Hamburg. Das Duell Jos Luhukay gegen Dieter Hecking ist ein Dauerbrenner. Vor dem Stadtderby spricht die Statistik für beide Trainer.

Dieter Hecking wirkt entspannt und ausgeschlafen, als er am Sonntagmittag um 13 Uhr den Presseraum des Volksparkstadions betritt. Hellgraues Hemd, dunkelblaue Jeans, weiße Turnschuhe. Sieben Kamerateams und 25 Journalisten warten gespannt auf forsche Töne und markige Ansagen des HSV-Trainers rund 30 Stunden vor seinem ersten Stadtderby beim FC St. Pauli an diesem Montag (20.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker). Doch ein Dieter Hecking lässt sich eben nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Schon gar nicht von einem Derby. „Ich bin nicht gefühlskalt. Aber es ist auch nicht so, dass mein Herz rast und ich schlecht schlafe“, sagt Hecking und macht dabei den Eindruck, dass man ihm nicht widersprechen möchte. „Ich freue mich einfach drauf“, ist der gefühligste Satz des 55-Jährigen am Tag vor dem 102. Hamburger Stadtderby.

6,5 Kilometer weiter östlich stadteinwärts sitzt rund 90 Minuten später der 56 Jahre alte Jos Luhukay und wirkt nicht weniger gelassen und aufgeräumt. Fünf Kamerateams und 14 Journalisten hoffen auf kantige Zitate, wie man sie bei St. Pauli von Luhukay seit seinem Amtsantritt im April kennt. Doch diesmal gibt er weder eine Schelte über eine zu ausgeprägte Komfortzone im Club noch über den körperlich nicht ausreichenden Zustand einzelner Spieler zum Besten.

Luhukay schwärmt noch vom Berliner Derby

Vermutlich ist die Gelassenheit der beiden Trainer-Routiniers darin geschuldet, dass es eben nicht ihr erstes Derby ist. Hecking hat in seiner seit 19 Jahren andauernden Trainerkarriere mit Lübeck gegen St. Pauli gespielt, mit Hannover gegen Braunschweig, mit Nürnberg gegen Fürth oder mit Mönchengladbach gegen Köln.

Luhukay durfte sogar schon ein Stadtderby erleben. 2013 mit Hertha BSC gegen Union Berlin vor 74.244 Zuschauern im Olympiastadion. „Alleine von der Stimmung her war es einzigartig. Ich glaube, das gibt es nirgendwo in Europa, dass ein Zweitliga-Derby so viele Menschen anzieht.“

Hecking ist Luhukays häufigster Gegner

Vor allem aber sind sich die beiden Trainer schon sehr häufig selbst begegnet. 15-mal hieß es in den vergangenen 19 Jahren Hecking gegen Luhukay. Für den Niederländer ist es mit Abstand die häufigste Trainerpaarung. Hecking stand nur den Fußballlehrern Jürgen Klopp (21), Thomas Schaaf (17) und Mirko Slomka (16) häufiger gegenüber als Luhukay. „Ich weiß schon ein bisschen, wie Jos tickt“, sagt Hecking und kann diese Aussage mit seiner Bilanz belegen. Auch wenn er sich an das erste Duell nicht mehr erinnern kann. „Wer hat gewonnen?“, fragte Hecking am Sonntag. Die Antwort: Hecking. Vor 1700 Zuschauern schlug er im November 2000 mit dem SC Verl in der Regionalliga den KFC Uerdingen mit Jos Luhukay 3:1.

Auch mit Lübeck gewann er gegen Luhukays Uerdinger (2001). Mit Alemannia Aachen gegen Luhukays SC Paderborn (2005). Mit Hannover 96 gegen Luhukays Borussia Mönchengladbach (2007, 2008). Mit dem 1. FC Nürnberg gegen Luhukays FC Augsburg (2010, 2011) und mit dem VfL Wolfsburg gegen Luhukays Hertha BSC (2013, 2014). Nur zweimal musste er sich seinem Kollegen geschlagen geben. So auch in der jüngsten direkten Begegnung. Am 24. September 2014 siegte Luhukay mit Hertha 1:0 gegen Wolfsburg.

Gegenseitige Lobhudelei

Nun also Duell Nummer 16. Erstmals stehen sich Hecking und Luhukay in einem echten Derby gegenüber. Der HSV-Coach geht davon aus, dass Luhukay St. Pauli taktisch und mental besser einstellen wird als dessen Vorgänger Markus Kauczinski beim 0:4 im März. „Seine Mannschaften sind taktisch immer gut strukturiert, die Arbeit gegen den Ball ist Jos sehr wichtig. Ich sehe bei St. Pauli seine Handschrift. Die erste Halbzeit in Dresden hat gezeigt, wozu dieses Team fähig ist“, sagt Hecking.

