Hamburg. Hamburger Verantwortliche um Sportvorstand Boldt machen sich Gedanken, ob der aktuelle Kader für das große Ziel Aufstieg reicht.
Jonas Boldt verbrachte den Dienstagnachmittag auf dem Trainingsplatz. Während viele Manager in der Länderspielpause auf Scoutingtour gehen, will der Sportvorstand des HSV in diesen Tagen nah bei der Mannschaft bleiben und die Zeit für viele Gespräche nutzen. Seit fast sechs Monaten arbeitet Boldt nun in seiner Funktion beim HSV. Nach dem großen Umbruch im Sommer und einem intensiven ersten Saisondrittel in der Zweiten Liga haben die Verantwortlichen nun Zeit, die sportliche Situation und die Kaderzusammenstellung in Ruhe zu analysieren.
Boldt zieht nach 13 von 34 Spieltagen zumindest schon mal ein positives Zwischenfazit. „Wenn mir vor der Saison jemand 26 Punkte zu diesem Zeitpunkt angeboten hätte, hätte ich das in Anbetracht des großen Kaderumbruchs unterschrieben“, sagte Boldt am Dienstag im Abendblatt-Gespräch.
Der HSV liegt nach sieben Siegen, fünf Unentschieden und einer Niederlage derzeit zwei Punkte hinter dem Tabellenführer Arminia Bielefeld. Vieles deutet auf einen Dreikampf um die zwei direkten Aufstiegsplätze mit Bielefeld und dem Verfolger VfB Stuttgart (23 Punkte) hin. Die Hamburger gehen daher aktuell auch davon aus, dass sie bis zum letzten Spieltag der Saison um das große Ziel Aufstieg kämpfen müssen.
HSV hat das Hunt-Problem gelöst
Mit dem ersten Saisondrittel können die HSV-Bosse in jedem Fall zufrieden sein. „Es entwickelt sich etwas in unserer Mannschaft“, sagt Boldt. Vor allem in der Breite sind die Hamburger besser aufgestellt als in der vergangenen Saison, als das Team insbesondere auf den Gesundheitszustand von Aaron Hunt angewiesen war. Bislang zeigt sich, dass die Mannschaft auch ohne den erneut dauerverletzten Kapitän gut genug ist, um stabil zu punkten. Das sieht auch Jonas Boldt so. Der Sportvorstand legt in der Kaderstruktur Wert darauf, unabhängig von einzelnen Spielern zu sein.
Deshalb denken Boldt und seine Vorstandskollegen sowie Trainer Dieter Hecking und Sportdirektor Michael Mutzel auch schon an die kommende Wintertransferperiode. Gut möglich, dass der HSV seinen Kader im Januar noch einmal verstärken wird. „Es gibt immer Dinge zu verbessern“, sagt Boldt angesprochen auf mögliche Transfers. „Die Frage ist, wer im Winter verfügbar ist, ob wir selbst noch Spieler abgeben und wie unsere Verletztensituation aussieht“, so Boldt.
Grundsätzlich gilt der Markt im Winter als schwierig. Doch den Fehler, den die Verantwortlichen in den vergangenen zwei Winterpausen machten, soll sich diese Saison nicht wiederholen. Zweimal verzichtete man auf eine Soforthilfe. Einmal stieg der HSV ab, einmal verpasste er den Wiederaufstieg.
Wo der HSV Transfer-Bedarf hat
Bedarf hätten die Hamburger auf der Außenverteidigerposition. Jan Gyamerah wird nach seiner schweren Verletzung (Wadenbeinbruch) zwar im Frühjahr zurückerwartet. Bis der Rechtsverteidiger dem HSV aber wieder richtig helfen kann, dürfte die Saison vorbei sein. Auch sein Ersatz Josha Vagnoman (Fußwurzelbruch) wird frühestens im Laufe des Februars wieder spielfähig sein. Khaled Narey, der die Position bis zur Winterpause spielen wird, fehlt es derzeit am nötigen Selbstvertrauen. Sollte Linksverteidiger Tim Leibold mal fehlen, hätte der HSV ein echtes Problem.
Auch im Angriff ist der HSV noch nicht aufstiegsreif besetzt. Während Bielefelds Sturmduo Fabian Klos (10 Tore) und Andreas Voglsammer (8) nach Belieben trifft, steckt Hamburgs Lukas Hinterseer im Formtief. Der interne Vorwurf an den Österreicher ist dabei gar nicht die zuletzt fehlende Quote (zwei Tore in den jüngsten neun Spielen), sondern die fehlende Bindung zum Spielgeschehen. Hinterseer beschäftige den Gegner zu wenig, heißt es.
Bobby Wood habe das nach seiner Einwechslung zuletzt in Kiel besser gemacht. Das Vertrauen in den US-Amerikaner ist beim HSV aber nach wie vor nicht besonders groß. Und Martin Harnik, der nach seiner Zerrung am Dienstag gemeinsam mit Hunt wieder individuell auf dem Platz trainierte, muss nach der Sperre von Bakery Jatta die nächsten Spiele auf dem Flügel ran.
So wäre es nicht überraschend, wenn sich der HSV in der Winterpause im Sturm noch einmal verstärkt. „Wir analysieren unseren Kader täglich und beobachten den Markt. Der ist aktuell aber noch gar nicht in Bewegung“, sagt Boldt. „Wir machen uns Gedanken, werden aber keinen Aktionismus betreiben.“
HSV zieht Winter-Transfers in Erwägung
Nachdem der HSV in den vergangenen beiden Jahren im Winter vor allem aus finanziellen Gründen auf eine Nachbesserung verzichtete, sind die Verantwortlichen nach Abendblatt-Informationen in diesem Jahr bereit, Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch der Aufsichtsrat, der sich am Dienstagabend traf, soll nach Informationen des Abendblatts grundsätzliche Bereitschaft signalisiert haben.
Boldt sieht aber auch im aktuellen Kader noch ungenutzte Qualitäten. „Wir haben Spieler im Kader, die noch gar keine Gelegenheit hatten, sich richtig zu zeigen“, sagt er und meint damit nicht nur den Brasilianer Ewerton, der nach seinem Syndesmosebandanriss auf seinen ersten Einsatz drängt, sondern auch dessen Innenverteidiger-Kollegen Timo Letschert. Der Niederländer genießt bei den HSV-Verantwortlichen eine hohe Wertschätzung. Sein Auftritt beim 1:1 in Kiel bestätigte Boldt, Hecking und Mutzel in dieser Einschätzung. Letschert hat gute Chancen, nach der Länderspielpause in die Startelf zu rutschen. Auch weil der bislang unangefochtene Vizekapitän Rick van Drongelen nach seinen jüngsten Fehlern intern kritisch gesehen wird.
Der vierte Innenverteidiger, Kyriakos Papadopoulos, soll dagegen in der Winterpause wechseln. Papadopoulos hält sich derzeit bei der U 21 fit, lehnt einen Einsatz dort aber aktuell ab. Ein Zeichen dafür, dass der 27-Jährige einen Wechsel nicht mehr gefährden will. Sein Abgang würde die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, das der HSV in diesem Winter mal wieder einen Neuen holt.