Hamburg. Präsidium orientiert sich an Struktur eines Spitzenclubs – und könnte damit auch Kühne glücklich machen. Teil drei der Zukunftsserie.

Es war ein warmer Frühlingstag, als die vermeintliche Zukunft des HSV durch zwei Zahlen entschieden wurde: 86,9 und 9242. Der Jubel auf der Westtribüne des Volksparkstadions kannte jedenfalls keine Grenzen, als an jenem 25. Mai diese beiden Zahlen über das Stadionmikrofon verlesen wurden: 86,9 Prozent der 9242 stimmberechtigten Mitglieder hatten soeben für die Ausgliederung der Fußballabteilung gestimmt. Karl Gernandt, im pastellblauen Sakko, ballte die linke Hand zur Faust und umarmte den neben ihm stehenden Ernst-Otto Rieckhoff im passenden hellblauen Hemd und dunklem Sakko.

Die beiden Initiatoren der Reformbewegung HSVPlus hatten es tatsächlich geschafft. „Dieses Votum ist die Startlinie, um den Verein wieder in eine erfolgreiche Zeit zu führen“, bellte der strahlende Gernandt, der später AG-Aufsichtsratsvorsitzender werden sollte, den freudetrunkenen Anhängern entgegen. „Wir haben jetzt eine historische Chance“, rief auch Rieckhoff. „Die müssen wir nutzen, um den HSV wieder nach oben zu führen.“ Fast auf den Tag fünf Jahre später ist klar: Diese einmalige Chance haben die HSV-Chefs im großen Stil versaut.

Bernd Hoffmann sitzt auf der Terrasse des Cafés Lindtner in Eppendorf und bestellt einen Cappuccino und einen Orangensaft. Die Entscheidung, dass der HSV auch in der kommenden Saison und fünf Jahre nach dem HSVPlus-Motto „Aufstellen für Europa“ wieder nur in der Zweiten Liga spielen wird, ist gerade erst ein paar Tage alt.

Grundsätzliche Frage

 „Natürlich kann man sich die grundsätzliche Frage stellen, ob die Rechtsform, die 2014 für den HSV ausgewählt wurde, für einen Fußballclub die geeignete ist“, sagt der 56-Jährige, der in den vergangenen anderthalb Jahren nahezu alle relevanten Führungspositionen im neuen HSV übernommen hat. Hoffmann war Präsident, Aufsichtsratsvorsitzender, Interimsvorstand und ist nun offiziell HSV-Chef. Und obwohl Hoffmann selbst die von ihm aufgestellte Grundsatzfrage mit einem klaren Nein beantwortet, will er den Misserfolg der vergangenen Jahre nicht an der Rechtsform festmachen: „An der Struktur hat es nicht gelegen, dass wir nicht aufgestiegen sind.“ Hat es nicht? Innerhalb des HSV ist man sich da nicht mehr ganz so sicher.

„Wir müssen mittelfristig die gesamte Struktur von AG und Verein analysieren und schauen, ob die Richtung gut ist oder in welche Richtung es ansonsten gehen könnte“, sagt Marcell Jansen im Gespräch über die Zukunft des HSV mit dem Abendblatt. Der HSV-Präsident nimmt auf einem Barhocker im Café Isabella am Stephansplatz Platz. „Wir müssen den Verein für die Zukunft schützen – und dafür sorgen, dass er auch in der Zukunft liquide bleibt.“

Als sich Rieckhoff und Gernandt am 25. Mai 2014 in den Armen lagen, war Hoffmann noch ein Spielerberater. Und Jansen ein Spieler. Fünf Jahre später müssen sich die beiden HSV-Protagonisten nun die zentrale Frage stellen, ob die damals gegründete AG, die für viele eine Art letzte Hoffnung war, nicht schon jetzt hoffnungslos am Ende ist.

Großprojekt zunächst verschoben

Zumindest Hoffmann ist sich bei seiner Antwort unsicher. Es gebe gute Gründe für eine andere Gesellschafterform. Und genauso gute Gründe für eine Beibehaltung der AG. Hoffmann kratzt sich am Kinn, denkt nach. „Nahezu alle Ausgliederungen aus den vergangenen Jahren endeten in einer KGaA-Rechtsform“, sagt der AG-Vorstandsvorsitzende schließlich – und hat recht.

