Hamburg. Nach dem Last-Minute-K.-o. gegen Magdeburg herrscht höchste Aufstiegsalarmstufe im Volkspark. Polizei geht gegen Gästefans vor.

Es lief bereits die Nachspielzeit, als aus einem mehr oder weniger schlechten ein dramatisch schlechter HSV-Abend werden sollte. Philip Türpitz war es, der – ähnlich wie beim 2:3 gegen Darmstadt vor zwei Wochen – in buchstäblich letzter Sekunde zum 2:1-Überraschungssieg des 1. FC Magdeburg gegen den HSV traf. Als dann Schiedsrichter Bastian Dankert kurz darauf die Heimniederlage besiegelte, stapften Trainer Hannes Wolf und Sportchef Ralf Becker wütend in die eigene Kabine. Wenig später folgten die Spieler wort- und grußlos. Und dann wurde es laut hinter den verschlossenen Türen. Sehr laut.

"Das Ende ist sehr bitter und tut sehr weh. Zum zweiten Mal binnen weniger Wochen in der Nachspielzeit zu verlieren ist extrem, daran müssen wir ansetzen", hatte Wolf kurz zuvor noch am Sky-Mikrofon gesagt.

Der HSV in der Einzelkritik

Sehr viel bessere Laune hatte dagegen HSV-Chef Bernd Hoffmann noch 90 Minuten vor dem Anpfiff. Auf dem Volksparkett, einer vor jedem Heimspiel von Fans organisierten Podiumsdiskussion, hatte der Vorstandschef die Lacher auf seiner Seite, als er um seine Prognose für das Spiel gebeten wurde. „Ich gehe davon aus, dass wir mit dem üblichen Torrausch 1:0 gewinnen“, orakelte Hoffmann scherzhaft, um dann ganz im Ernst vor zu viel Euphorie zu warnen: „Es verbietet sich für uns, über etwas anderes zu sprechen als die Zweite Liga. Es ist noch ein langer Weg.“

Wolf lässt HSV-Pokalelf beginnen

Wie recht Hoffmann mit dieser Aussage bereits am Montagabend haben sollte, konnte der Clubboss zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht wissen. Ganz im Gegenteil zur Aufstellung, die natürlich auch dem Clubboss vor dem Anpfiff nicht verschwiegen wurde. Wie erwartet setzte Trainer Hannes Wolf auf die gleiche Startelf, auf die er bereits sechs Tage zuvor beim Pokaltriumph in Paderborn (2:0) gesetzt hatte. Somit durfte auch Dauerpatient Kyriakos Papadopoulos erstmals nach 331 Tagen wieder im Volkspark auflaufen.

Und der Grieche sollte direkt zu Beginn der Partie mehr zu tun bekommen, als ihm eigentlich lieb war. Angefeuert von mehr als 6000 mitgereisten und vor allem lautstarken Magdeburgern, besaß der Drittletzte der Zweiten Liga die Frechheit, gar nicht wie ein Drittletzter zu spielen. Die Mannschaft von Ex-HSV-Trainer Michael Oenning spielte frech nach vorne, presste früh und ließ bis auf eine hübsch herausgespielte Kombination über Douglas Santos, Orel Mangala und Lewis Holtby (13.) keine einzige HSV-Chance in der ersten halben Stunde zu.

Lohkempers Tor wird zurückgepfiffen

Passend hierzu das Eckenverhältnis der ersten Hälfte, das Magdeburg mit 5:0 (!) für sich gewinnen konnte.

Nach 22 Minuten drohte dem HSV sogar richtig Ungemach, als Felix Lohkemper zunächst Papadopoulos davonlief, Torhüter Julian Pollersbeck umkurvte und auch noch zielsicher zur vermeintlichen Gästeführung einschoss. Allerdings entschied Schiedsrichter Bankert nach Hinweis von Linienrichter Markus Häcker auf Abseits, was die TV-Bilder von Sky widerlegten.

