Zweimal sollte der Coach bereits zum HSV kommen. Jetzt ist er da – und startete eine Mission, über die er nicht mehr reden will.

Mit diesem Andrang hatte Christoph Moritz nicht gerechnet. „Das macht Lust auf mehr“, schwärmte der Mittelfeldmann nach der ersten Trainingseinheit des Sommers. „Es war sehr gut, dass man trotz der vergangenen Saison einen so warmen Empfang bekommen hat.“ Beeindruckende 1500 Fans waren zum erneuten Neustart des HSV in den Volkspark gepilgert. Nicht gestern. Sondern fast auf den Tag vor einem Jahr, als der damalige Neuzugang Moritz als einer der ersten Fußballer den Trainingsplatz am Morgen um kurz nach 10 Uhr betreten hatte.

Das tat Moritz, der als zwischenzeitlich nach Darmstadt verliehener Profi nun erneut so etwas wie ein Neuzugang ist, auch an diesem Mittwoch. Diesmal allerdings vor „nur“ rund 500 Zuschauern. Aber erneut mit viel Zuspruch und lautstarkem Applaus.

Diesmal heißt Moritz‘ Trainer jedoch nicht wie vor einem Jahr Christian Titz. Und auch nicht wie vor einem halben Jahr, beim ersten Training der Rückrunde, Hannes Wolf. Sondern Dieter Hecking, der bereits vor seiner knapp anderthalb Stunden langen ersten Einheit noch in der Kabine ein paar Worte an Moritz und den Rest seiner neuen Mannschaft richtete: „Wir sind ambitioniert“, sagte Hecking. „Aber ich habe der Mannschaft auch gesagt, dass sie nur einmal heute von mir das Wort ,Aufstieg‘ hören wird. Und dann nicht mehr wieder bis zum kommenden Mai.“

HSV-Fans begrüßen Neuzugänge

Doch auch ohne den inflationären Gebrauch des Wortes „Aufstieg“ machten die Fans beim ersten Training deutlich, was sie von ihrem neuen Hoffnungsträger erwarten. „Du packst das, Dieter“, rief einer, nachdem der Neu-Coach in kurzer Hose und einem etwas zu eng anliegenden T-Shirt („Ich muss noch auf dem Laufband in Form kommen“) die erste Einheit beendet hatte.

Ist sich nicht zu schade, auch mal mit anzupacken: Dieter Hecking.
Ist sich nicht zu schade, auch mal mit anzupacken: Dieter Hecking. © Witters

„Mit der Erwartungshaltung kann ich gut leben“, sagte Hecking, der aber doch auf die Euphoriebremse trat: „Wir wissen um die Schwierigkeit der Aufgabe. Das zweite Jahr ist immer schwieriger. Im ersten Jahr nach einem Abstieg wieder aufzusteigen ist einfacher, als im zweiten Jahr einen Neuversuch zu wagen“, warnte der 54-Jährige, der nach Titz (2018), Markus Gisdol (2017) und Bruno Labbadia (2016) nun der vierte Trainer im vierten Sommer ist, der einen Neustart orchestrieren soll. Ganz zu schweigen von „Zwischentrainer“ Bernd Hollerbach, der nicht mal einen Sommer erlebte.

„Nur weil eine neue sportliche Leitung da ist, ist nicht alles gut“, sagte Hecking. „Es gibt ja Gründe, warum es im vergangenen Jahr nicht geklappt hat.“

Einige der Gründe haben den Club in diesem Sommer verlassen. Andere, die mit Hecking zusammen die Reset-Taste drücken wollen, konnten die Zuschauer bereits gestern begutachten. „Ist das nicht der von Pauli?“, fragte ein Anhänger, als Neuzugang Jeremy Dudziak an ihm vorbeidribbelte. Auch die Ex-Bochumer Lukas Hinterseer und Jan Gyamerah gaben ihr Volkspark-Debüt, genauso wie Torhüter Daniel Heuer Fernandes sowie die Mittelfeldmänner Sonny Kittel (offensiv), David Kinsombi (defensiv) und Adrian Fein (irgendwas dazwischen). Außerdem ein Blickfang für die Zuschauer: Hannover-Rückkehrer Bobby Wood, Krankenhaus-Rückkehrer Jairo Samperio und Mal-sehen-ob-er-auch-wirklich-bleibt-Rückkehrer Kyriakos Papadopoulos, der am Nachmittag aber bereits wieder aussetzte.

