Hamburg. Das kommunikative Armageddon hält an. Jetzt geht es um Spieler-Transfers, Trainer und Strategie. Eine Posse und die Folgen.

Manchmal sind es die Kleinigkeiten, an die man sich Jahre später erinnert. Bernd Hoffmann weiß zum Beispiel noch ganz genau, wo er am Abend des 23. Juni 2009 war, als der HSV unterging: in der Badewanne. Seinerzeit berichtete ihm der damalige HSV-Aufsichtsrat Jörg Debatin am Telefon, dass der Machtkampf zwischen Hoffmann und dem damaligen Sportchef Dietmar Beiersdorfer entschieden war. Die damalige Entscheidung des Kontrollgremiums: Hoffmann sollte bleiben, Beiersdorfer musste gehen.

Ziemlich genau zehn Jahre später war am Donnerstag nur eines klar: In der Badewanne saß Bernd Hoffmann diesmal nicht, als landauf, landab wieder einmal über den Untergang des HSV debattiert wurde. Statt aber erneut nur über­einander zu reden, wurde einen Tag nach dem kommunikativen Armageddon von Beiersdorfers Nach-Nach-Nach-Nach-Nach-Nach-Nachfolger Ralf Becker im Volkspark dann doch wieder miteinander gesprochen.

HSV: Armageddon und Rückrunden-Fiasko

Gleich mehrere interne Sitzungen mit verschiedenen Abteilungen standen im Laufe des Donnerstags auf der Tagesordnung, wobei über allem die zentrale Frage stand: Wie schwer ist das offenbar angespannte Verhältnis zwischen Vorstandschef Hoffmann und Sportvorstand Becker in Wahrheit belastet?

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HSV-Chef Hoffmann: "Wir müssen jeden Stein umdrehen!"

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    Hintergrund dieser plötzlich aufgeworfenen Frage waren die Ereignisse der beiden Tage zuvor. Die Kurzform: Am Dienstag hatte HSV-Chef Hoffmann kurzfristig eine Presserunde im Volkspark anberaumt, in der er viel über das Rückrundenfiasko sagte, ohne dabei aber irgendetwas Konkretes zu sagen. Der schmissige Kernsatz „Das Sportsystem ist kollabiert“ stieß Vorstandskollege Becker allerdings übel auf. Sein Verdacht: Er als Hauptverantwortlicher für den Sportbereich sollte nun für den Nichtaufstieg öffentlich mit dem Trainer alleinverantwortlich gemacht werden.

    Ähnlich wie im Winter, als sich Becker massiv über ein Interview von Aufsichtsrat Marcell Jansen geärgert hatte, in dem der damalige Präsidentenkandidat über sportliche Dinge sprach, reagierte der Schwabe auch diesmal sehr impulsiv. In einem Gespräch mit der „Bild“-Zeitung verteidigte Becker am Tag nach der viel beachteten Hoffmann-Runde seine Pläne, erinnerte daran, dass er 15 Millionen Euro durch Transfers eingenommen und den Gehaltsetat von 55 auf 27 Millionen Euro gesenkt habe.

    Ralf Becker will an der bisherigen Richtung festhalten

    Und dann fiel eben auch noch dieser eine Satz über die bevorstehende (und offenbar längst feststehende) Entlassung von Trainer Hannes Wolf, bei dem sich Becker und der „Bild“-Redakteur in den Stunden danach über die genaue Wortwahl nicht mehr einig werden sollten: „Ich habe Hannes nach dem 0:3 gegen Ingolstadt gesagt, dass es für ihn hier im Sommer nicht weitergehen wird, dass wir etwas anderes machen wollen.“

    Nun denn. Inhaltlich bot der Satz, den Becker mit dem Wort „vielleicht“ ergänzt haben wollte, ohnehin mehr als genug Diskussionsstoff. Vor allem aber kommunikativ, da war man sich beim HSV am Donnerstag einig, war Beckers Vorgehensweise ein Eigentor. Wichtiger als die mediale Bewertung – „Lachnummer“ (Abendblatt), „völlig irre“ („Mopo“), „Chaos-Wirrwarr“ („HL-Sports“) – dürfte aber die ausführliche Beantwortung der Frage sein, wie tief der mutmaßliche Riss im Verhältnis zwischen Becker und Hoffmann tatsächlich ist.

    Die gute Nachricht gleich vorweg: Anders als im Sommer 2009, als die Beziehung zwischen Vorstandschef (Hoffmann) und Sportvorstand (Beiersdorfer) irreparabel gestört war, gibt es bei der Neuauflage zum Zehnjährigen diesmal zwischen Vorstandschef (wieder Hoffmann) und Sportvorstand (diesmal Becker) durchaus Hoffnung. Beide haben in den vergangenen Monaten gut und gerne miteinander gearbeitet – haben nach der enttäuschenden Saison nun allerdings auch sehr unterschiedliche Ansätze, in welche Richtung man sich in der kommenden Saison entwickeln will.

    HSV-Transfers: Erfahrene Spieler, erfahrener Trainer?

    Während Becker (und auch der neue Sportdirektor Michael Mutzel) den vor einem Jahr eingeschlagenen Weg (junger Kader, junger Trainer) auch aus finanziellen Gründen grundsätzlich beibehalten wollen, scheint Hoffmann nach dem Absturz in der Rückrunde eine Kurskorrektur zu bevorzugen. Als Lehre des missratenen Halbjahrs präferiert der Clubchef („Wir müssen jeden Stein umdrehen“) eine Nachfolgelösung für Hannes Wolf mit einem eher erfahrenen Trainer wie zum Beispiel Dieter Hecking.

    Auch bei der Spielerauswahl soll Hoffmann auf mehr Erfahrung hindrängen. Die Verpflichtung von Bochums Stürmer Lukas Hinterseer (28) beispielsweise soll bereits nahezu perfekt sein.

    Allzu viel Zeit werden sich Hoffmann und Becker bei ihrer Grundsatzdebatte über die zukünftige Ausrichtung des HSV allerdings nicht nehmen können. Besonders im Aufsichtsrat, formal das Gremium, das über die Besetzung der Vorstandspositionen entscheidet, wurden die vergangenen Tage und vor allem die desaströse Außendarstellung kritisch verfolgt. Auch im Präsidium des e.V., das gestern tagte und dem die Kon­trolleure Marcell Jansen und Thomas Schulz angehören, hat man die Posse zur Kenntnis genommen. Äußern wollte sich auf Nachfrage aber – vorerst – niemand.

    Das alles ist, und das muss man beim HSV in diesen Tagen sehr deutlich betonen, der Stand vom Donnerstag. Bereits an diesem Freitag findet schon wieder die nächste Pressekonferenz statt – diesmal mit „Becker-Opfer“ Hannes Wolf. Es wird also nicht langweilig.

    Julian Pollersbeck soll Millionen Euro bringen

    Verkaufskandidaten: Nach dem feststehenden Nichtaufstieg haben die HSV-Verantwortlichen die Kaderplanung aufgenommen. Neben Zugängen (Transfer von Bochums Lukas Hinterseer steht kurz bevor) soll auch das Thema Abgänge forciert werden. So hat Neu-Sportdirektor Michael Mutzel bei mehreren Beratern der HSV-Profis, darunter auch von Julian Pollersbeck und Rick van Drongelen, vorgefühlt, ob sie sich einen Wechsel vorstellen können. Die ganze Geschichte über einen möglichen Pollersbeck-Wechsel lesen Sie hier.