Hamburg. Die Verantwortlichen fühlten bereits im April vor, mit welchen Spielern im Sommer Kasse gemacht werden kann.
Seit der Aufstieg nicht mehr zu realisieren ist, läuft die Fehleranalyse beim HSV auf Hochtouren. Als erste Konsequenz aus der katastrophalen Rückrunde soll die Mannschaft eine neue Führungsachse erhalten. Sportvorstand Ralf Becker hatte schon vor drei Wochen nach der 0:2-Niederlage bei Union Berlin "fehlende Typen" als Hauptgrund für den Absturz mit acht sieglosen Ligaspielen in Folge ausgemacht. Der Manager will vier bis fünf Spieler verpflichten, die ein junges Team führen können.
Einer von ihnen ist David Kinsombi, der für drei Millionen Euro aus Kiel kommt. Um die weiteren Neuzugänge, die die Attribute Qualität, Persönlichkeit und Mentalität vereinen, zu finanzieren, muss der Club aus dem Volkspark erst einmal Geld durch Transfers einnehmen. In diesem Zusammenhang fällt natürlich immer wieder der Name Douglas Santos, von dem sich der HSV eine Ablöse im zweistelligen Millionenbereich erhofft.
Tafelsilber? HSV klopfte bei Pollersbeck an
Aber auch andere Spieler stehen zum Verkauf, wenn der Preis stimmt. Bereits im April erkundigten sich Becker und Sportdirektor Michael Mutzel bei mehreren Spielerberatern, mit welchen HSV-Profis im Sommer das große Geld verdient werden kann. Nach Abendblatt-Informationen dachte der Club dabei vor allem an Torwart Julian Pollersbeck. Den Hanseaten schwebt eine Ablöse von mindestens acht Millionen Euro vor. Eine Summe, die nach einer durchwachsenen Rückrunde des U-21-Europameisters aber kaum zu realisieren sein dürfte.
Hinzu kommt, dass der ohnehin spezielle Torhütermarkt momentan keine sinnvollen Wechseloptionen innerhalb Deutschlands bietet. Möglich wäre wohl nur ein Abgang ins Ausland – doch für etwaige Spekulationen ist es noch zu früh.
Kahn- und Arsenal-Lob für Pollersbeck – vor einem Jahr
Pollersbeck wird intern kritisch gesehen. Die Verantwortlichen haben vor allem eine fehlende Körperspannung als Kritikpunkt ausgemacht. Diese soll dazu geführt haben, dass der Keeper vor vier Wochen gegen Aue (1:1) am Eckball, der zum Gegentor führte, vorbei segelte. Ein Fehler, durch den die Mannschaft nach Ansicht der Club-Verantwortlichen endgültig in die Abwärtsspirale geraten sein soll.
Tatsächlich stagniert die Entwicklung des einst als kommenden Nationaltorhüter gehandelten Schlussmanns. Wie so viele Spieler, die zum HSV wechselten, blieb auch Pollersbeck bisher einen Beweis schuldig, sich signifikant verbessert zu haben. Seine beste Phase in Hamburg erlebte er unter Ex-Trainer Christian Titz, der ihn als verkappten Libero ins Aufbauspiel miteinbezogen hatte. Zu dieser Zeit erfuhr Pollersbeck auch internationale Beachtung. Steven Fraser, Scout und Trainer des Torhüternachwuchses von Arsenal London, sprach in einem Tweet von einer „sehr interessanten Positionierung“. Oliver Kahn bezeichnete Pollersbecks Spielweise später gar als "sensationell".
Verunsicherung führte auch zu Pollersbecks Formkrise
Doch nach einer guten Hinrunde folgte wie bei seinen Mitspielern der Leistungsabfall im Winter. Sinnbildlich hierfür steht das erste Gegentor beim damaligen Aufstiegskonkurrenten Union Berlin (0:1) vor drei Wochen. Nach einem schweren Aussetzer von Gideon Jung tauchte Robert Zulj alleine vor dem Tor auf. Der unplatzierte Schuss des Berliners aus 13 Metern, bei dem Pollersbeck noch mit der Hand dran war, war allerdings nicht unhaltbar. Es sind Bälle wie diese, die der 24-Jährige in der Vergangenheit schon mal gehalten hat. In der Rückrunde fehlte ihm jedoch eine besondere Parade, die sich so wie einst sein revolutionäres Aufbauspiel bis auf die Insel herumspricht.
Zur Wahrheit über Pollersbecks Formschwäche gehört allerdings auch, dass er in den vergangenen Wochen wie einige seiner Kollegen völlig verunsichert war. Innerhalb der Mannschaft wurde es kritisch gesehen, dass Trainer Wolf mitten in der Krise permanent seine Formation und Aufstellung wechselte und seinen Spielern dadurch keine Sicherheit vermittelte.
Motivationsvideo verpuffte bei Pollersbeck
Als sämtliche seiner zweifellos zahlreichen Maßnahmen keine Wirkung zeigten, versuchte es Wolf vor dem Paderborn-Spiel (1:4) mit einem Motivationsvideo, in dem Grußbotschaften von Spielerfrauen und Bekannten eingespielt wurden. Auch ein Vertrauter Pollersbecks sollte zu Wort kommen. Das Problem war nur: es wollte keiner. Vor drei Jahren hatte Pollersbecks Ex-Club Kaiserslautern zu einem änhlichen Mittel gegriffen. Damals diente sein Vater Günter Pollersbeck als Motivator. Zu einer Wiederholung war er jedoch nicht zu motivieren, weil er wusste, dass ein solches Video keine Wirkung bei seinem Sohn haben werde. Am Ende sprach Pollersbecks Cousin, damit überhaupt einer sprach.
Spätestens nach dieser Aktion, die nicht nur von Pollersbeck kritisch gesehen wurde, hatte Wolf den Rückhalt innerhalb der Mannschaft verloren.
Im Sommer will der talentierte Torhüter, der durch privates Boxtraining an seiner Reaktionsschnelligkeit arbeitet, nun seinen Kopf freibekommen, um einen Neustart zu beginnen. Und zwar voraussichtlich beim HSV.