Hamburg. Michael Hein („Millernton“) und Timo Horn (HSV Supporters) trafen sich zum Verbalduell im Podcast. Es ging um Pyro, Ultras und Jatta.

Als sich Michael Hein und Timo Horn am Tischkicker in der Abendblatt-Redaktion gegenüberstehen, fällt einem direkt eine Gemeinsamkeit auf. Wie die meisten Profifußballer haben die beiden ihre Unterarme tätowiert. Und auch bei vielen Meinungen sind der langjährige Fan des FC St. Pauli und der Chef des HSV Supporters Clubs auf einer Linie. Doch schon die Wahl ihrer Kleidung macht klar, worum es bei diesem Treffen geht: um das Stadtderby zwischen den beiden Hamburger Proficlubs, das am Montag (20.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) im Millerntor-Stadion ausgetragen wird.

„Für mich ist das Derby schon ein wichtiges Spiel“, sagt Timo Horn gleich zu Beginn, als er in seinem HSV-Trikot im Podcast-Studio Platz nimmt und die Kopfhörer aufsetzt. Der 41-Jährige ist Vorsitzender der größten Abteilung des HSV e. V., des Supporters Club. Dass Horn für den Stadtrivalen nicht sonderlich viele Sympathien übrighat, macht er ebenfalls deutlich. „Ich mag die da immer noch nicht. Ich finde einfach vieles zu aufgesetzt, was die da machen.“

Das 0:4 gegen den HSV hat bei St. Pauli Spuren hinterlassen

Die da, das sind die Verantwortlichen und Fans von St. Pauli. Einer von ihnen ist Michael Hein. Der 42-Jährige geht seit 30 Jahren zum Millerntor, hat in dieser Zeit rund 600 Spiele live gesehen und engagiert sich in der Fanszene. Mit seinen Kollegen betreibt er den bei St.-Pauli-Fans beliebten Podcast „Millernton“. An die Adresse von Horn sagt Hein: „Ich finde es schön, dass der HSV nicht aufgestiegen ist und wir so schnell die Chance haben, das 0:4 wiedergutzumachen.“

Das 0:4 vom 10. März dieses Jahres hatte bei St. Pauli Spuren hinterlassen. Nicht nur auf der sportlichen Führungsebene, sondern vor allem innerhalb der Fanszene. „Es gab einen Zerriss“, sagt Hein, der selbst bei jedem Heimspiel auf der Gegengeraden steht. Zur Erinnerung: Aus der Südkurve flogen während des Derbys Leuchtraketen auf den Platz, Pyrotechnik wurde fast pausenlos gezündet. „Ihr seid scheiße wie der HSV“, riefen die Fans von der Gegengerade den eigenen Ultras auf der Süd entgegen. Der Verein sprach von einer „Zäsur“.

Wiedervereinigung in St. Paulis Fanszene scheint gelungen

Hein spricht ein halbes Jahr später von einem langen Aufarbeitungsprozess, der hinter dem FC St. Pauli liege. Ein „Generationenkonflikt“ habe dazu geführt, dass das Zerwürfnis eskaliert sei. Vor drei Wochen beim Heimspiel gegen Holstein Kiel aber habe es einen Wendepunkt gegeben. Einen Wechselgesang zwischen der Gegengeraden und der Süd, der „einfach nicht aufgehört hat“, erzählt Hein. „Das war für uns der Schulterschluss.“ Rechtzeitig vor der Neuauflage gegen den Rivalen aus dem Volkspark scheint die Wiedervereinigung in St. Paulis Fanszene gelungen zu sein.

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Wie nachhaltig der Schulterschluss gewirkt hat, könnte sich bereits am Montag zeigen. Dass St. Paulis Fans auf den Einsatz von Pyros verzichten werden, kann sich Hein nicht vorstellen. Schließlich werde Pyrotechnik am Millerntor zwar nur selten gezündet, bei Highlightspielen aber dafür umso mehr. „Ich gehe davon aus, dass es bei uns wieder Pyro geben wird“, sagt Hein. Und der selbstständige PR-Berater macht auch gar kein Geheimnis daraus, dass er Pyrotechnik im Stadion befürwortet. „Ich bin ein Verfechter von Pyro, ich mag Pyro, und ich finde, dass es ein super Stilmittel ist.“

Horn: "Ich habe kein Problem mit Pyro"

Diese Meinung teilt Hein mit seinem HSV-Kollegen Horn, der im Podcast-Studio direkt neben ihm sitzt. „Ich habe kein Problem mit Pyro und finde auch, dass es als Stilmittel schön anzusehen ist“, sagt der Supporters-Chef, der hauptberuflich als Key Account Manager arbeitet. Allerdings schränkt Horn ein: „Wir müssen endlich Lösungen finden, damit wir Pyrotechnik gefahrlos und legal im Stadion benutzen können.“ Tatsächlich arbeitet der HSV schon seit Monaten im Hintergrund an der Möglichkeit, ein koordiniertes Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion zu ermöglichen.

