der Trainer, lachte und ging in aller Ruhe zurück in sein Büro.