Hamburg. An der Seite von Rick van Drongelen findet auch Gideon Jung wieder zu alter Stärke. Dabei sollte er eigentlich in Paderborn spielen.
Leicht verschnupft erscheint Gideon Jung am Mittwochmittag zum Gespräch mit dem Abendblatt. „Alles gut“, sagt der HSV-Profi, der das Nachmittagstraining im Hamburger Schmuddelwetter aber doch lieber ausfallen lässt. Alles gut – diese zwei Worte gelten nicht nur für den sportlichen Zustand des HSV, sondern auch für den Gesamtzustand des Gideon Jung.
Rund ein Jahr nach der schwersten Zeit seiner Karriere mit einem Knorpelschaden im Knie fühlt sich Jung wieder richtig gut. Daran kann auch eine leichte Erkältung nichts ändern. „Mir hat es gutgetan, die gesamte Vorbereitung mitzumachen. Das ist natürlich anders, als wenn man aus einer Verletzung kommt“, sagt Jung.
Dass der 25-Jährige heute ein Teil der besten Abwehr der Zweiten Liga ist – der HSV bekam in sieben Spielen erst fünf Gegentore – ist mal wieder ein gutes Beispiel für die Schnelllebigkeit im Fußball. Gerade einmal vier Monate ist es her, dass Jung im ersten Stock des Volksparkstadions im Büro des damaligen Sportvorstands Ralf Becker saß. Es war der Tag nach dem letzten Saisonspiel gegen Duisburg (3:0), bei dem Jung als HSV-Kapitän auflief.
Jung sollte zum SC Paderborn
Doch Beckers Plan sah vor, dass dieses Spiel das vorerst letzte für Jung im HSV-Trikot sein würde. Wie das Abendblatt erfuhr, war der Plan bereits ausgemacht. Jung sollte für ein Jahr auf Leihbasis zum SC Paderborn wechseln, um in einem ruhigen Umfeld wieder stabile Leistungen zu zeigen. Bei den Ostwestfalen hätte Jung trotz einer schwachen Rückrunde wieder in der Bundesliga spielen können. „Es war ein ehrliches Gespräch mit Ralf Becker. Vom Kopf her hatte ich mich eher auf einen Wechsel eingestellt. Dann kam eine neue sportliche Führung und die hatte eine andere Meinung“, sagt Jung.
Gemeint sind Trainer Dieter Hecking und Sportvorstand Jonas Boldt, der nur fünf Tage nach dem Gespräch mit Jung auf Becker folgte. Und die beiden hatten tatsächlich eine andere Meinung über Jung. Insbesondere Trainer Hecking, der sich gleich nach seinem Amtsantritt daran erinnerte, dass Jung noch vor einem Jahr bei vielen Bundesligisten hoch im Kurs stand. Hecking plante den U-21-Europameister von 2017 in seinem Kader vor allem für die Position im defensiven Mittelfeld ein.
Gutes Gespann mit van Drongelen
Heute hat Jung sechs von sieben Spielen von Beginn an gemacht – als Innenverteidiger. Weil Hecking im ersten Spiel gegen Darmstadt 98 (1:1) gesehen hat, dass Kyriakos Papadopoulos Geschwindigkeitsprobleme hat. Seitdem ist Jung an der Seite von Rick van Drongelen in der Innenverteidigung gesetzt. Die beiden bilden zusammen die neue Festung im Volkspark.
Zum selben Zeitpunkt der vergangenen Saison kassierte der HSV noch doppelt so viele Tore. „Wir haben viel gelernt aus der vergangenen Saison. Die Mannschaft tritt im Defensivverbund sehr gut auf“, sagt Jung, dem auch eine veränderte Positionierung zugutekommt. „Die Innenverteidiger stehen im Spielaufbau breiter, dadurch schaffen wir für die Sechser und Achter mehr Räume. In dieser Positionierung fühlen wir uns sehr wohl.“
Vor allem fühlt sich der dienstälteste HSV-Spieler, der 2014 von Rot-Weiß Oberhausen zum HSV kam, an der Seite von van Drongelen wohl. „Mit Rick habe ich mich vom ersten Tag an gut verstanden. Wir machen auch privat häufiger mal was zusammen“, sagt Jung. Dass die beiden im neu formierten HSV-Kader zu den wenigen Spielern gehören, die aus der Vorsaison übrig geblieben sind, überrascht. Schließlich stand nicht nur Jung kurz vor einem Wechsel, sondern auch van Drongelen, der gerne in der Bundesliga für den FC Augsburg gespielt hätte.
Papadopoulos schmort auf der Bank
Im Nachhinein ist der Verbleib der beiden Verteidiger die richtige Entscheidung gewesen. Die Neuzugänge Timo Letschert und Ewerton haben verletzungsbedingt noch kein Spiel bestritten, Papadopoulos schmort seit Wochen auf der Bank. Jung und van Drongelen zahlen das Vertrauen zurück. In der spielstarken HSV-Mannschaft haben Jung (91,82 Prozent) und van Drongelen (91,36) die besten Passquoten.
Dass Jung heute in der Innenverteidigung spielt, hat er auch seinem A-Jugend-Trainer Gert Grosche zu verdanken, der ihn in der U19 von RW Oberhausen aus dem Mittelfeld nach hinten positionierte. „Ich musste mich an die Position erst gewöhnen“, sagt Jung. Entscheidend war dann seine Zeit unter Christian Titz in den letzten Spielen der Bundesliga. „Unter Titz konnte ich mich als Innenverteidiger am besten entwickeln, weil wir viel Ballbesitz hatten und im Spielaufbau extrem gefordert wurden. Für mich war die Zeit sehr lehrreich“, sagt Jung.
Konkurrenz in HSV-Abwehr verschärft sich
In den kommenden Wochen wird es aber auch für Jung nicht einfacher, seinen Platz zu behaupten. Timo Letschert könnte am Wochenende das erste Mal im Kader stehen. Auch Papadopoulos unterstreicht im Training seine Ansprüche. Auf den 27-Jährigen gucken die HSV-Verantwortlichen ganz besonders. Sie wissen, dass sich der jähzornige Grieche mit seinem Bankplatz nicht dauerhaft anfreunden wird. Das wird auch für Letschert gelten.
Jung sieht es positiv. „Keiner kann sich zurücklehnen. Trotzdem haben wir eine gute Gemeinschaft. Wenn wir uns in der Kabine treffen, stimmt das Klima. Da gibt es keine Konflikte.“
Jung spricht gelassen. Er weiß, dass er beim HSV schon oft außen vor geglaubt war. Und am Ende doch immer wieder gespielt hat.