Hecking kündigt weitere Neuzugänge an

Weder vor- noch nachmittags dabei war dagegen der Ex-Nürnberger Ewerton, der allerdings in der kommenden Woche verpflichtet werden soll. „Bis zum 31. August wird noch viel passieren“, sagte Hecking, der sich in Sachen Neuzugänge voll auf die Ebenfalls-Neuzugänge Jonas Boldt und Michael Mutzel verlässt. Sportvorstand Boldt, vor gut drei Wochen verpflichtet, und Sportdirektor Mutzel, vor gut drei Monaten verpflichtet, verfolgten die komplette erste Einheit am Rand interessiert.

Wirklich überrascht war Boldt allerdings weniger vom Geschehen auf dem Rasen als vielmehr von dem Trubel abseits des Rasens. „Für mich ist es ein bisschen ungewohnt. Von meinem alten Arbeitgeber kannte ich das nicht so“, sagte der Ex-Leverkusener, der als seine erste Amtshandlung die von Vorgänger Ralf Becker vorbereitete Hecking-Verpflichtung finalisiert hatte.

Damit war Boldt bereits nach wenigen Tagen das gelungen, was den HSV-Verantwortlichen vor rund zehn Jahren zweimal nicht gelungen war. 2009, als der HSV die erfolgreichste Saison der vergangenen 30 Jahre spielte und sowohl ins Pokal- als auch ins Uefa-Cup-Halbfinale eingezogen war, hatte der HSV erstmals Interesse an Hecking. Zwei Jahre später, als die Hamburger immer noch um die internationalen Plätze spielten, gab es eine zweite, allerdings nicht wirklich konkrete Anfrage. „Ich habe da immer gedacht“, so Hecking, „wenn die wirklich kommen würden, dann würde ich mir ernsthafte Gedanken machen.“

Hecking will sich beim HSV neu erfinden

Jetzt ist es Liebe auf den dritten Blick. Zehn Jahre später soll Hecking also aus dem einstigen Bundesliga-Spitzenteam eine Zweitliga-Spitzenmannschaft formen. Und diese Zielsetzung ist durchaus ambitioniert. „Das ist vielleicht genau die Aufgabe, die man braucht, um sich noch einmal neu zu erfinden“, sagte Hecking, der in der Bundesliga in Mönchengladbach, Wolfsburg, Nürnberg, Hannover und Aachen mehr als genug Erfolgserlebnisse vorzuweisen hat.

Nun also die Mutter aller Herausforderungen: der HSV. „Diese Aufgabe hat mich gepackt“, gab Hecking zu, der wie zuletzt in Mönchengladbach auf ein variables 4-1-2-3-System setzen will. In seinem ersten Training lobte („Gut, Bobby. Weiter so!“) und kritisierte („Genauer spielen!“) der 54-Jährige viel, schnappte sich den einen (Hunt) oder den anderen (Wood) zum Plausch und wollte seine eigene Begeisterung gar nicht erst herunterspielen: „Ich kann mich hier vielleicht noch einmal selbst verwirklichen.“

Schweinsteiger leitet Training für Hecking

Doch bereits an diesem Donnerstag wird sich Christoph Moritz wieder einmal mit einem neuen Trainer arrangieren müssen. Dann wird erstmals der brandneue Co-Trainer Tobias Schweinsteiger, ganz nebenbei Bruder von Weltmeister Bastian Schweinsteiger, gemeinsam mit dem ebenfalls neuen Co-Trainer Dirk Bremser das Training leiten. Dieter Hecking hat sich mit einem durchaus nachvollziehbaren Grund für diesen Tag abgemeldet: Tochter Theresa heiratet standesamtlich in Bad Nenndorf.

Nicht bekannt ist, ob es sich bei Heckings Tochter und ihrem zukünftigen Ehemann anders als bei ihrem Papa und dem HSV um Liebe auf den ersten Blick handelt. So oder so gilt für Papa und Tochter gleichermaßen: Masel tov.