Hamburg. Wie der HSV wurde auch der Gegner im Sommer auf links gedreht. Doch der Bundesliga-Absteiger hatte dabei einen Vorteil.

Es war wieder dieser eine Moment, in dem das Können von Xavier Amaechi aufblitzte. Eine kurze Finte in der Vorwärtsbewegung, dann der Pass durch die Schnittstelle der Abwehr auf Jan Gyamerah, der auf den frei stehenden Lukas Hinterseer querlegte – Tor. Wie schon die gesamte Woche war der 18 Jahre alte Neuzugang auch beim Abschlusstraining vor dem Topspiel der 2. Bundesliga am Montagabend beim 1. FC Nürnberg (20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) meistens beteiligt, wenn der HSV mal schnell nach vorne spielte.

Die Belohnung folgte am Nachmittag, als der 2,5-Millionen-Transfer ein Flugticket für die Auswärtsreise erhielt. Auch wenn Amaechi die Abläufe im 4-3-3-System von Trainer Dieter Hecking noch nicht verinnerlicht haben und auch die Stärken und Schwächen seiner Mitspieler noch nicht immer einschätzen kann, zählte er zum 20-Mann-Tross, der sich auf den Weg nach Nürnberg machte. Nur acht Tage nach seinem Wechsel von Arsenal London in die Hansestadt soll der Flügelstürmer in Nürnberg voraussichtlich die Rolle als Joker ausfüllen. „Er ist ein sehr, sehr guter Flügelstürmer“, lobte Hecking am Sonntag. „Das hat er auch in den Trainingseinheiten, die er mitmachte, schon zeigen können.“

Zweimal „sehr“ – mehr Lob gibt es von Hecking selten. Trotzdem wurde der HSV-Trainer vor dem Abflug nicht müde zu betonen, dass Amaechi und die ganze Mannschaft natürlich Zeit bräuchten, die Automatismen einzustudieren. „Wer das nicht begreift, dem kann ich nicht helfen“, sagte er bereits zu Wochenbeginn. Am Sonntag ergänzte der 54-Jährige, der gegen Nürnberg gleich sieben Neuzugänge beginnen lassen dürfte: „Ich kann nicht sagen, wie lange dieser Prozess dauert.“ Natürlich weiß der Coach um die Bedeutung von Erfolgserlebnissen in dieser Phase der Entwicklung. „Dann gewinnt man schneller das Vertrauen der Spieler. Aber auch Rückschläge können die Truppe zusammenschweißen.“

Nürnbergs Umbruch war größer als gewollt

650 Kilometer weiter südlich steht Nürnbergs österreichischer Trainer Damir Canadi vor einer ähnlichen Herausforderung. Auch die Franken haben nach dem Bundesliga-Abstieg im Sommer einen großen Umbruch vollzogen. Dieser fiel letztlich größer aus als gewollt, woran auch die Hamburger ihren Anteil haben. Denn die Abwehrspieler Ewerton und Tim Leibold waren als wichtige Stützen für das Projekt Wiederaufstieg eingeplant – bis der HSV sich für insgesamt 3,8 Millionen Euro bei der Konkurrenz bediente.

Beim Club blicken die Verantwortlichen den beiden nicht eingeplanten Abgängen noch immer mit mindestens einem weinenden Auge hinterher. Immerhin ist es Sportvorstand Robert Palikuca (41) gelungen, die Führungsachse aus Torhüter und Ex-HSV-Profi Christian Mathenia, der wegen anstehender Vaterfreuden auszufallen droht, Innenverteidiger Georg Margreitter, Mittelfeldmann Hanno Behrens und Stürmer Mikael Ishak zu halten. Darin liegt auch der größte Unterschied im Vergleich zum Umbruch beim HSV, der überwiegend auch seine Schlüsselpositionen neu besetzt hat.

Ist Nürnberg also schon weiter als der Club aus dem Volkspark? „Sie haben ein von der Homogenität her gutes Team mit vielen gestandenen Spielern, die von ihrer Robustheit leben“, lobte Hecking den kommenden Gegner. Seine Worte waren bewusst gewählt. Denn sie dienten als Hinweis, dass die Franken ihre Stärken vor allem im Verteidigen haben.

Nürnbergs Neue hatten einen Vorteil

Trainer Canadi steht eigentlich für modernen Umschaltfußball. Momentan beschränkt sich der spielerische Ansatz seiner Mannschaft aber auf eine defensive Grundausrichtung. Denn nicht nur die Neuzugänge, auch die etablierten Profis wie Behrens tun sich schwer mit der laufintensiven Spielidee ihres neuen Chefs. Notgedrungen muss Canadi deshalb die Balance des Teams seinem angestrebten Konterfußball unterordnen.

Ähnlich wie der HSV befindet sich auch Nürnberg im Eingewöhnungsprozess. Dürfen die Fans beider Lager also ein Duell auf Augenhöhe erwarten? „Die Aufgabe wird uns alles abverlangen, aber wir haben einiges entgegenzusetzen“, floskelte Hecking am Sonntag.

Die Pressekonferenz mit Dieter Hecking:

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Der Coach weiß aber auch, dass es noch einen zweiten Unterschied gibt. Anders als der Absteiger, der den Kern seiner Neuzugänge bereits zum Trainingsauftakt beisammen hatte, musste Hecking große Teile der Vorbereitung auf seine neuen Spieler verzichten. Abwehrmann Timo Letschert und Amaechi sind seit gerade mal einer Woche da, der zentrale Mittelfeldspieler David Kinsombi und Innenverteidiger Ewerton fehlten lange Zeit verletzungsbedingt.

Kittel dürfte auf Linksaußen starten

Zum Saisonstart gegen Darmstadt vertraute der HSV-Coach trotzdem bereits sechs Neuzugängen. Nur sechs, muss man fast sagen. Denn in den kommenden Wochen wird Hecking weitere Zugänge in seine Stammelf integrieren. In Nürnberg dürfte mit Sonny Kittel auf Linksaußen zunächst ein weiterer hinzukommen. Im Abschlusstraining wechselte sich der 26-Jährige mit Kapitän Aaron Hunt als Schütze von Freistoßflanken ab. Heckings klare Vorgabe: Kittel soll für mehr Torgefahr sorgen. „Er ist auf einem richtigen guten Weg und wird immer besser“, sagte der Coach. „Sonny ist sehr sensibel und braucht viel Zuspruch. Wenn er diesen spürt, kann er den Unterschied ausmachen.“

Die Neuzugänge erhalten zwangsläufig viel Verantwortung im neuen Mannschaftskonstrukt des HSV. Und auch wenn der Kader noch gar nicht sein volles Leistungspotenzial ausschöpfen kann, müssen bereits in dieser Phase Erfolge her, um der Konkurrenz nicht schon früh in der Saison hinterherzulaufen. Eine Sichtweise, der Hecking aber nur bedingt etwas abgewinnen kann: „Es ist in diesem Verein total verankert, dass das Negative erst mal nach Hamburg kommt, bevor es dann weiter nach Dänemark zieht“, sagte Hecking – und zog dann selbst von dannen. Nicht ins nördliche Dänemark, sondern gen Süden nach Nürnberg.

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