Hamburg. Sechs Tage nach dem verlorenen Stadtduell betreiben die Hamburger Wiedergutmachung – trotz der Sorgen um Trainer Dieter Hecking.
Derby? Welches Derby? Der HSV hat sechs Tage nach dem verlorenen Stadtduell beim FC St. Pauli erfolgreich Frustbewältigung betrieben. In dem, was tabellarisch ein Zweitliga-Topspiel sein sollte, besiegten die Hamburger den FC Erzgebirge Aue mit 4:0 (2:0) – und das unter erschwerten Umständen. Denn Trainer Dieter Hecking kann sich derzeit nicht mit voller Kraft der Mannschaft widmen. Dazu später mehr.
"Es war wichtig nach der Derbyniederlage die richtige Antwort zu geben – nicht nur für uns, sondern auch für die Fans", sagte Heckings Assistent Dirk Bremser. Beim Kader hatte sein Chef auf jene 20 Spieler vertraut, die er auch schon am Montag mit ans Millerntor genommen hatte. Doch in der Startelf nahm der HSV-Trainer gleich drei Umstellungen vor: Statt Bakery Jatta, David Kinsombi und Khaled Narey liefen Martin Harnik, Jeremy Dudziak und Kapitän Aaron Hunt auf. Für Harnik war es das Debüt in der Startelf nach seinem Wechsel von Werder Bremen – für Jatta das erste Saisonspiel, das für ihn auf der Bank begann.
Die neue Enthüllung um den Gambier soll bei der Entscheidung aber keine Rolle gespielt haben, wie Sportvorstand Jonas Boldt dem TV-Sender Sky versicherte: "Es gibt für uns in dem Fall keine neuen Erkenntnisse." Letztlich stelle Hecking die Mannschaft nach Trainingsleistung auf: "Aaron Hunt kann ein Spiel an sich reißen. Er und Martin Harnik können für noch mehr Respekt beim Gegner sorgen." Die beiden Ü-30-Spieler machten die Startelf zur ältesten in der kurzen Zweitligageschichte des HSV.
Vagnoman schießt erstes Profitor
Es war dann allerdings der Jüngste, der zeigte, wie es geht: Josha Vagnoman (18) legte von der rechten Angriffsseite kommend ein tolles Solo entlang der Strafraumkante hin, um dann mit links aus etwa 20 Metern abzuziehen. Aues Marko Mihojevic fälschte den Ball so ab, dass der unhaltbar zum 1:0 einschlug. Das war allerdings nicht der einzige glückliche Umstand bei Vagnomans erstem Profitor: Harnik stand im Sichtfeld von Torwart Martin Männel im Abseits. Doch Aues Beschwerden konnten Schiedsrichter Tobias Reichel nicht zur Überprüfung der Szene bewegen. Dem HSV war es egal (18. Minute).
Und die Mannschaft zeigte, dass sie auch im Zusammenspiel Tore zu schießen versteht: Aus der eigenen Hälfte schlug Rick van Drongelen einen hohen Ball an die rechte Strafraumkante, von dort legte Harnik toll in die Mitte ab, Landsmann Lukas Hinterseer brauchte nur zum 2:0 einzuschieben. Genial einfach – einfach genial (32.). Neun Minuten später versuchte der HSV den Spielzug zu kopieren, doch diesmal verpasste Hunt in der Mitte (41.).
Dass die Auer zu diesem Zeitpunkt noch zu elft auf dem Platz standen, war nach einem brutalen Einsteigen von Christoph Daferner gegen Dudziak keineswegs selbstverständlich – Reichel beließ es bei der Gelben Karte (37.).
Harnik und Hunt machen alles klar
Würde Aue in der zweiten Halbzeit zurückkommen? Nichts da. Keine zwei Minuten waren gespielt, als wieder van Drongelen seine Offensivqualitäten zeigte und mit einem langen Ball Harnik bediente. Der hielt diesmal selbst mit dem Spann drauf – 3:0 (47.). Für den gebürtigen Hamburger war es im zweiten Ligaspiel für den HSV das erste Tor.
Da wollte auch der andere ehemalige Bremer nicht nachstehen: Eine Vorlage von Sonny Kittel von der linken Seite drückte Kapitän Aaron Hunt zum 4:0 über die Linie (62.). Vier Torschüsse, vier Tore – die Effizienz zu diesem Zeitpunkt wäre eines Aufsteigers allemal würdig. In der Vorsaison hatte der HSV nur einmal einen so deutlichen Sieg errungen: beim 4:0 im März auf St. Pauli.
Am Ende ließ das Spiel bei den 44.021 Zuschauern im Volksparkstadion keine Fragen offen: Das Derby ist (fast) vergessen, der HSV als Tabellenzweiter wieder auf dem Gleis Richtung Bundesliga. Das bescheinigte auch der Gegner. "Der HSV ist eine andere Kategorie, als wir es sind", gestand Pascal Testroet. Torwart Männel war beeindruckt: "So wir der HSV heute gespielt hat, war das Erste Bundesliga." Nach dem 4:0 sei man nur noch darauf aus gewesen, nicht noch höher zu verlieren.
Sorgen um Trainer Hecking
Eine Ungewissheit aber bleibt: Was ist mit Dieter Hecking? Der Chefcoach hatte das Abschlusstraining am Sonnabend verpasst – aus familiären Gründen, wie es heißt. Lange war sogar unklar, ob er im Spiel seine Mannschaft betreuen würde. Die Tore bejubelte der 55-Jährige verhalten. Für Interviews stand Hecking am Sonntag nicht zur Verfügung, kurz nach dem Spiel verließ er das Stadion. In der Pressekonferenz ließ sich Hecking von seinem langjährigen Assistenten Bremser vertreten. Hecking will sich "zu gegebener Zeit" zu den privaten Problemen äußern.
Seine Mannschaft ließ sich von alldem nichts anmerken. "Ich bin sehr froh, dass sie Dieter mit einem Sieg beschenkt hat", sagte Bremser. "Sie hat sich in dieser Situation vorbildlich und charakterstark verhalten." Auch das könnte eine neue Qualität des HSV sein.
Fan demoliert Aues Mannschaftsbus
Vor dem Spiel ist es am Stadion zu einem Zwischenfall gekommen. Nach "Bild"-Informationen hat ein Fan den Mannschaftsbus der Sachsen beworfen, die Frontscheibe wies danach einen Riss auf. Die Polizei habe den Vorfall aufgenommen.