Hamburg. Das 18 Jahre alte HSV-Talent aus England ist da – und der Wirbel ist groß. Ist so viel Rummel um einen Youngster wirklich noch normal?
Um 10.38 Uhr hatte das lange Warten am Montagvormittag ein Ende. Zur Überraschung der zuvor um den vermeintlich besten Platz ringenden Fotografen joggte das neue HSV-Talent Xavier Amaechi über einen Nebeneingang zum Spielersatztraining auf einem Platz neben dem Volksparkstadion. Dort begrüßte ihn Co-Trainer Dirk Bremser als Erster und beide demonstrierten inmitten des Blitzlichtgewitters, dass der einstudierte Handshake schon bestens sitzt. Rund 90 Minuten später war Amaechis erste Einheit in Hamburg beendet. Wie es sich für Jungprofis gehört, schleppte er eines der Tore vom Feld. Vermeintliche Starallüren scheinen dem von Arsenal London verpflichteten Offensivspieler fremd.
HSV benötigt Amaechi fürs Eins-gegen-Eins
Weitere 90 Minuten und einen ersten Termin mit seiner Deutschlehrerin später hatte Amaechi die Trainingsklamotten gegen ein weißes T-Shirt, weiße Turnschuhe mit offenen Schnürsenkeln und eine schwarze Sporthose eingetauscht, als er sich den Medienvertretern mit bestem britischen Akzent vorstellte. „Das Wort ,Moin’ kenne ich schon, aber ich will so schnell es geht die Sprache lernen“, sagte der 18-Jährige am Tag nach dem 1:1-Remis zum Zweitligaauftakt gegen Darmstadt, bei dem der HSV seine Qualitäten in Eins-gegen-eins-Situationen hätte gebrauchen können, wie Trainer Dieter Hecking zugab.
„Er ist ein sehr, sehr guter Flügelstürmer, der auf beiden Außenbahnen spielen kann und der eine gute Dynamik hat“, lobte der Coach seinen elften Neuzugang, den er gern schon vor Wochen in Hamburg empfangen hätte. „Der Transfer hat sich trotz seiner klaren Signale hingezogen wie Kaugummi“, sagte Hecking. „Arsenal hätte ihn lieber innerhalb der Premier League verkauft, um mehr Geld zu bekommen. Am Ende wollten sie sogar noch den Vertrag mit ihm verlängern, das hat er aber abgelehnt.“ Denn Amaechi wollte unbedingt zum HSV, wie er am Montag nicht müde wurde zu betonen. „Das war mir seit Januar zu 100 Prozent klar“, sagte der Youngster. „Hamburg war die beste Option für mich, der Verein hat mir eine klare Vision aufgezeigt, wie er in Zukunft mit mir plant.“
Die HSV-Transfers 2019/20:
Amaechi & Co.: Die HSV-Transfers 2019/20
Amaechi genießt noch Familienbeistand
Für den Moment übernachtet Amaechi gemeinsam mit seinen Eltern im HSV-Mannschaftshotel Grand Élysée. Sobald er eine Wohnung in der Hansestadt gefunden hat, werden seine Eltern zurück nach London reisen. Diesmal aber mit dem Flieger und nicht wie bei der zwölfstündigen Hinfahrt in der Nacht zum Sonnabend mit dem Auto und der Fähre, weil zwei Tage in Folge sämtliche vom Verein gebuchten Flüge ausgefallen waren.
Die ersten Tage in seiner neuen Heimat wird Amaechi also noch von seiner Familie begleitet. Dann muss er erstmals in seinem Leben allein zurechtkommen – und dabei vor allem lernen, mit der jetzt schon immensen Erwartungshaltung richtig umzugehen. „Ich muss auf dem Boden bleiben, an mich glauben und hart arbeiten“, sagt Amaechi, der sich um nicht abzuheben der Unterstützung seiner Teamkollegen sicher sein kann. „Es ist natürlich nicht einfach für die jungen Leute heutzutage. Da kommt man mit 18 Jahren daher und man wird direkt mit Jaden Sancho von Borussia Dortmund verglichen“, sagt Ersatztorwart Tom Mickel im Abendblatt-Podcast. „Früher hatte man drei oder vier Jahre Zeit, sich in Ruhe zu entwickeln. Jetzt müssen alle sofort funktionieren. So ist das Geschäft geworden.“
Amaechi will sich nicht mit Arp vergleichen
Einer, der dem Hamburger Hype um seine Person nicht immer standhalten konnte und dessen Entwicklung zuletzt stagnierte, ist Fiete Arp. Nach einer enttäuschenden Saison mit gerade mal einem Tor und nur 506 Spielminuten suchte der 19-Jährige in diesem Sommer eine sportliche Veränderung und wechselte zum FC Bayern, wo er nun einer von vielen und nicht mehr das umjubelte Juwel ist. „Alle Hoffnungen und Wünsche auf eine einzelne Person abzuladen, war zu extrem. Das wurde ihm nicht gerecht, und es hat einen unglaublichen Druck verursacht“, sagt Mickel über Arps HSV-Zeit. „Jeder hat erwartet, dass er in jedem Spiel drei Tore und zwei Fallrückzieher schießt. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass Fiete ein bisschen mehr 18-Jähriger hätte sein können.“
Eine Saison später haben Fans, Club und Medien die Möglichkeit, es bei dem neuen 18 Jahre alten Talent Amaechi besser zu machen. Der englische U-18-Nationalspieler kennt die Historie von Arp, will sich aber nicht mit ihm vergleichen. „Es ist wichtig, dass ich bescheiden bleibe und auf meine Chance warte“, sagt Amaechi. Na dann: Good Luck.