Hamburg. Manuel Wintzheimer sorgte für Jubel – und eine kuriose Wette. Verlassen will er den HSV im Sommer trotzdem.
Spätestens am frühen Dienstagmorgen wusste Tom Groß ganz genau, was er da am späten Montagabend angerichtet hatte. Mehr als 430 Reaktionen hatte sein Facebookeintrag vom Vorabend ausgelöst, als er direkt nach der späten Einwechslung Manuel Wintzheimers in Köln schrieb: „Wenn Wintzheimer das 1:1 macht, renne ich nackt um den Volkspark.“ Als der HSV-Youngster dann tatsächlich nicht einmal fünf Minuten später den verdienten Ausgleichstreffer beim FC erzielt hatte, musste Groß bei Facebook zumindest ein wenig zurückrudern: „Habe absolut nie im Leben damit gerechnet. Aber okay, nackt wird es nicht (könnte Ärger mit der Polizei geben). Deshalb morgen in Boxer und Scheiß-St.-Pauli-Schal…“
Gesagt, getan. Oder besser: geschrieben, getan. Am Morgen danach war das Echo auf die Facebook-Wette jedenfalls groß. „Die meisten antworteten, dass ich mich eh nicht traue“, sagte Tom, der es besser wusste. „Wettschulden sind Ehrenschulden“, versprach der 28-Jährige, als er am Montag um 11.30 Uhr am HSV-Trainingsplatz aufkreuzte, sich bis auf die Unterbüchs auszog und die angekündigte Fast-nackidei-Runde um das Volksparkstadion drehte.
In den USA gibt es für derartige Aktionen einen Ausdruck: 15 minutes of fame. Übersetzt: 15 Minuten Ruhm. Das Abendblatt-Video von der Wette ging noch am Dienstagabend online und sorgte tatsächlich dafür, dass HSV-Fan Tom Groß seine 15 Minuten Ruhm hatte.
Wintzheimers neun Minuten HSV-Ruhm
Viel mehr Saisonminuten waren es im Übrigen auch nicht, über die sich der eigentliche Star des Vorabends freuen durfte. „Stimmt es wirklich, dass Sie erst 20 Minuten in dieser Saison spielen durften“, fragte kurz nach dem Abpfiff in Köln Nitro-Moderatorin Laura Wontorra ungläubig HSV-Stürmer Wintzheimer.
Es waren 31 Minuten – wenn man es genau nimmt. 22 Minuten am 18. Spieltag beim 1:3 in Kiel. Und eben diese unvergesslichen neun Minuten am Montagabend in Köln. „Als junger Spieler ist es immer schwierig“, sagte Wintzheimer, der auch in der Stunde des Triumphes nicht verhehlen wollte, dass er sich seine Einsatzzeiten in dieser Saison ganz anders vorgestellt hatte. „Es war ein sehr geiles Gefühl. Aber man muss eben in jedem Training Vollgas geben, sich empfehlen“, sagte der 20-Jährige. Und noch einmal: „Gas geben.“
Der Satz des Abends: „Gas geben.“ Handgestoppt 3.25 Minuten dauerte das Ruhmesinterview nach dem Spiel. Und nachgezählte neun Mal betonte der Held des Abends , dass er nun Gas – oder eben Vollgas – geben müsse. Was ihm sein erster Profitreffer bedeute? „Das war doch nur ein Anfang. Jetzt muss ich noch mehr machen. Immer weiter Gas geben.“
HSV-Trainer Wolf sieht Steigerung bei Wintzheimer
Das Problem an Wintzheimers Vollgas-Versprechen: Wirklich weit war der Neuzugang von Bayern München in dieser Saison mit der lobenswerten Einstellung nicht gekommen. „Die Chance, auf die Manu so lange gelauert hat, hätte er deutlich früher bekommen können“, sagte Wintzheimer-Berater Thies Bliemeister, der am Montagabend ebenfalls im Rhein-Energie-Stadion war und gestern nach Manchester flog, um dort heute Abend den Auftritt seines Mandanten Heung-Min Son mit Tottenham in der Champions League gegen City anzuschauen. „Natürlich haben Manu und ich uns die Saison ganz anders vorgestellt.“
Tatsächlich waren die Erwartungen groß, als der HSV das Bayern-Eigengewächs und den Gewinner einer bronzenen Fritz-Walter-Medaille als drittbestes Fußballtalent seines Jahrgangs verpflichtete. „Der Manu gehört zu den besten Stürmern Deutschlands im 99er-Jahrgang“, sagte Ex-Trainer Christian Titz.
Gleiches sagte auch Nachfolger Hannes Wolf, der bislang aber kaum Verwendung für das Sturmtalent fand. „Fußball ist manchmal schwer, besonders, wenn man verletzt oder draußen ist“, sagte der Coach nun nach dem 1:1 in Köln. „Manu hat gut gearbeitet, hat bei der U21 getroffen und auch bei uns gut trainiert. Er hat sich echt gesteigert.“
Manuel Wintzheimer will den HSV verlassen
Auch Sportvorstand Ralf Becker, der im Winter mehrere Anfragen für das frühere Bayern-Talent aus der Zweiten Liga und dem Ausland ablehnte, freute sich über Wintzheimers Tor: „Der Manu hat lange auf seine Chance gewartet. So ist Fußball“, sagte er. „Nun kommt er rein und macht direkt das Tor. Einfach super. Er hat sich das absolut verdient.“
Bei aller Freude können 15 minutes of fame – oder in diesem Fall: neun Minuten gegen Köln – auch nicht den Blick auf das große Ganze vernebeln. „Natürlich müssen wir im Sommer genau überlegen, wie es mit Manuel weitergehen kann“, sagte am nächsten Morgen Berater Bliemeister. Dabei ist nach Abendblatt-Informationen die Entscheidung längst gefallen: Wintzheimer, der in der Bayern-Jugend in 39 Pflichtspielen 36 Tore erzielt hatte, will im Sommer weg.
Der Hauptgrund: fehlende sportliche Perspektive. Bereits am Sonnabend im Heimspiel gegen Aue könnte der Köln-Star schon wieder ins zweite (oder sogar dritte) Glied rücken. Pierre-Michel Lasogga soll dann wieder fit sein, dürfte im Sturm gesetzt sein. Und auch der langzeitverletzte Hee-chan Hwang hofft darauf, erstmals nach knapp sieben Wochen und überstandenem Sehnenanriss wieder im Kader dabei zu sein.
Lewis Holtby sagte Wintzheimer-Tor voraus
Aber wie sagt man so schön: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. So hätte HSV-Fan Tom Groß am Montagabend mal besser auf Lewis Holtby hören sollen. Der gelbgesperrte HSV-Profi saß auf der Tribüne in Köln und sagte nur wenige Sekunden vor der Einwechslung Wintzheimers: „Gleich kommt Manu und macht den Ausgleich.“
Am Ende hatte Holtby Recht, Groß musste joggen – und hat nun schon die nächste HSV-Wette im Angebot: „Wenn der HSV aufsteigt, laufe ich vom Volksparkstadion bis zum Rathausmarkt.“
HSV erkämpft sich einen Punkt in Köln dank Wintzheimer