Hamburg. In Köln droht die nächste Pleite – und danach ein Zittern bis zum Schluss. Und die Anhänger? Kommen trotzdem. Ein Erklärungsversuch.

Allzu viele Illusionen macht sich Michael Richter nicht. „Hoch werden wir in Köln wohl nicht gewinnen“, sagt der HSV-Fan, der natürlich trotzdem an diesem Montag um 13.43 Uhr in den Zug von Hamburg-Harburg nach Köln-Deutz steigen wird. Richter ist einer von rund 850 HSV-Anhängern, die mit dem 420 Meter langen Sonderzug – der längsten zugelassenen Bahn in Deutschland – zum Topspiel beim FC (20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) fahren.

Insgesamt werden im Rheinenergystadion mehr als 5000 HSV-Fans erwartet. „Köln ist immer eine Reise wert“, sagt der 49-Jährige, der für den Trip zum Tabellenführer gerne in Kauf nimmt, dass er am Dienstagmorgen erst um 5.31 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof zurück sein wird.

Alle HSV-Auswärtstickets in diesem Jahr verkauft

Der HSV und seine Fans. Es ist eine Beziehung, die mit rein rationalen Argumenten kaum zu verstehen ist – und Richter ist dabei nur eines von vielen Beispielen. Der Ahrensburger, dem die Liebe zur Raute bereits von seinem Vater in die Wiege gelegt wurde, war schon immer Fan, lange Dauerkartenbesitzer und auch seit Ewigkeiten Mitglied. Zum Allesfahrer, also zum Anhänger, der möglichst kein einziges Saisonspiel verpasst, wurde Richter aber erst vor rund drei Jahren. „Je schlechter der HSV wurde, desto öfter bin ich zu den Spielen gekommen“, scherzt der Berufssoldat, der auch in der Abteilungsleitung des Supporter Clubs ehrenamtlich aktiv ist.

Zum Ende dieser Zweitligasaison wird Richter aller Wahrscheinlichkeit nach einen perfekte „34er“ geschafft haben. Eine Spielzeit also, in der er bei allen 34 Pflichtspielen dabei war. „So eine Leidenschaft ist nicht erklärbar“, sagt der Anhänger.

Das sieht Hannes Wolf ganz ähnlich. Der HSV-Trainer sitzt am späten Mittag im ersten Stock des Volksparkstadions und wird am Vortag des Köln-Spiels um sein Wort zum Sonntag gebeten. „Die Unterstützung unserer Fans ist außergewöhnlich“, sagt Wolf, der natürlich weiß, dass er und seine Mannschaft die eigenen Anhänger zuletzt nicht unbedingt verwöhnen konnten. „Ich kann vor diesen Fans nur den Hut ziehen.“

Glänzender Zuschauerschnitt trotz vieler Montagsspiele

Will man die Leidensfähigkeit der HSV-Fans ernsthaft würdigen, bräuchte man wohl eine ganze Lagerhalle voller Hüte. In dieser Saison haben die Hamburger ihr Auswärtskontingent von allen 17 Spielen in der Fremde ausverkauft. Und auch zu Hause, wo die Anhänger zuletzt mit zwei gruseligen Last-minute-Pleiten gegen die Abstiegskandidaten Darmstadt (2:3) und Magdeburg (0:1) gequält wurden, bleiben die Fans treu.

In einem Fünfjahresranking, das das CIES Football Observatory in den Jahren 2013 bis 2018 weltweit erhoben hat, landete der HSV trotz des Dauerabstiegskampfes mit 52.349 Zuschauern im Schnitt hinter Dortmund, Manchester United, Barcelona, Bayern, Real Madrid, Schalke und Arsenal auf einem unglaublichen achten Rang.

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„Hamburg identifiziert sich in einer Art und Weise mit dem HSV, das ist herausragend“, schwärmte Clubchef Bernd Hoffmann unlängst bei einer Podiumsdiskussion im Überseeclub. Vieles müsse sich beim HSV ändern, sagte Hoffmann, nur die einmalige Treue der Fans bitteschön nicht.

So gibt es weltweit nur einen Zweitligaclub, der in dieser Spielzeit mit 49.385 Zuschauern ganz knapp einen besseren Schnitt als der HSV aufweist: ausgerechnet der 1. FC Köln. „Aber trotz der ganzen Montagsspiele werden wir auch in dieser Saison wieder einen Zuschauerschnitt zwischen 49.000 und 50.000 haben“, versprach Vorstandschef Hoffmann.

Wolf hofft auf Lasoggas Rückkehr gegen Aue

Wie sehr die Montagsspiele die eigenen Anhänger trifft, wird auch am Beispiel von Allesfahrer Richter deutlich. „Ich muss mir für jedes Montagsspiel einen freien Tag nehmen, da ich immer aus Berlin anreise, wo ich derzeit im Verteidigungsministerium arbeite. Aber ich habe das Glück, dass ich einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber habe“, sagt der Soldat, der sich in dieser Woche sogar den Dienstag frei genommen hat. „Sonst hätte ich nach der nächtlichen Rückkehr nach Hamburg ja direkt zur Arbeit fahren müssen.“

Gar nicht erst zur Arbeit fährt an diesem Montag Pierre-Michel Lasogga. Der Angreifer fällt in Köln wegen hartnäckiger Adduktorenprobleme aus. Trainer Wolf hofft aber darauf, dass der Torjäger und sein seit Wochen verletzter Sturmpartner Hee-chan Hwang am kommenden Sonnabend im Heimspiel gegen Aue wieder dabei sein können.

Definitiv dabei sein wird natürlich Michael Richter. Sein offiziell eingetragener Fanclub hat nicht ohne Grund den Namen „Semper Fi 1887“. Übersetzt: Immer treu 1887. „Der Virus HSV lässt einen irgendwie nicht mehr los“, sagt der Hardcore-Anhänger, der sogar seine Frau beim HSV kennenlernte. „Das hat den Vorteil, dass ich sie von meiner Leidenschaft nicht erst überzeugen muss. Sie ist ja selbst leidenschaftlicher HSV-Fan und fährt sehr gerne mit mir auch zu allen Auswärtsspielen.“

Kennengelernt haben sich die beiden Fans im Übrigen bei einem Pokalspiel vor fünfeinhalb Jahren im Volkspark. 2:1 hat der HSV seinerzeit nach Toren von Maximilian Beister und Ivo Ilicevic gewonnen. Der Gegner seinerzeit: der 1. FC Köln.