Von Strafen durch das DFB-Sportgericht blieb der HSV dadurch aber bislang nicht befreit. Erst vor zwei Tagen hatte der DFB den Club wieder zu einer Zahlung von 13.800 Euro verurteilt, weil Fans beim Pokalspiel in Chemnitz Pyros gezündet hatten. Nach dem Stadtderby bei St. Pauli musste der HSV sogar eine Rekordstrafe von 150.000 Euro an den DFB zahlen, während der Kiezclub „nur“ 100.000 Euro aufbringen musste, obwohl auf St. Paulis Seiten im Fanblock mehr Pyro-Fackeln (73) abgebrannt wurden als beim HSV (45).

Fall Jatta führte die Vereine wieder näher zusammen

Wie das Abendblatt erfuhr, reiste der HSV danach mit einer Delegation um Clubchef Bernd Hoffmann, den bisherigen HSV-Justiziar Julius Becker, Stadionchef Kurt Krägel sowie Cornelius Göbel von der Fanbetreuung nach Frankfurt zur DFB-Zen­trale, um das Strafmaß zu lindern. Ohne Erfolg. Der DFB verwies auf die vorherigen Pyro-Vorfälle beim Abstiegsspiel gegen Borussia Mönchengladbach sowie auf das Pokalspiel bei Wehen Wiesbaden, als die Partie kurz vor dem Abbruch stand.

„Ich hoffe, dass wir einen Konsens mit den Ultras finden“, sagt Horn und blickt rüber zu seinem Sitznachbarn Michael Hein. Dass die beiden Vereine und ihre Fans sich in den vergangenen Wochen angenähert haben und die Tage vor dem Derby auch für die Polizei bislang ungewohnt ruhig verliefen, hat auch mit dem Fall Bakery Jatta zu tun. „You’ll never walk alone“, schrieb der FC St. Pauli am Donnerstag unter den Ins­tagram-Eintrag des HSV-Profis, der sich erstmals öffentlich über die Debatte um seine Identität geäußert und sich dabei auch beim FC St. Pauli für die Unterstützung bedankt hatte. Der Umgang des HSV mit dem Fall imponierte nicht nur St. Paulis Präsidenten Oke Göttlich, sondern auch Fan Michael Hein. „Das war ziemlich cool“, sagt er. Timo Horn wiederum lobte den Stadtrivalen. „Dass sich St. Pauli so klar positioniert hat, fand ich sehr sympathisch.“

Bevor die beiden sich aber zu sympathisch wurden, legten sie am Ende des Wortduells wieder den Fokus auf den Platz und auf die Rivalität. „Ich will das Derby gewinnen“, sagen Hein und Horn unisono. „Wir wollen den HSV diese Saison zweimal ärgern“, kündigt Hein an. Horn kontert mit der Erinnerung an den amtierenden Stadtmeister. „Wir mussten uns sieben Jahre lang dieses Stadtmeister-Gesabbel anhören, von daher war das 4:0 eine echte Genugtuung.“

FC St. Pauli: Der Kader steht

Ausdünnen: Trainer Jos Luhukay hat schon am Freitag den Kader für das Derby auf 20 Feldspieler und zwei Torhüter reduziert. So fehlen die Offensivspieler Cenk Sahin und Kevin Lankford sowie Mittelfeldspieler Rico Benatelli.

Aussperren: Anders als beim HSV findet das Training am Sonnabend und Sonntag unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

HSV: Training mit den Fans

Einheit: Am Sonntag um 15.30 Uhr lädt HSV-Trainer Dieter Hecking zum letzten Training vor dem Derby die Fans ein. Normalerweise findet das Abschlusstraining unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Spielzeit: Die U 21 des HSV spielt am Sonnabend (13 Uhr) im Regionalligaderby gegen Werder Bremen II an der Hagenbeckstraße ohne Unterstützung der Profis.