Auch Luhukay hält eine Lobeshymne, als er am Sonntag auf den Derby-Gegner angesprochen wird. „Der HSV ist sehr gut strukturiert, es passt defensiv als auch offensiv sehr gut zusammen“, sagt er. „Er hat vor allem zwei hervorragende Auswärtsspiele in Nürnberg und Karlsruhe absolviert. Das Torverhältnis ist schon sehr beeindruckend.“ Heckings Team (+10) hat nach fünf Spielen eine deutlich bessere Tordifferenz als St. Pauli (-2). „Es wird eine große Herausforderung, gegen das beste Team der Liga zu bestehen“, sagt Luhukay.

Hecking und Luhukay lernten sich im Lehrgang kennen

Der frühere Mittelfeldspieler spricht auch deshalb voller Respekt über den HSV, weil er Respekt vor Hecking hat. „Dieter hat überall, wo er auch gearbeitet hat, den Erfolg in seiner Art und Weise herbeiführen können. Ich schätze ihn sehr und freue mich auf das Wiedersehen“, sagt Luhukay. Etwas besser als sein Kontrahent kann sich St. Paulis Trainer noch an ihre ersten Begegnungen erinnern. „Wir haben uns 2000/2001 kennengelernt, als wir in Hennef gemeinsam die A-Lizenz gemacht haben. Die Statistik zeigt, dass wir beide schon sehr lange dabei sind und immer noch unseren Beruf ausüben dürfen“, sagt Luhukay. 477 Spiele coachte er in seiner Karriere, Hecking hat sogar schon 713 Partien als Trainer bestritten.

Am 13. Mai 2010: Soeben haben Luhukays (l.) Augsburger das Relegations-Hinspiel bei Heckings Nürnbergern mit 0:1 verloren.
Am 13. Mai 2010: Soeben haben Luhukays (l.) Augsburger das Relegations-Hinspiel bei Heckings Nürnbergern mit 0:1 verloren. © Imago/Bernd Müller

Von all den Niederlagen, die Luhukay im direkten Aufeinandertreffen mit Hecking hinnehmen musste, sind ihm besonders schmerzhaft die Relegationsspiele mit dem FC Augsburg im Mai 2010 in Erinnerung. „Es war ein sehr negativer Moment in meinem Trainerleben“, sagt Luhukay heute über das 0:1 und 0:2 gegen den damaligen Bundesliga-16. Nürnberg. „Ein Jahr später sind wir dann aber aufgestiegen.“

Luhukay ist ein HSV-Schreckgespenst

So schlecht es meist gegen Hecking lief, so gut liest sich Luhukays persönliche Bilanz gegen den HSV. Vier von sieben Spielen gewann er, dazu kam ein Unentschieden. Das Besondere: die jüngsten vier Spiele gegen den HSV gingen alle an Luhukay und das mit einem Torverhältnis von 8:0. „Wenn morgen bei uns auch die Null steht, ist die Chance auf einen Sieg schon mal größer“, sagt der HSV-Experte aus Holland.

Hecking wiederum ist ein St.-Pauli-Spezialist. Als Spieler schoss er 1998 für Hannover 96 beim 3:0 gegen die Hamburger seinen einzigen Hattrick der Karriere. Vier Jahre später siegte er als Trainer des VfB Lübeck in der Zweiten Liga 6:0 gegen St. Pauli. Ein historischer Tag an der Lohmühle. Hecking hätte viele Gründe, die besondere Brisanz eines Derbys gegen St. Pauli hervorzuheben. Stattdessen lässt er sich nur einen trockenen Satz entlocken: „Das Stadtderby ist schon etwas Besonderes.“

Hecking pokert mit der Aufstellung von Dudziak

Etwas brisanter dürfte dagegen die Rückkehr von Jeremy Dudziak ans Millerntor ausfallen. Kurz vor dem Derby im März wurde bekannt, dass der 23-Jährige zum HSV wechseln will. Als der Transfer später offiziell wurde, denunzierten ihn die St.-Pauli-Fans als „Rautenschwein“. Ob Dudziak von Beginn an spielt, ließ Hecking offen. Bedenken hätte er keine. „Jerry ist ein Eisvogel. Der macht sich vor nichts in die Hose. Er ist eine ernsthafte Option“, sagt Hecking.

Es passt zur Entspannungspolitik der beiden Clubs vor dem Derby, dass auch St. Pauli die Rückkehr von Dudziak nicht nutzt, um die Stimmung aufzuputschen. „Wie ich unsere Fans kenne, haben sie Respekt vor jedem Spieler, der hier spielt und auch hier einmal gespielt hat. Ich hoffe, dass die normalen Normen und Werte eingehalten werden“, sagt Luhukay. Und Hecking: Der wünscht sich vor allem zwei Dinge: ein schönes Spiel ohne Unterbrechungen und drei Punkte. Oder wie es sein Kollege sagt: „Wir wollen spielen, um zu gewinnen und nicht mit der Angst antreten, etwas zu verlieren.“