Hamburg. Der neue Cheftrainer hat fünf Kinder, ist einer der erfahrensten deutschen Trainer – und mal wieder ein neuer Hoffnungsträger des HSV.

Ziemlich genau eine Woche ist es her, dass Dieter Hecking oben angekommen ist. Ganz oben. Rosi’s Sonnbergstuben in Kitzbühel. 1200 Meter hoch. Mit einem traumhaften Blick über die noch immer schneebedeckten Alpen. Hier trafen sich am Freitagabend vor einer Woche HSV-Chef Bernd Hoffmann, Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen, Sportvorstand Jonas Boldt, einige mitgereiste Medienvertreter und eben Neu-Trainer Hecking zum Abschluss des HSV-Trainingslagers in Österreich. Das Essen in der Tiroler Stube: sehr gut. Die Atmosphäre: sehr nett. Die Gespräche: sehr unterhaltsam.

Ganz schön viel „sehr“ für einen Club, der vor knapp zwei Monaten statt ganz oben vielmehr ganz unten war. Nicht-Aufstieg, Trainerbeurlaubung, Sportchefentlassung. Gefühlte 1200 Meter unter dem Meeresspiegel, der HSV war an seinem Ground Zero angekommen. Die Stunde Null in Liga zwei.

Doch was ist zwischen dem verpassten Aufstieg und dem damit verbundenen „ganz unten“ und Rosi’s Sonnenbergstuben und dem „ganz da oben“ eigentlich passiert? Ganz einfach: Hecking, Dieter.

HSV-Trainer Hecking: Noch nie so empfangen worden

Der neue Cheftrainer des HSV sitzt weit weg von Kitzbühel in einer Loge des HSV im Volksparkstadion und soll erklären, warum die Fans, die so viel in den vergangenen Jahren bei ihrem Club mitgemacht haben, so schnell wieder Feuer und Flamme für ihren dauerkriselnden HSV sind. „Ich habe mich extrem gefreut über die Begrüßung“, sagt Hecking und kratzt sich nachdenklich am Kopf. „Das habe ich so noch nicht erlebt bei anderen Stationen. Da dachte ich mir dann: Hey, die haben einen Bezug zu dir.“

Die Antwort verblüfft. Denn bleibt man im Anfangsbild, dann ist Hecking sportlich gesehen nicht ganz oben angekommen. Sondern eher ganz unten. Der Trainer, der sich mit Mönchengladbach gerade erst für die Europa League qualifizierte, mit dem VfL Wolfsburg den Pokal gewann und sogar in der Champions League coachte, hat sich nun also für den trainerverschleißenden HSV entschieden? Für den Zweitligisten HSV? Für den chronischen Chaosclub HSV? Kurzum für einen Verein, bei dem einem nur ein Wort einfällt: Warum?

Bei der Suche nach dem Weil muss man – zurück in Österreichs Alpen – von Rosis Alm auf dem Sonnberg nur ein paar Meter hinunter ins Tal gehen. Im Hotel Das Tirol sitzt Dirk Bremser in der Lobby und bestellt sich einen Kaffee Crema. Kein Zweiter kennt Hecking so gut wie er. Die beiden arbeiten seit 18 Jahren als Co- und Cheftrainer zusammen. „Bei uns ist es mittlerweile fast wie in einer Ehe“, sagt Bremser. „Wir verbringen ja auch mehr Zeit miteinander als mit unseren Ehefrauen.“ Der gebürtige Bochumer lacht, wird dann aber ernst. „Wir sprechen auch nicht 24 Stunden lang am Tag über Fußball. Wir diskutieren zum Beispiel auch über Erziehungsfragen.“ Das weitet den Blick.

Vater war mit Leib und Seele Schalker

Tatsächlich gibt es kein Trainerpärchen, das so lange im deutschen Profifußball gemeinsam unterwegs ist wie Dirk und Dieter. Doch als zwei Wochen vor Saisonende Hecking und Bremser in ihrem Trainerbüro in Mönchengladbach sitzen und das Telefon klingelt, unterhalten sich die beiden nicht mehr über Erziehungsfragen. „Nach dem Telefonat sagte Dieter zu mir: ,Bremse‘, das war gerade der HSV. Eigentlich sagt er immer Dirk, aber in besonderen Momenten, sagt er ,Bremse‘.“ Dirk „Bremse“ Bremser nimmt einen Schluck Kaffee. „Uns war klar: Eigentlich sollte es schon die erste Liga sein. Doch der HSV war eben nicht aufgestiegen – und trotzdem waren wir angefixt. Es war halt der HSV.“ Der HSV also.

Gut 40 Jahre ist es her, da war es nicht der HSV, sondern der 1. FC Rollmann-Weg, für den Dieter Hecking die Verantwortung trug. „Bei uns in Soest gab es noch Straßenmannschaften“, erzählte Hecking mal. Man traf sich auf einer Wiese zwischen zwei Wohnblocks und spielte auf zwei Teppichstangen. Viel Geld hatte die Familie Hecking nicht, aber am Ende des Monats meistens genug. Vater Wilfried, ein kaufmännischer Angestellter, war mit Leib und Seele Schalker. Sohn Dieter, der noch drei Geschwister hat, konnte sich für viele Clubs begeistern. Auch für den HSV. „Auf dem Schulhof war ich dann der Kevin Keegan“, sagt Hecking nun in der Volksparkstadionloge. „Da hat meine Affinität zum HSV angefangen.“

„Sein Zuhause ist wunderschön“

Tatsächlich war es auch der HSV, bei dem Hecking Jahre später als Trainer wirklich durchstarten sollte. Allerdings nicht der Hamburger SV, sondern der Hannoversche Sportverein von 1896, kurz: Hannover 96. Es waren zwar „nur“ drei Jahre, die Hecking von 2006 bis 2009 dort trainierte. Doch die Zeit reichte, um zu entscheiden, dass Bad Nenndorf, 30 Kilometer westlich von Hannover, der Hauptfamiliensitz werden und bleiben soll.

