Hamburg. Rund um den Club herrscht vor dem Saisonstart mal wieder das Prinzip Hoffnung. Doch die gute Stimmung kann schnell wieder kippen.
Auch am Sonnabend beim Testspiel gegen den RSC Anderlecht (13.30 Uhr) wird Joshua Zimmermann den HSV wieder von der Nordtribüne aus anfeuern. Der 22 Jahre alte sozialpädagogische Assistent aus Itzehoe ist immer dabei, wenn sein Verein im Volkspark spielt. Er steht exemplarisch für eine Generation, die sich dem HSV in diesem Jahrzehnt inmitten der sportlichen Abwärtsspirale angeschlossen hat und dem Club trotz ausbleibenden Erfolgs die Treue hält. Selbst als der Bundesligaaufstieg in diesem Sommer verspielt wurde, reifte bei Zimmermann ein ungewöhnlicher Entschluss: er wurde lebenslanges Vereinsmitglied.
„In der Rückrunde ging alles den Bach runter und es prasselte so viel Häme auf uns ein. An diesem tiefsten Tiefpunkt wollte ich mich solidarisch mit dem Verein zeigen“, sagte der Schleswig-Holsteiner über seine Beweggründe im Gespräch mit dem Abendblatt. Um die einmalige Gebühr von 1887 Euro stemmen zu können, setzte Zimmermann sein gesamtes Erspartes ein. „Eigentlich war das Geld für mein erstes Auto gedacht, aber das muss jetzt warten.“
Seine tiefe Verbundenheit mit dem HSV wurde belohnt – wenn auch eher zufällig. Denn Zimmermann ist der 500. Fan, der bis an sein Lebensende eine Mitgliedschaft erworben hat. Als besonderen Dank überreichte ihm Präsident Marcell Jansen die entsprechende Urkunde persönlich auf dem Trainingszentrum in Norderstedt. „Das war ein einmaliger Moment, für den es sich gelohnt hat, auf den Kleinwagen zu verzichten“, sagt Zimmermann, der trotz des bevorstehenden biedere Zweitligaalltags in Vorfreude auf die neue Saison ist. „Ich bin schon total heiß, dass es endlich losgeht.“
HSV-Mitgliederzuwachs hält trotz Krise an
Es ist ein Phänomen, das jeden Sommer aufs Neue rund um den Verein zu beobachten ist. Auch wenn die Leistung der Mannschaft in der zurückliegenden Rückrunde keinen Anlass zur Euphorie bietet, herrscht beim HSV mal wieder das Prinzip Hoffnung auf eine erfolgreiche Spielzeit.
Wer dachte, der Club werde ein zweites Jahr im Fußball-Unterhaus in Fankreisen negativ zu spüren bekommen, wurde eines Besseren belehrt. Anfang Juni verkündete der Verein den Durchbruch der 88.000-Mitgliedermarke, seitdem sind schon wieder mehrere 100 Anhänger hinzugekommen. Zudem wurden 23.500 Dauerkarten abgesetzt. Zum Saisonauftakt gegen Darmstadt (28. Juli) werden trotz der Ferien 45.000 Zuschauer erwartet, abgesetzt wurden bislang 36.000 Tickets.
Wie schnell die Stimmung kippen kann
Doch es bleibt die Frage, wie diese positive Stimmung zu erklären ist? „Die vielen Transfers, die der Mannschaft ein neues Gesicht geben, und der neue Trainer Dieter Hecking, der mit seiner ruhigen und entschlossenen Art überzeugt, sorgen für Hoffnung“, lautet die Antwort des Fanbeauftragten Cornelius Göbel, der auch eine Erklärung für die anhaltende Treue der HSV-Anhänger hat. „Durch Misserfolge kann auch eine gewisse Bindung zwischen Fans und Spielern entstehen.“
Doch gerade die Misserfolge der jüngeren Vergangenheit führen auch dazu, dass sich die Euphorie schnell in Frustration wandeln kann. Beispielhaft dafür stehen die lauten Pfiffe am letzten Spieltag gegen Verteidiger Gotoku Sakai oder der höhnische Applaus nach der 0:3-Heimpleite gegen Ingolstadt im Mai.
Schon ein Fehlpass kann ein Raunen oder Pfiffe bei den Fans auslösen. Eine Beobachtung, die auch Trainer Hecking in den ersten Testspielen der Vorbereitungen machte. „Der Kredit ist bei null. Wir sind den Fans gegenüber natürlich in der Bringschuld“, sagte er vor Kurzem im Interview mit dem Abendblatt.
Supporters-Chef: "Andere Hoffnung als sonst“
Kontrovers diskutiert wird in Fankreisen auch das Aus für die von Lotto King Karl gesungene Hymne „Hamburg, meine Perle“. Doch der Verein sah sich zu diesem Schritt gezwungen, um sich endlich von den Symbolen der Vergangenheit zu lösen. Denn diesmal soll wirklich alles besser werden beim HSV.
Einen gewichtigen Anteil daran können auch die Fans mit ihren Reaktionen auf den Rängen einnehmen. In der abgelaufenen Saison konnte die Mannschaft am Ende dem Aufstiegsdruck nicht standhalten. Und diesmal? „Es ist eine andere Hoffnung als sonst“, sagt Supporters-Chef Tim-Oliver Horn. „Diesmal ist sie nicht von Euphorie begleitet, sondern von hanseatischem Understatement. Ich hoffe, dass viele Fans den Aufstieg nicht mehr als selbstverständlich betrachten. Wir brauchen mehr Realismus.“
Eine Hoffnung für die neue Spielzeit hat auch HSV-Fan Zimmermann, der sich wie Horn nicht nur über den Erfolg identifiziert. „Die Mannschaft soll kämpfen – so wie wir Fans das auch tun.“