In der Bundesliga stellen die Kommanditgesellschaften auf Aktien (GmbH & Co KGaA) die größte Gruppe. In der kommenden Saison gibt es sechs sogenannte KGaA-Clubs (Hertha, Werder, Dortmund, Augsburg sowie die Aufsteiger Köln und Paderborn), drei AGs (Bayern, Stuttgart und Frankfurt), vier Vereine (Mainz, Freiburg, Schalke und Düsseldorf) und fünf GmbHs (Leipzig, Wolfsburg, Hoffenheim, Gladbach und Leverkusen). „Eine Entscheidung über eine Änderung der Rechtsform müsste durch eine Dreiviertelmehrheit bei der Mitgliederversammlung bestätigt werden“, sagt Hoffmann, der betont: „Zunächst einmal müsste das aber das Vereinspräsidium auf den Weg bringen.“

Nach Abendblatt-Informationen hatte das HSV-Präsidium tatsächlich in diesem Sommer damit geliebäugelt, die HSV AG in eine HSV KGaA umzuwandeln. Oder zumindest: diese Umwandlung prüfen zu lassen. Durch den verpatzten Aufstieg und die verkürzte Sommerpause ist dieses Großprojekt aber zunächst einmal verschoben. In der Alten Oberpostdirektion sagt Jansen: „Das Ziel muss es nun sein, im nächsten Jahr wieder anzugreifen und den Aufstieg zu erkämpfen.“ Doch auch Jansen weiß: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

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Interessante Konstellation

Bleibt aber zunächst einmal die Frage: Welchen Grund kann man überhaupt haben, die Gesellschaftsform erneut zu ändern? Und die Antwort ist viel naheliegender, als man meint. Der Hauptgrund ist – natürlich – das liebe Geld.

So haben Clubs als KGaA die Möglichkeit, mehr als die von der DFL festgeschriebenen 50+1 Anteile zu verkaufen, ohne dabei die Kontrolle über den Club zu verlieren. Bestes Beispiel ist der BVB. So besitzt der Stammverein nur noch 5,5 Prozent der Anteile an der Borussia Dortmund GmbH & Co KGaA, 68,27 Prozent sind im Streubesitz, 14,8 Prozent hat Sponsor Evonik übernommen, 5,43 Prozent Stadionnamensgeber Signal Iduna, fünf Prozent Ausrüster Puma. Mit anderen Worten: 94,5 Prozent der Kapitalrechte wurden nach der Fast-Insolvenz verkauft, 100 Prozent der Stimmrechte liegen jedoch weiterhin beim BVB.

Eine Konstellation, die man auch beim HSV höchst interessant findet. Oder besser gesagt: eine Konstellation, die auch der extrem solvente Anteilseigner Klaus-Michael Kühne höchst interessant findet. Der Milliardär, der bereits 20,6 Prozent der AG-Anteile erworben hat, betonte in den vergangenen Wochen mehrfach, dass er seine Anteile gerne erweitern würde. Bei NDR 90,3 hatte der Unternehmer vor zwei Monaten gesagt: „Es muss frisches Kapital eingesetzt werden, dem steht die 24,9-Prozent-Klausel entgegen. Ich hoffe, dass man darüber hinwegkommt und neue Wege bestreitet. Das scheint mir so zu sein.“

24,9-Prozent-Grenze wird festgeschrieben

Doch da wurde die Rechnung zunächst offenbar ohne den Wirt gemacht. Denn bereits auf der nächsten Hauptversammlung im Juni will HSV-Präsident Jansen den Auftrag aus der letzten Mitgliederversammlung umsetzen lassen und auch in der AG-Satzung festschreiben lassen, dass die HSV AG nicht mehr als 24,9 Prozent der Anteile verkaufen kann. Allerdings glaubte manch ein HSV-Entscheider noch bis zur vergangenen Woche, dass nach einer festgeschriebenen Begrenzung eine einfache Mehrheit in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung reichen würde, um doch mehr Prozente zu verkaufen. Ein Irrglaube, der durch §17, Ziffer vier in der AG-Satzung zementiert ist: „(...) Beschlussfassungen (…) bedürfen einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen.“

Die Möglichkeit, in einer eventuellen Notsituation doch weitere Anteile im großen Stil zu verkaufen, ist nach der nächsten Hauptversammlung also nahezu ausgeschlossen. Vorerst ausgeschlossen. Denn noch immer gäbe es die perspektivische Möglichkeit, aus der AG eine KGaA zu machen – und dann doch noch einmal frisches Geld zu generieren.

