Hamburg. Der HSV-Vorsitzende lässt wieder Köpfe rollen und setzt alles auf den Bundesliga-Aufstieg. Diesmal hat es Ralf Becker erwischt.
Ja, liebe Leserinnen und Leser, wir müssen über den HSV reden. Schon wieder. Dieser Club ist in vielerlei Hinsicht wirklich einzigartig, leider auch in negativer. Da haben wir uns in dieser Woche in einer dreiteiligen Serie intensiv mit der möglichen Zukunft des Clubs beschäftigt und vor allem sportliche und finanzielle Fragestellungen analysiert. Und am Tag des letzten Serienteils drückt der HSV mit dem Wechsel des Sportchefs und der Präsentation des Nachfolgers, Jonas Boldt, erneut die Resettaste. Alles auf Anfang.
Es ist schon atemberaubend, in welchem Tempo beim HSV die Köpfe rollen, seit Bernd Hoffmann wieder das Zepter führt, zuerst seit Februar 2018 als e.V.-Präsident und Aufsichtsratchef, später als Vorstandsvorsitzender (seit 26. Mai), der Interimschef Frank Wettstein folgte. Überraschend kommt die Entwicklung jedoch nicht, ruft man sich eine Aussage aus seinem Wahlkampf in Erinnerung.
„Auf jeder Führungsposition bedarf es absoluter Leistungsträger, Bundesligaspitze. Das müssen wir in einem hungrigen, ehrgeizigen Team machen, das in die gleiche Richtung arbeitet, ohne sich intern aufzureiben“, kündigte er vor der Mitgliederversammlung 2018 an. Wer jeden Stein umdrehen will, für den ist Zeit kostbar und Geduld nur überschaubar vorhanden.
Tabula rasa beim HSV durch Hoffmann
Fassen wir es im Schnelldurchlauf zusammen: Als Erste erwischte es 2018 Vorstandschef Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt (8. März). Vier Tage später musste der erst sieben Wochen zuvor verpflichtete Trainer Bernd Hollerbach gehen, Christian Titz übernahm, dessen Vertrag sogar verlängert wurde (16. Mai). Kurz darauf bestellte der Aufsichtsrat Ralf Becker zum neuen Sportchef (28. Mai), eine der ersten Amtshandlungen von Hoffmanns Nachfolger Max-Arnold Köttgen im Gremium.
Becker selbst ersetzte Titz im Oktober durch Hannes Wolf, der nun nach dem Nicht-Aufstieg seine Koffer packen musste. Haben wir jemanden vergessen? Ach ja, im Oktober ging Sportdirektor Bernhard Peters, im Dezember Nachwuchsleiter Dieter Gudel, im März Marketingchef Florian Riepe, für den zuvor Henning Bindzus zurückkehrte, mit dem Hoffmann bereits früher arbeitete. Mal sehen, welche Halbwertszeit der im Februar von Becker verpflichtete Sportdirektor Michael Mutzel unter Jonas Boldt hat.
Ja, Kontinuität bleibt beim HSV weiter ein Fremdwort. Wenn sich überhaupt ein Muster beim HSV erkennen lässt, dann das, wer bei allen wichtigen Entscheidungen die Fäden in der Hand hält – auch wenn die Entlassung eines Vorstandsmitglieds (Ralf Becker) eine Aufsichtsratsangelegenheit ist.
Hoffmanns Weg birgt finanzielle Risiken
Der jüngste Wechsel auf dieser zentralen sportlichen Führungsposition unterstreicht vor allem, dass Hoffmann alles auf die Karte Aufstieg in der kommenden Saison setzt und bereit ist, wieder in den für beendet geglaubten Teufelskreis an Abfindungen (ja, das war naiv) einzutauchen. Den letzten Schuss hat er sich für den neuen Trainer aufbewahrt, einen Fehler darf sich der HSV nicht mehr erlauben. Alles andere als eine große (und teure) Lösung Marke Dieter Hecking oder Bruno Labbadia wäre eine Überraschung.
Blicken wir nochmals zurück. Hoffmanns Comeback wurde vor allem wegen der sportlichen Dauerkrise möglich, die Mitglieder glaubten, dass mit ihm der Turnaround gelingen kann. Wenn die Spieler nun wieder in der Zweiten Liga um Punkte kämpfen, geht es auch um die Zukunft des 56-Jährigen. Steht der Club im Winter an der Tabellenspitze, gibt es ganz sicher Beifall bei der Mitgliederversammlung für seinen auch finanziell riskanten Weg. Bleibt der Erfolg aber aus, werden sich die Blicke auf den Hauptverantwortlichen richten.