Jatta trifft zur HSV-Führung

Und das Glück sollte zunächst aufseiten der Hamburger bleiben. Denn genau in der Phase, als kaum einer der 49.823 Zuschauer im Volkspark mit einem HSV-Tor gerechnet hatte, trafen die Hamburger dann doch. Einen nur mäßig gelungenen Santos-Freistoß köpfte Magdeburgs Björn Rother direkt zum lauernden Bakery Jatta. Der Gambier schaltete ähnlich blitzschnell wie er sonst auch läuft, nahm den Ball kurz an und schoss humorlos mit rechts ins linke untere Eck: 1:0 nach 31 Minuten.

„Die Führung ist nicht wirklich beruhigend“, analysierte Clubmanager Bernd Wehmeyer in der Pause sehr richtig. „Wir haben eine Standardsituation gebraucht, um in Führung zu gehen. Aber das nicht gegebene Abseitstor zeigt, wie gefährlich die Magdeburger sind.“

Im zweiten Durchgang dauerte es dann nicht lange, ehe erneut Dankert und Häcker ins Zentrum des Geschehens rückten. Zunächst entschied der Unparteiische aus Rostock nach einem Zweikampf zwischen Magdeburgs Tobias Müller und Pierre-Michel Lasogga auf einen Strafstoß, den er aber nach einer kurzen Abstimmung mit seinem Linienrichter (zu Recht) zurücknahm.

Klares Handspiel bleibt ungeahndet

Doch beim folgenden Eckball übersahen gleich beide Referees, dass erneut Müller im eigenen Strafraum die Grenzen der Legalität austestete – und diesmal weit darüber hinausging. Sein klares Handspiel im eigenen Fünfmeterraum nach einem Kopfball von Bates wurde allerdings nicht bestraft. "Wenn du dann das 2:0 machst, hast du das Spiel unter Kontrolle", sagte Holtby.

Stattdessen sollte die Schläfrigkeit der kompletten HSV-Hintermannschaft wenig später ganz bitterlich bestraft werden. Nachdem zunächst der völlig indisponierte Gideon Jung ins Leere grätschte und anschließend auch noch David Bates das Laufduell verlor, bedankte sich schließlich Magdeburgs Marius Bülter (61.) mit dem bis zu diesem Zeitpunkt alles in allem verdienten Ausgleichstreffer.

Türpitz schockt den HSV

Trainer Wolf reagierte, weil er reagieren musste. Doch alle seine drei Joker (Berkay Özcan, Khaled Narey und Mats Köhlert) sollten nicht mehr stechen. Und noch schlimmer: Am Ende kam der in Hamburg völlig unbekannte Türpitz, sah – und siegte.

"Mit dem Tor ist ein kleiner Traum wahr geworden, das Gefühl war unbeschreiblich", sagte Türpitz und legte die wunden HSV-Punkte frei: "Wir waren heute eine Mannschaft und wussten, dass wir mehr investieren müssen, Zweikämpfe gewinnen und dann über Umschaltspiel nach vorn kommen. Genau das haben wir gemacht."

Holtby versuchte das schwer Erklärbare zu erklären: "Wir hätten als Mannschaft besser verteidigen müssen, vorn fehlte die letzte Konsequenz. Jetzt müssen wir uns aufraffen und nächste Woche über 90 Minuten ein komplett anderes Gesicht zeigen.“ Das wird auch nötig sein, um am nächsten Montag im Topspiel beim jetzt unagefochtenen Tabellenführer 1. FC Köln zu bestehen. Bereits am Freitag könnte Union Berlin mit einem Heimsieg gegen Regensburg den HSV auf den Relegationsplatz verdrängen.

Magdeburger Fans schlagen über die Stränge

Ein Nachspiel hatte die Partie für eine Gruppe Magdeburger Fans im Stadionblock 12A, die um kurz nach 22 Uhr Ordner tätlich angegriffen hatte. Gegen die Tatverdächtigen wurden Hausverbote ausgesprochen, wie die Polizei am Abend mitteilte.

Gegen zwei weitere Personen, die im Gästeblock und in der Stadionstraße Pyrotechnik gezündet hatten, wurde ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz eingeleitet.

Die Hamburger Polizei hatte die Begegnung zuvor als Risikospiel eingestuft und mit 600 sogenannten Problemfans aus Magdeburg gerechnet. Sie war mit insgesamt 1500 Beamten, davon 241 auswärtigen, im Einsatz.