Hamburg. Dudziak ist der einzige Fußballer, der für die Erzrivalen BVB/Schalke und St. Pauli/HSV spielte. Seine Mutter schimpfte mit ihm.

An dieses eine Gespräch im Frühling dieses Jahres mit Mama Svenja kann sich Jeremy Dudziak noch sehr genau erinnern. Der Filius hatte gerade einen nigelnagelneuen Dreijahresvertrag beim mutmaßlich großen HSV unterzeichnet, über den sich wohl die allermeisten Eltern extrem gefreut hätten. Nur ist Mutter Dudziak nicht die allermeisten. „Am Anfang hat meine Mutter mit mir geschimpft“, sagt der 23 Jahre alte HSV-Neuzugang. Das Wort „Verrat“ fiel sogar. „Man darf das ja hier nicht so laut sagen“, erklärt Dudziak leise, „aber meine Mutter ist ja St.-Pauli-Fan.“

Glücklicherweise (zumindest für Dudziak junior) war am Ende die Liebe zum Sohn größer als die Liebe zum Club. „Sie freute sich dann doch für mich.“ Svenja werde nun sogar nach Hamburg ziehen, nur bekehren könne er sie wohl nicht mehr. Aber: „Sie wird sicherlich auch ins Volksparkstadion kommen.“

Ende gut, alles gut, könnte man nun an dieser Stelle schreiben. Doch das wäre wohl falsch, da das vielleicht wichtigste Kapitel seiner Karriere gerade erst beginnt. „Es ist einfach geil, hier zu sein“, sagt Dudziak, als er gut drei Monate nach seiner Entscheidung, vom FC St. Pauli zum Lokalrivalen HSV zu wechseln und dem anschließenden „Problemgespräch“ mit Mama Svenja am Donnerstag erstmals ganz offiziell im ersten Stock des Volksparkstadions vorgestellt wurde.

Dudziak klagt über Fan-Anfeindungen bei St. Pauli

Thema Nummer eins war dabei aber weniger die emotionale Reaktion von Mutter Svenja als eher die extrem emotionalen Reaktionen der St.-Pauli-Ultras. „Traurig sieht die Mutti ein – ihr Sohn ist jetzt ein Rautenschwein“, hatten Anhänger des Kiezclubs auf einem Plakat geschrieben, das sie beim Nordderby gegen Holstein Kiel am 6. April hochhielten. „Wenn so etwas passiert, in so einer Situation, dann ist das halt so“, sagt Dudziak und zuckt mit den Schultern.

Das Schmäh-Plakat gegen Jeremy Dudziak.
Das Schmäh-Plakat gegen Jeremy Dudziak. © Witters

Erst auf Nachfrage räumt er dann doch ein, dass ihm die Anfeindungen zugesetzt hätten. „Ein bisschen wehgetan hat das schon.“ Nur die zahlreichen Hasskommentare in den sozialen Netzen ließ der Fußballer ganz bewusst nicht an sich ran. „Darüber konnte ich nur lachen“, sagt Dudziak.

Dudziak ist zufällig in Hamburg geboren

„Ein Glück, dass es zu meiner Zeit noch kein Facebook oder Instagram gab“, sagt Thomas Meggle, der einst hin und her zwischen den verfeindeten Clubs von Hansa Rostock und dem FC St. Pauli gewechselt ist. „Ich kann mir schon sehr gut vorstellen, dass derartige Anfeindungen Jeremy nicht kaltlassen. Ich musste damals auch damit klarkommen, dass ich auf dem Parkplatz oder im Restaurant angemacht wurde.“

Meggle darf sich guten Gewissens als den Mann bezeichnen, der den gebürtigen Hamburger Dudziak vor vier Jahren wieder nach Hamburg holte. Denn was die wenigsten wissen: Der St.-Pauli-HSV-Überläufer Dudziak ist zwar in Duisburg aufgewachsen, allerdings „aus Versehen“ in Hamburg geboren, als seine Mutter bei seiner heutigen Patentante zu Besuch war. Er selbst bezeichnet sich deshalb als „Zufalls-Hamburger“.

Thomas Meggle war als Spieler, Co-Trainer, Trainer und Sportchef insgesamt 13 Jahre beim FC St. Pauli aktiv.
Thomas Meggle war als Spieler, Co-Trainer, Trainer und Sportchef insgesamt 13 Jahre beim FC St. Pauli aktiv. © Witters | ThorstenWagner

Zumindest ein wenig zufällig war es dann auch, als Meggle den gerade einmal 1,74 Meter großen Fußball-Allrounder 2015 von Borussia Dortmund nach Hamburg holte. „Wir hatten großes Glück“, erinnert sich Meggle, der seinerzeit als Sportchef des FC St. Pauli und heute für ein Consulting-Unternehmen, das Investoren berät, die Fußballclubs übernehmen wollen, arbeitet.

„Jürgen Klopp plante fest mit Jeremy als Linksverteidiger-Backup für Marcel Schmelzer. Doch dann kam im Sommer Thomas Tuchel, der mit Jerry nicht mehr viel anzufangen wusste. Und dann machte sich plötzlich ein Fenster für uns auf.“

Beim DFB hinterließ Dudziak starken Eindruck

Frank Wormuth muss schmunzeln, als er diese Anekdote hört. Der heutige Coach von Heracles Almelo war in jenem Sommer Trainer der U-20-Nationalmannschaft – und nominierte St. Paulis damals 19 Jahre alten Neuzugang für die U-20-WM in Neuseeland. Nicht als Außenverteidiger. Sondern als Flügelstürmer. „Jeremy war auf jeden Fall ein überragender Fußballer“, sagt Wormuth.

Frank Wormuth erinnert sich noch gut an Dudziaks Qualitäten.
Frank Wormuth erinnert sich noch gut an Dudziaks Qualitäten. © imago / Pro Shots

Der frühere DFB-Trainerausbilder erinnert sich auch noch, dass er im Lehrgang auch mal Dudziak-Videos als Anschauungsmaterial den werdenden Fußballlehrern vorspielte. „Besonders technisch war und ist Jeremy sehr stark.“

Meggle: Dudziak braucht HSV-Vertrauen

Daran hat auch Meggle vier Jahre nach seinem BVB-Deal keine Zweifel. „Jerry ist ein ganz feiner Fußballer. Entscheidend ist aber, dass man einen Dudziak nur holen kann, wenn man auch wirklich auf ihn setzt.“ So sei der HSV-Neuzugang ein Spieler, der nur funktioniere, wenn er das Vertrauen seiner Vorgesetzten spüre. „Wenn er die Rückendeckung des Trainers und seiner Kollegen spürt, dann geht er für jeden einzelnen durchs Feuer“, sagt Meggle.

Und auch die Rolle des „Überläufers“ ist für Dudziak nicht neu. In der Jugend wechselte er von Schalke 04 zu Erzrivale Borussia Dortmund – und dürfte damit der einzige Fußballer Deutschlands sein, der sowohl für die Ruhrpottrivalen Dortmund und Schalke als auch für die Hamburger Lokalrivalen HSV und St. Pauli unter Vertrag stand. Bleibt also nur die Frage, für welchen Fußballclub er als Kind gefiebert hat? Dudziak grinst – und sagt: „Bayern München“.

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