Hamburg. Beim späten 2:1-Sieg ringt der HSV neben Dresden auch die Kölner Videorichter nieder. Die mussten gleich viermal eingreifen.
Dieter Hecking war bedient. Und zwar so richtig. Als der HSV-Trainer am Morgen nach dem Heimspiel gegen Dynamo Dresden von den Medienvertretern umringt wurde, machte der Coach aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er sei schon in den letzten Tagen so richtig angefressen gewesen, grantelte Hecking am Sonntag in die Mikrofone. „Das geht einfach nicht. Hier in Hamburg denkt man zu viel schwarz und weiß. Das sind die Grundübel, die hier vorherrschen.“ Und dann mit blitzenden Augen: „Das ist auch der Grund dafür, dass es in Hamburg nicht läuft.“
Heckings Ich-habe-fertig-Rede überraschte, denn: In Hamburg läuft es. Nicht nur gut, sondern sogar sehr gut. Der HSV hat in der bisherigen Saison erst ein Spiel verloren (0:2 gegen St. Pauli), ist seit acht Partien ungeschlagen und seit Sonnabend wieder Tabellenführer. Vor allem aber: Der HSV hatte gegen Dynamo Dresden in buchstäblich letzter Minute 2:1 gewonnen – auch wenn man bei Heckings Ausführungen am Tag danach fast das Gefühl bekommen konnte, dass seine Mannschaft 1:2 verloren hatte.
Den wahren Grund für Heckings Mad-Monday-Mood am Sonntag gab der 55-Jährige nicht preis. Allerdings soll sich der Trainer darüber geärgert haben, dass Sky-Kommentator Klaus Veltman während der Partie gegen Dresden mehrfach von einer drohenden Krise gesprochen habe. „Wenn ich gefragt werde, ob schon die Krise im Anmarsch ist, dann finde ich das überzogen“, schimpfte Hecking am Morgen danach. „Drei Pflichtspiele ohne Sieg ist beim HSV eine Krise – das ist aber nicht meine Meinung.“
Bei vier HSV-Toren wird der Videobeweis bemüht
Die gute Nachricht für Hecking: Es ist auch nicht die vorherrschende Meinung in Hamburg. So hatte ein Großteil der 51.586 Zuschauer den späten 2:1-Siegtreffer durch David Kinsombi am Sonnabend überschwänglich gefeiert, die Mannschaft machte eine Ehrenrunde, und der Höchstwert auf der Friede-Freude-Eierkuchen-Skala schien erreicht. „Natürlich war es am Ende ein glücklicher, gleichzeitig aber auch ein hochverdienter Sieg“, sagte Kapitän Aaron Hunt.
Der Erfolg war glücklich, verdient – und vor allem kurios. „Das habe ich noch nicht erlebt“, sagte Rick van Drongelen, als er nach dem mehrfachen Einsatz des Videobeweises befragt wurde. Tatsächlich musste Videoassistent Arne Aarnink im berühmten Kölner Keller gleich viermal von Schiedsrichter Marco Fritz befragt werden. Zweimal (beim 1:1 durch Sonny Kittel/67. und bei Kinsombis Treffer zum 2:1) entschied das Gespann nach minutenlangen Diskussionen auf Tor für den HSV. Zweimal (nach Toren durch Martin Harnik/72. und Hunt/83.) wurde auf Abseits entschieden.
„Der Videobeweis killt die Emotionen“, kritisierte Kapitän Hunt nach der Partie. „Man kann sich nach einem Tor eigentlich gar nicht mehr sicher sein. Man hat immer ein mulmiges Gefühl. Ich weiß beispielsweise nicht, was die Schiedsrichter nach dem Siegtreffer noch zu überprüfen hatten.“
Leibold ragt aus HSV-Team heraus
Das wusste auch Hecking am Morgen danach nicht. Und trotzdem hatte der Fußballlehrer auch bei diesem Thema eine Meinung fernab des Mainstreams. „Worüber wollen wir uns beschweren?“, fragte Hecking. „Es wurde alles korrekt entschieden, auch wenn es knapp war. Besser geht es gar nicht. Wir haben uns für den Videobeweis im Fußball entschieden, dann muss man damit auch umgehen.“ Zwar sei gerade das abgepfiffene Tor von Harnik so knapp gewesen, dass man die Abseitsentscheidung mit bloßen Auge gar nicht erkennen konnte. Aber: „Wenn es richtig war, dann ist es auch gerecht. Im Eishockey klappt der Videobeweis ja auch.“
Doch noch wird beim HSV in aller erster Linie Fußball gespielt – auch wenn man am Sonnabend in der ersten Halbzeit kurzzeitig einen anderen Eindruck bekommen konnte. Die Hamburger taten sich gegen die stark ersatzgeschwächten Dresdner schwer – und kamen erst besser ins Spiel, als Hecking sein über die Woche einstudiertes 4-4-2-System in ein 4-3-3 änderte. „Danach lief es besser“, gab auch der Trainer am Sonntag ohne Umschweife zu.
Die HSV-Spieler in der Einzelkritik
Dass es für den HSV am Ende nicht nur besser, sondern richtig gut lief, lag allerdings nicht nur an der Systemstellung, an den guten Einwechslungen, an dem herrlichen Treffer von Kittel oder dem Last-Minute-Tor von Kinsombi. Es lag vor allem an Tim Leibold, der einen sensationellen Tag erwischte. Der Linksverteidiger bereitete direkt oder indirekt alle Tore und Nicht-Tore vor, hatte die beste Zweikampfquote (88 Prozent), die meisten Ballkontakte (104), Flanken (4) und Torschussvorlagen (5). „Tim war der herausragende Spieler. Was er angeschoben hat, war richtig gut“, lobte auch Hecking, der sich zum Ende eine letzte Spitze in Richtung Kritiker aber nicht verkneifen konnte. „Am Donnerstag ist dann Abfahrt Richtung Osnabrück“, brummte Hecking. „Und dort können wir dann an unserer starken Auswärtsschwäche arbeiten.“