Doch bekanntlich ist ja nichts umsonst im Leben. Und so gibt es unter den HSV-Entscheidern durchaus auch Skeptiker, die auf das Risiko einer erneuten Rechtsformänderung hinweisen. Zur Erinnerung: Vor fünf Jahren hat der monatelange Wahlkampf zwischen Befürwortern und Gegnern der Ausgliederung zu einem tiefen Riss durch den HSV gesorgt. Und wie problematisch das Tagesgeschäft in einer neu gegründeten Kommanditgesellschaft sein kann, können interessierte Beobachter derzeit am Beispiel des 1. FC Köln beobachten, wo es in den Führungsgremien Grabenkämpfe wie zu „besten“ HSV-Zeiten gibt.

„Deiköpfiger Vorstand hat sich bewährt“

Derartige Kompetenzstreitigkeiten, das kann man immerhin festhalten, gehören in der gegenwärtigen HSV-Struktur – mit Ausnahme des zwischenzeitlichen Richtungsstreits zwischen Sportvorstand Ralf Becker und Clubchef Hoffmann in der vergangenen Woche – der Vergangenheit an. „Die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat läuft sehr professionell und gut“, bekräftigt Hoffmann und bestellt sich noch einen Cappuccino. Eigentlich könne sich ja niemand über die aktuelle Struktur beschweren. „Auch der dreiköpfige Vorstand hat sich bewährt“, sagt der HSV-Chef, der damit auch Gerüchten um eine Rückkehr von seiner früheren Kollegin Katja Kraus in den HSV-Vorstand widerspricht.

Der Vorstand wird also nicht aufgestockt, das Kontrollgremium schon. „Einen Aufsichtsrat mit sieben Mitgliedern könnte ich mir gut vorstellen. So hätte man keine Pattsituationen“, sagt Jansen, der damit ausspricht, was seit Wochen klar ist. Nach der Hauptversammlung im kommenden Monat rückt Kühnes Vertrauensmann Markus Frömming als siebter Mann in den Aufsichtsrat, Vizepräsident und bisheriger Interimsrat Thomas Schulz soll bleiben. „Ich finde es sehr nachvollziehbar, dass Herr Kühne als Geldgeber auch einen Vertreter im Aufsichtsrat haben möchte“, sagt Jansen. „Aber ich habe vor allem deshalb ein gutes Gefühl, weil ich auch inhaltlich von Markus Frömming überzeugt bin.“

Aufsichtsrat wird auf sieben Mitglieder aufgestockt

Jansen und Frömming haben sich auf der letzten Hauptversammlung kennen- und schätzen gelernt, wo der Marketingexperte bereits die Interessen von Kühne vertrat. „Bei vielen Themen haben wir schnell gemerkt, dass wir in eine Richtung denken. Wir haben uns direkt sehr gut verstanden“, sagt der Präsident, der sich über kurz oder lang noch eine weitere Änderung im Gremium wünscht. „Grundsätzlich finde ich die Disbalance zwischen sportlicher und wirtschaftlicher Kompetenz im Aufsichtsrat immer noch zu groß“, sagt er. „Langfristig würde ich mir wünschen, dass wir noch einen Fachmann für den Sport für unseren Aufsichtsrat begeistern können.“

„Wir brauchen eine Aufbruchstimmung. Alles muss einmal richtig durchgerüttelt werden“, sagt nicht Jansen. Sondern sagte HSVPlus-Initiator Rieckhoff vor fünf Jahren. Auch damals war ein Aufsichtsrat mit größerer Sportkompetenz gefragt. Bereits vor der Ausgliederung stellte Rieckhoff nicht ohne Stolz die „Legenden“ Thomas von Heesen und Peter Nogly als künftige Kontrolleure mit der Kernkompetenz Fußball vor. Das Ende vom Lied: Nogly trat ohne große Verdienste nach drei Jahren als Aufsichtsrat zurück, von Heesen hatte bereits nach einem halben Jahr genug.

Fünf Jahre danach steht der große Traditionsclub nun da, wo er steht: abgestiegen in die Zweite Liga. Und in diesem Jahr auch nicht wieder aufgestiegen. Die Gesamtbilanz der HSV Fußball AG seit der Ausgliederung 2014? Ein Desaster. Marcell Jansen muss los. Er habe noch einen Termin, sagt er. Doch eines wolle er noch loswerden. „Tradition schützt eben vor Leistung nicht“, sagt er.​