Hamburg/San Francisco. Initiiert wurde der Kurztrip vom DFB und DFL. Sportvorstand Jonas Boldt sowie Präsident Marcell Jansen sind durchaus angetan.
Es ist kurz vor Mitternacht Ortszeit, als Jonas Boldt Entwarnung gibt. Er könne eigentlich immer und überall gut schlafen, sagt der HSV-Sportvorstand am Telefon. Trotz seiner Körperlänge von zwei Metern auch im Flugzeug. Und zum Schlafen hätte er ja genug Zeit auf dem Rückflug. „Hier will ich eigentlich nicht aus meinem Rhythmus raus. Und hier gibt es auch viel zu viel Programm, als dass man jetzt großartig schlafen müsste.“
Hier, das ist neun Zeitzonen, knapp zwölf Flugstunden und 9000 Kilometer westlich von Hamburg. San Francisco, auch die goldene Stadt genannt. Vier Tage lang sind 14 Fußballentscheider auf Einladung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der DFB-Akademie hier, um im Silicon Valley ihren Horizont zu erweitern.
„Der DFB hat da eine gute Idee gehabt. Das Programm ist extrem interessant“, sagt Boldt, der gemeinsam mit HSV-Präsident Marcell Jansen die größte Clubabordnung stellt. Unter anderem dabei sind auch noch Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic, Mönchengladbachs Max Eberl, Leipzigs Markus Krösche, Leverkusens Simon Rolfes, Frankfurts Vorstand Fredi Bobic und auch Oliver Bierhoff. „Mit unserer Leadership-Reise gehen wir neue Wege“, sagt DFB-Direktor Bierhoff, der gemeinsam mit DFB-Akademie-Leiter Tobias Haupt das Vier-Tage-Programm ausgearbeitet hat. „Die DFB-Akademie tritt als Netzwerker und Brückenbauer auf, um dem deutschen Spitzenfußball und seinen Vereinen neue Impulse außerhalb des Tagesgeschäfts zu ermöglichen.“
Boldt sieht San Jose Sharks als Vorbild für den HSV
Die Golden Gate Bridge haben die Brückenbauer aus Deutschland selbstverständlich auch schon gesehen. Allerdings ist der USA-Trip von Montag bis Donnerstag keine Sightseeing-Reise, sondern eine Möglichkeit, neue Eindrücke zu gewinnen – und ganz nebenbei seine Müdigkeitsgrenzen auszuloten. „Ich habe die Idee dieser gemeinsamen Reise sofort positiv aufgenommen, da ich mich schon immer für andere Sportarten und generell für Unternehmensstrukturen interessiere“, sagt Boldt. „Aus erfolgreichen Modellen Ableitungen für Weiterentwicklung im und neben dem Fußball zu gewinnen halte ich für spannend. Das gehört meines Erachtens zu einem modernen Weitblick hinzu.“
Einen ersten Einblick erhielt die Fußball-Reisegruppe direkt am Ankunftstag, als am Montag ein Besuch in der Firmenzentrale von Facebook auf dem Programm stand. Die Themen: moderne Unternehmensstrukturen, Digitalisierung, Innovation. Besonders der moderne Campus hatte es HSV-Sportchef Boldt angetan. „Facebook versteht es sehr gut, die eigenen Mitarbeiter an diesem Campus zu binden“, sagt Boldt, der aber wirklich beeindruckt vom anschließenden Besuch beim NHL-Eishockeyclub San Jose Sharks war. „Natürlich kann man die Situation von US-Sportclubs nicht eins zu eins mit europäischen Fußballclubs vergleichen. Aber bei den Sharks hat man es sehr gut geschafft, eine gewisse Clubkultur zu kreieren.“
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Am Dienstag hatten sich Boldt und ein paar Interessierte mit Sharks-Chef Doug Wilson getroffen, während Marcell Jansen und der Rest sich über die Strukturen des traditionsreichen Footballclubs San Francisco 49ers informierten. Wilson, früher ein beinharter Eishockeyverteidiger, der 1119 NHL-Spiele für die Chicago Blackhawks und die Sharks gemacht hat und seit 2003 General Manager in San José ist, hat vor allem bei Boldt einen Nerv getroffen. In 15 Spielzeiten unter Wilson haben die Sharks 14-mal die Play-offs erreicht, dabei viele Topspieler verpflichtet, die bei anderen Clubs hätten mehr verdienen können.
Leadership-Seminar an der Stanford University
„Wilson scheint ein gewisses Umfeld bei den Sharks etabliert zu haben, in dem man langfristig Erfolg haben kann“, sagt Boldt, der Ähnliches beim HSV vorhat. Seine These: Clubs wie zum Beispiel der FC Barcelona, Bilbao, Sevilla, der FC Bayern und seit Kurzem auch Eintracht Frankfurt, die eine eigene Kultur verfolgen, haben langfristig eher Erfolg.
Das Besondere an den San Jose Sharks: Der NHL-Club hat zwar noch nie einen nationalen Titel gewonnen, ist aber immer vorne mit dabei. Wenn man so will, dann kann man den kalifornischen Eishockeyclub als eine Art Bayer Leverkusen der NHL bezeichnen. Wilson, der in seinen 16 Jahren bei den Sharks „nur“ dreimal den Trainer tauschen musste, wird zudem nachgesagt, dass er ein ganz besonderes Klima im Club geschaffen hat. Ein Klima mit einer ausgeprägten Erfolgsmentalität auf der einen und einem sehr familiären Umgang auf der anderen Seite. „So etwas schafft man nur durch Vorleben“, sagt Boldt, der abends auch noch das Sharks-Heimspiel gegen die Washington Capitals (2:5) im SAP Center besuchte.
Am Mittwoch, dem vorletzten Tag der US-Reise, stand für die gesamte Gruppe ein Besuch an der renommierten Stanford University auf dem Programm, wo ein speziell auf die Teilnehmer zugeschnittenes Leadership-Seminar angeboten wurde. „Für uns ist das eine tolle Möglichkeit, um neue Eindrücke zu sammeln und neue Inspirationen zu bekommen“, sagt Marcell Jansen, der schon vor der Abreise am Donnerstag ein positives Zwischenfazit zieht. „Trotz des Zeitpunkts denke ich, dass die Anzahl der Zusagen für sich spricht und zeigt, dass die Bundesliga offen ist für Neues.“
Am Donnerstagnachmittag müssen Jansen und Boldt trotzdem wieder über Frankfurt nach Hamburg fliegen. Am Freitagvormittag ist das HSV-Duo zurück – rechtzeitig vor der Zweitligapartie gegen Heidenheim (18.30 Uhr/Sky). Der größte Wunsch für das letzte Heimspiel des Jahres? Ein ausgeschlafener HSV.