Hamburg. Der Kauf des HSV-Brasilianers ist noch immer nicht bestätigt. Ein Problem: Der Noch-Nürnberger spricht kein Deutsch.

Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass der Name Everton kurzfristig ganz Brasilien am Mittwoch elektrisierte. „Die Gerüchteküche kocht förmlich über“, sagte der Radiojournalist Raphael am Mittwoch – und wollte wissen, ob man in Deutschland schon etwas gehört habe: „Kommt er wirklich?“

Der kleine Schönheitsfehler an dieser Geschichte: Gemeint ist in diesem Fall Everton, nicht Ewerton. Erstgenannter mit „v“ heißt mit vollem Namen Everton Sousa Soares, spielt Stürmer bei Grêmio und soll dem Vernehmen nach bei Bayern München auf dem Zettel stehen. Zweitgenannter mit „w“ heißt mit vollen Namen Ewerton José Almeida Santos, ist Abwehrspieler – und löst in Brasilien keine Massenhysterie aus, obwohl er nicht nur dem Vernehmen nach vor einem Wechsel zum HSV steht.

Dass dieser Wechsel auch nach drei Tagen am Mittwoch noch immer nicht verkündet wurde, soll vor allem am komplizierten Vertragskonstrukt zwischen dem 1. FC Nürnberg und Ewertons Ex-Club Sporting Lissabon liegen. Während Ewerton den Club für eine festgeschriebene Ablöse von zwei Millionen Euro verlassen können soll, hatte Sporting einst die Fabelsumme 45 Millionen Euro in dessen Vertrag festgeschrieben. „Der Ball liegt bei Nürnberg“, sagte am Mittwoch HSV-Trainer Dieter Hecking, der allerdings wie auch die Nürnberger Verantwortlichen davon überzeugt ist, dass dieser Transfer nicht mehr scheitert.

Ewerton kam mit zwölf Jahren nach Hamburg

Ob der sich anbahnende Transfer allerdings sich auch auf dem Platz für den HSV auszahlt, steht auf einem anderen Blatt Papier. „Natürlich kennt man Ewerton aus Nürnberg oder aus Kaiserslautern. Ein guter Spieler“, sagt Edson Büttner, der trotzdem skeptisch ist. „Mich irritiert ein wenig, dass er nach drei Jahren in Deutschland noch immer kein Deutsch spricht“, sagt der gelernte Fremdsprachenkorrespondent, der sich als Dolmetscher und Integrationsbeauftragter zwischen 2014 und 2017 um südamerikanische Neuzugänge beim HSV gekümmert hat. „Bei Ewerton muss schon das ganze Paket passen, damit er für den HSV zur Verstärkung wird.“

Büttner weiß, wovon er spricht. Der Brasilianer, der mit zwölf Jahren aus Rio nach Hamburg kam, hatte in seiner Zeit beim HSV mit Cléber und Douglas Santos zwei Extreme zu betreuen. „Douglas hat bei unserem ersten Treffen gefragt, wie er am schnellsten Deutsch lernen könne“, sagt Büttner, der Santos zunächst selbst unterrichtete. Später ging der Olympiasieger zu den vom HSV organisierten Sprachkursen – und verfügt mittlerweile über sehr gute Sprachkenntnisse. Cléber blieb dagegen zweieinhalb Jahre in Hamburg – konnte aber auch am Ende seiner HSV-Zeit noch immer nicht Deutsch sprechen.

„Man sollte sich als Profiverein nicht nur über die Ablöse Gedanken machen, sondern auch über die Integrationsfähigkeit der Neuzugänge“, sagt auch Dennis Pauschinger, der sich zwischen 2008 und 2011 als Integrationsbeauftragter beim HSV um die Südamerikaner kümmerte. Pauschinger ist derzeit auf einer Konferenz im brasilianischen Salvador, verfolgt den HSV aber noch aus der Ferne. „Es ist immer ein schmaler Grat zwischen Betreuung und Bemutterung. Neue Spielern, besonders aus anderen Kulturkreisen wie Brasilien, muss man bei der Integration unterstützen“, sagt er. „Man darf ihnen aber auch nicht alles abnehmen. Die Integrationsbereitschaft muss genauso vom Spieler vorhanden sein.“

Früher leistete sich der HSV einen Integrationsbeauftragten

Anders als Cléber, der beim HSV auch ohne Sprachkenntnisse als Spaßvogel seinen Ruf weghatte, gilt Ewerton als in­trovertierter Typ. „Gerade dann ist es wichtig, dass man dem Spieler hilft, sich zurechtzufinden. Sonst wird er sich automatisch immer mehr zurückziehen – und das wird man früher oder später auf dem Platz sehen“, sagt Büttner, der zu bedenken gibt, dass Familienmitglieder nicht vergessen werden dürfen.

Jairo Samperios Verlobte Carmen besuchte beispielsweise ebenso fleißig die vom Club organisierten Sprachkurse wie der Spanier selbst. „Besonders Südamerikaner und Südeuropäer brauchen das Gefühl, dass es der ganzen Familie gut geht“, sagt Büttner, der noch immer Kontakte zu Ex-HSVern pflegt. So hilft er derzeit auch bei der Organisation von Rafael van der Vaarts Abschiedsspiel.

Grundsätzlich können weder Büttner noch Pauschinger verstehen, dass Clubs derart viel Geld in Transfers stecken, dabei aber viel zu oft bei der Inte­gration sparen. „Als Verantwortlicher muss man sich im Klaren sein, dass eine Investition in einen Fußballer mit der Investition in die Integration verknüpft sein muss“, sagt Pauschinger, der einst „Problemfälle“ wie Thiago Neves oder Alex Silva genauso zu betreuen hatte wie die Vorzeigefälle Zé Roberto und Tomás Rincón.

Seine Erfahrungen hat der promovierte Kriminologe sogar zu Papier gebracht. Vor Jahren hat er dem damaligen Vorstand ein Konzept zur Integration von Neuzugängen vorgelegt. Eine Antwort hat er aber genauso wenig erhalten wie der HSV bis zum Abend die Zusage aus Nürnberg, dass der Ewerton-Deal nun endlich in trockenen Tüchern sei.