Hamburg. Der Coach beantwortet kritische Fragen nach der zweiten Heimpleite in Folge. Diese Zahlen versetzen den HSV in Alarmbereitschaft.

Will der HSV gar nicht aufsteigen? Diesen Eindruck bekamen die 49.820 Zuschauer am Montagabend bei der 1:2-Pleite gegen den abstiegsgefährdeten 1. FC Magdeburg. Zum zweiten Mal in Folge verspielten die Hanseaten eine Führung im Volksparkstadion – und gingen am Ende mit bedröppelten und wütenden Gesichtern als Verlierer vom Platz. Doch wie konnte es so weit kommen?

Auf der Suche nach Erklärungen führt der Weg zwangsläufig zu Trainer Hannes Wolf, der zwar von der Führungsspitze um Clubboss Bernd Hoffmann und Sportvorstand Ralf Becker uneingeschränktes Vertrauen genießt, sich gegen Magdeburg aber zum wiederholten Male verzockt hat.

Warum die Paderborn-Taktik nicht aufging

Beispiel Taktik: Wolf setzte auf das im DFB-Pokal erfolgreiche defensiver ausgerichtete Paderborn-System mit einer Dreierkette, bestehend aus drei Innenverteidigern, deren Qualitäten eher bei Zweikämpfen als im Spielaufbau zur Geltung kommen. Dadurch hakte diesmal die Eröffnung des eigenen Offensivspiels, zumal Gideon Jung im defensiven Mittelfeld völlig überfordert wirkte. Dazu fehlte allen drei Abwehrrecken die Orientierung bei den Gegentoren. Beim 1:1 leistete sich David Bates einen folgenschweren Stellungsfehler, beim 1:2 gingen Rick van Drongelen und Kyriakos Papadopoulos nur halbherzig zum Ball. Ersterer legte schließlich unglücklich per Kopf für Siegtorschütze Türpitz vor.

Über die gesamte Spieldauer fand der HSV keine spielerischen Mittel gegen defensivstarke Gäste und leistete sich zu viele Fehler im Aufbau. Selbst das 1:0 durch Bakery Jatta in der ersten Hälfte war eher schmeichelhaft. „Wir gehen glücklich in Führung“, gestand Wolf später ein. Nach dem Ausgleich der Gäste schoss der HSV gar nicht mehr aufs Tor, obwohl noch rund 30 Minuten zu spielen waren. Keine Frage, der Club konnte diesmal keine Vorteile aus dem 3-4-1-2-System, das zum Pokalerfolg in Paderborn führte, schöpfen.

Wolf-Wechsel sorgen für Fragezeichen

Beispiel Wechsel: Anders als Vorgänger Christian Titz, der den Sieg zu Saisonbeginn häufiger mal eingewechselt hatte, scheint Wolf nicht immer ein glückliches Händchen bei seinen Personalentscheidungen zu haben. Auch diesmal sorgte er mit seinem ersten Wechsel kurz nach Magdeburgs Ausgleichstreffer – Berkay Özcan kam für den agilen Jatta – für viele fragende Gesichter.

„Der Wechsel hatte nichts mit dem Gegentor zu tun. Wir hatten gehofft, dass Berkay mehr Torgefahr entwickeln kann", sagte Wolf. "Natürlich wünschen wir uns Impulse und versuchen, das Spiel durch Wechsel positiv zu beeinflussen. Ich will aber nicht den Jungs, die reinkamen, die Schuld dafür geben. Das wäre falsch."

Jung machte gegen Magdeburg ein schwaches Spiel, verschuldete den Ausgleich und trug anschließend nicht zur Sicherheit bei.
Jung machte gegen Magdeburg ein schwaches Spiel, verschuldete den Ausgleich und trug anschließend nicht zur Sicherheit bei. © Witters | Unbekannt

Anders als Jatta durfte der völlig indisponierte Jung, eine klare Schwachstelle im gestrigen HSV-Spiel, über die volle Distanz auf dem Platz stehen. Und das, obwohl Vasilje Janjicic in der 80. Minute schon zur Einwechslung bereit stand. "Aber genau in diesen Momenten, in den zwei bis drei Minuten vorher, hatte Gideon sich stabilisiert", rechtfertigte Wolf seine Entscheidung.