„Sein Zuhause ist wunderschön“, schwärmt Dirk Bremser zehn Jahre später im fernen Kitzbühel über das 2,3 Hektar große Anwesen. „Dieter und Kerstin haben da ein wirklich schönes Familienheim geschaffen.“ Gerne erinnert sich Bremser auch an die Feier zu Dieters 50. Geburtstag in dem kernsanierten Bauernhof, als Heckings bessere Fußballhälfte in einem Video alte Weggefährten wie Willi Landgraf, Jörg Schmadtke, Erik Meijer oder Martin Bader zu Wort kommen ließ. „Die Augen waren schon feucht“, sagt Bremser.

Kein Trainerpaar ist sich so treu wie Dirk und Dieter

Bei Familie und Freunden wird der frühere Polizeimeister Hecking schnell weich. Er sei nun mal ein Familienmensch, sagt der mittlerweile 54-Jährige, der seine ganz eigene Kleinfeldfußballmannschaft hat. Mit Ehefrau Kerstin, seiner anderen „besseren Hälfte“, mit der er seit knapp 32 Jahren verheiratet ist, hat Papa Dieter fünf Kinder: seine großen Töchter Marie-Lena und Theresa, die Zwillinge Jonas und Aaron und Nesthäkchen Charlotte.

„Meine Frau managt unsere Familie“, sagt Hecking. „Nur so habe ich genug Zeit, um mich wirklich um den sehr zeitintensiven Job des Fußballtrainers zu kümmern.“

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Dirk Bremser weiß, wovon Hecking spricht. „Bremse“ ist nicht nur direkter Kollege und „Freund fürs Leben“ (O-Ton Bremser), sondern auch Bruder im Geiste. Auch er führt eine Fernbeziehung zu seiner Familie, die in Scharbeutz an der Ostsee wohnt. Und auch er weiß, wie schwierig so ein Spagat zwischen der Welt Profifußball und der normalen Welt Familie sein kann. „Unsere Familien kennen sich gut – unsere Söhne sind im gleichen Alter und haben guten Kontakt“, sagt Bremser.

Hecking ist noch immer ein Vollprofi

„Natürlich verpasst man Dinge“, gibt Hecking offen zu – und meint dabei nicht nur ein leckeres Abendessen. Eher schon die Geburt seiner Zwillingssöhne Aaron und Jonas, die ausgerechnet dann zur Welt kommen mussten, als Papa Hecking gerade ein Auswärtsspiel beim MSV Duisburg hatte.

Ähnliches soll ihm nicht noch einmal passieren. Hecking ist noch immer ein Vollprofi, hat mit Ex-Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick auch einen eigenen Medienberater, ist aber auch gelassener. Mit fünf Kindern lernt man, dass Fußball möglicherweise wichtig ist, aber eben nicht am wichtigsten.

Als HSV-Mittelfeldmann Jairo Samperio direkt in der ersten Trainingswoche zur Hochzeit seiner Schwester nach Spanien reisen wollte, zögerte Hecking keine Sekunde. „Er war ganz offen, kam zu mir rein. Ich habe ihn dann gefragt, wie es vom Zeitmanagement aussieht, von den Flügen. Er müsse Freitagmittag los, sonst wäre es zu spät, sagte er. Ich habe dann gesagt: Nimm deine Laufschuhe mit und flieg am Freitagmorgen“, gibt Hecking schmunzelnd den Gesprächsverlauf wieder. „Das sind gerade die vertrauensbildenden Maßnahmen, bei denen der Spieler merkt: Der Trainer ist bereit, mir die Hand zu reichen. Ich darf ihm nur nicht den kleinen Finger abreißen. Dann wäre es ein Problem.“ Hecking denkt kurz nach und lacht. Es könnte ja noch ein anderes Problem geben. „Na ja“, sagt er, „ich hoffe, Jairo hat keine zehn Schwestern.“

„Dieter ist einer, der Menschen abholen kann“

Im fernen Österreich ist es spät geworden. „Bremse“ hat seinen Kaffee längst ausgetrunken. „Dieter ist einer, der Menschen abholen kann“, sagt er. Nur eines würde seinen ansonsten sehr ausgeglichenen Kumpel aus der Ruhe bringen. Der Dieter sei zwar ein richtig guter Knipser, der selbst mit Knorpelschaden noch heute beim Mitarbeiterkick eine gute Figur im Strafraum mache. Aber: „Wenn man Dieter ärgern will, dann muss man ihn einfach fragen, wie viele Bundesligatore er denn schon geschossen hat“, sagt Bremser und freut sich sichtlich über die Anekdote. „Nämlich null. Und das wurmt ihn schon.“

Sehr viel mehr wurmen würde es Hecking aber wohl, wenn er am Ende der kommenden Saison dann doch nicht da steht, wohin er mit dem HSV unbedingt will. „Nun liegt es an uns, den HSV auch in der ersten Liga zu trainieren“, sagt Bremser. Und das gehe ja nur, wenn Hecking und der HSV in einem Jahr dort sind, wo der Club eigentlich schon längst wieder sein wollte: oben. Ganz oben.

Nächste Woche: Christoph Hoffmann, geschäftsführender Gesellschaft der 25hours Hotels