Hamburg. Kölner Keller rettet Hamburg gegen Darmstadt. Viel Aufregung um die neue Regel in der Zweiten Liga – 98-Profi zerschmettert Scheibe.
Es lief die fünfte Minute der Nachspielzeit, als sich Aaron Hunt am Sonntagnachmittag die Ruhe und Zeit nahm, um sich Informationen aus erster Hand zu besorgen. „Ich habe den Wintzi kurz gefragt. Der hat gesagt, dass es ein klarer Elfmeter war. Dem glaube ich natürlich“, sagte Hunt, nachdem er als Konsequenz aus seinem Vieraugenplausch mit Manuel Wintzheimer kurz und schmerzlos das 1:1 in der 98. Minute gegen Darmstadt per Strafstoß erzielt – und damit einen krassen Fehlstart in die zweite Zweitligasaison des HSV verhindert hatte. „Das Einzige, was bei mir im Kopf war: der Ball muss irgendwie rein.“
Um es kurz zu machen: Der Ball war drin, das Spiel wurde abgepfiffen, Darmstadts Marvin Mehlem wütete in den Katakomben, zerschmetterte die Scheibe der Gästekabine – und die Diskussionen sollten erst so richtig losgehen. Besonders Gästetrainer Dimitrios Grammozis, der bis 2000 noch selbst für den HSV gespielt hatte, wollte den Strafstoß nicht nachvollziehen. „Für uns ist das unerträglich“, sagte er. „Wenn es so glasklar gewesen sein soll, dann hätte der Schiedsrichter auch sofort auf Elfmeter entscheiden können. Oder eben nicht.“
Schiedsrichter Robert Hartmann entschied sich für die Weder-noch-Möglichkeit. Der Wangener ließ zunächst weiterspielen, bekam dann einen Hinweis von Videorichterin Bibiana Steinhaus aus Köln und entschied schließlich, sich die spielentscheidende Szene selbst noch einmal anzuschauen. Dies tat er auch – mehr als zwei quälend lange Minuten, ehe der 39-Jährige seine Meinung revidierte und auf den Punkt zeigte.
Hartmann und Steinhaus verwehren HSV Elfmeter
Hätte Hartmann HSV-Sportvorstand Jonas Boldt statt Steinhaus gefragt, wäre er schneller zu einem Urteil gekommen. Wie er die Szene gesehen habe, wurde Boldt nach dem Schlusspfiff gefragt. „Klarer Elfmeter“, antwortete der HSV-Verantwortliche, der sich nur leider nicht mit dem Adjektiv „unparteiisch“ schmücken darf. Und trotzdem: „Wenn der Schiedsrichter sich die Szene noch einmal anschaut, dann muss er ihn auch geben“, urteilte Boldt. „Das war doch der Klassiker: Darmstadts Dumic sieht ihn nicht, kommt zu spät, trifft ihn. Da brauchen wir nicht zu diskutieren.“
Von wegen. Diskutiert wurde nach dem wechselhaften Zweitligaauftakt des HSV gegen Darmstadt sehr vehement – wahrscheinlich auch deswegen, weil es den Videobeweis in der Zweiten Liga bislang noch nicht gegeben hatte. Nur so ist es auch zu erklären, dass Hartmann schon in der ersten Hälfte nach einem Foul von Patrick Herrmann an Tim Leibold auf die nun neue Möglichkeit verzichtete, sich selbst noch einmal von der Richtigkeit (oder der Unrichtigkeit) seiner Entscheidung zu überzeugen. „Ich hätte auch da schon den Elfmeter gegeben“, sagte Boldt. „Es gab eine Kommunikation mit Köln, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, was da besprochen wurde.“
Nach Adam Riese griff der sogenannte Kölner Keller also zweimal entscheidend ein: einmal zugunsten und einmal zuungunsten des HSV. Was für ein Fazit konnte man also aus diesem videobeweislastigen Start ziehen? „Ich weiß nicht so richtig, wie ich dieses Spiel einordnen soll“, sagte Hunt – und versuchte es doch: „Wir haben eine gute erste Halbzeit gespielt. Und dann starten wir katastrophal in die zweite Halbzeit.“
Hecking widerspricht einem Journalisten
Es war, da waren sich viele der 44.475 Beobachter einig, verblüffend ähnlich wie so oft in der jüngeren Vergangenheit: stark begonnen, stark nachgelassen – und am Ende stand man nach Darmstadts Tor durch den gerade erst eingewechselten Tim Skarke (46.) plötzlich mit leeren Händen da. Wobei genau an dieser Stelle der entscheidende Unterschied zur vergangenen Saison zu finden ist.
„Die Mannschaft ist nicht eingebrochen, da muss ich widersprechen“, sagte Dieter Hecking, als ein Journalist ihn mit seinen Eindrücken nach der Partie konfrontierte. „Ich will nicht alles schön reden, aber heute müssen wir mit dem Punkt zufrieden sein“, so der Trainer. „In der vergangen Saison wären wir mit dem Punkt sehr zufrieden gewesen.“
Last-Minute-Retter Hunt, der bei der dramatischen 2:3-Pleite vor vier Monaten verletzt gefehlt hatte, nahm den verbalen Steilpass seines Trainers gekonnt auf: „Dafür dass wir so viele Neue auf dem Platz hatten, haben wir eine sehr gute erste Halbzeit gespielt. Darauf können wir aufbauen, da können wir viel von mitnehmen“, bilanzierte Hunt.
"Auch ohne Tikitaka hat der Einsatz gestimmt“
Tatsächlich waren Abwehrmann Rick van Drongelen und die Flügelstürmer Khaled Narey sowie Bakery Jatta die einzigen drei HSV-Profis, die von dem schwarzen Märztag aus der damaligen Startelf auch beim Neustart in die neue Saison übrig geblieben waren. „Es war heute nicht alles glänzend und hervorragend“, gab Jonas Boldt zu, aber: „Die Moral der Truppe stimmt, der Punkt ist mehr als verdient.“ Und: Die Spiele in der Rückrunde wären ja nun wirklich nicht sehenswert gewesen. „Das war heute anders, auch wenn es kein Leckerbissen war. Auch ohne Tikitaka hat der Einsatz heute gestimmt.“
Unter dem Strich: Ende fast gut, alles fast gut. Fehlte nur noch Dieter Heckings dezidierte Meinung zu den beiden spielentscheidenden Szenen. Strafstoß oder kein Strafstoß, das war hier die Frage. „Wenn er pfeift, ist es Elfmeter. Den ersten hat er nicht gepfiffen, also ist es kein Elfmeter.“ Ende der Diskussion.