Auch Wolf dürfte registriert haben. dass der Gegenwind unter den Fans in den sozialen Netzwerken größer geworden ist. Der gebürtige Bochumer weiß, er muss wieder liefern. „Wir brauchen noch ein paar Punkte. Dass das in den großen Spielen geht, haben wir schon ein paar Mal gezeigt", sagte Wolf beim Gedanken an den nächsten Gegner, Spitzenreiter Köln (Montag, 15. April, 20.30 Uhr).

Individuelle Fehler bringen HSV-Gerüst zum Einstürzen

Selbstverständlich ist Wolf nicht alleinverantwortlich für die schlechte Phase, in der sich der HSV befindet. Dass der Club aus dem Volkspark nur einen Punkt aus den vergangenen drei Partien gegen Darmstadt (2:3), Bochum (0:0) und Magdeburg holte, liegt auch am Formtief sowie individueller Fehler einiger Spieler. Gotoku Sakai gewann am Montagabend nur 34,78 Prozent seiner Zweikämpfe – eine unterirdische Quote für einen Verteidiger. Jatta (35 Prozent) und Jung (41,18) machten es nur unwesentlich besser.

Vor dem Ausgleichstor der Gäste grätscht Jung übermotiviert ins Leere und öffnet dadurch das komplette Zentrum, in dem er als Absicherung dienen sollte. Zu allem Überfluss stand Bates zu weit weg von Torschütze Bülter und kam anschließend im Sprintduell nicht mehr hinterher. "Wir stehen eigentlich sehr gut 3:2 im Mittelfeld, gehen dann runter zur Grätsche, gehen auf und laufen nicht hinten rein", analysierte Wolf.

Beim finalen K.o. bekommt Türpitz zu viele Freiheiten, als er am Strafraum auf einen Abpraller lauert, den er durch van Drongelens Blackout erhält. „Das tut extrem weh“, sagte Wolf zu dieser Szene. "Wenn wir schon nicht gewinnen, dann müssen wir den letzten Standard nochmal voll verteidigen. Das haben wir einfach nicht gemacht."

Neun Punkte nach Führung verspielt

Doch schon vor dem Gegentor zum 1:2 baute der HSV von Minute zu Minute mehr ab. Nahezu jeder Pass im Spielaufbau in der Schlussphase landete beim Gegner. Entsprechend schockiert und ungläubig reagierten auch die Fans im Stadion. "Bei uns summieren sich zu viele kleine Fehler: Bälle werden ins Aus geköpft, Ecken verschenkt – einfach viele kleine Fehler, die verhindern, dass man in einen Spielfluss kommt und eine spielerische Dominanz entwickeln kann. Da müssen wir ran", klagte Wolf. "Wenn man ein Video nur mit unseren Fehlern zusammenstellen würde, kriegt man einige Minuten zusammen."

Individuelle Fehler, abwärts zeigende Formkurven von Leistungsträgern, fragwürdige Wechsel und nicht immer die optimale taktische Aufstellung – beim HSV kommt derzeit viel zusammen, was in der Summe zu den schlechten Auftritten seit Weihnachten führt. Gerade mal 14 Zähler holten die Hamburger in elf Rückrundenpartien. Dazu verspielten die Profis schon neun Punkte nach einer Führung im Kalenderjahr 2019.

Holtby: "Das ist ekelhaft"

Es sind Zahlen, die den einstigen Dino beim Projekt Wiederaufstieg in Alarmbereitschaft versetzen sollte. "Das ist ekelhaft, tut weh und ist Gift in dieser Phase, in der wir uns befinden“, sagte Kapitän Lewis Holtby. Sein Trainer pflichtete ihm bei. „Wir haben zum wiederholten Male geführt und kriegen das Spiel nicht über die Zeit. Nächste Woche in Köln brauchen wir eine andere Leistung. Wir brauchen aber vor allem wieder Erfolgserlebnisse“, fordert Wolf, der nun eine Woche Zeit hat, die richtigen Maßnahmen für das Spitzenspiel zu treffen.

Durch die Ergebnisse der zurückliegenden Wochen kann sich der HSV nun keinen Ausrutscher mehr leisten. Schon gar nicht bei den kommenden Auswärtsspielen gegen die direkten Konkurrenten Köln, Union Berlin (28.4.) und Paderborn (12.5.).

Die Hamburger haben den Aufstiegskampf wieder unnötig spannend gemacht.