Hamburg/Magdeburg. Erstmals nach seiner Entlassung beim HSV im Jahr 2011 kommt der Neu-Magdeburger als Trainer wieder nach Hamburg.

Über mangelnde Abwechslung kann sich Michael Oenning nicht beschweren. Am Wochenende war er in der alten Wahlheimat Budapest, flog am Montag nach Berlin und düste von dort nachmittags zur Familie nach Hamburg. Nachts ging es zurück zu seiner Mannschaft nach Magdeburg, von wo aus er sich am Dienstag nach dem Training wieder auf den Weg machte: nach Paderborn. Pokalspiel gegen den kommenden Magdeburg-Gegner HSV. Und nachts dann das Ganze retour. „Ich bin ja ein sicherer Fahrer“, witzelt Oenning am Donnerstagmorgen beim Telefonat. „Und ich bin auch gerne unterwegs.“

Oenning meint natürlich speziell die vergangenen Tage. Er hätte aber auch seine Karriere meinen können. Der 53-Jährige war beim DFB, in Mönchengladbach, Wolfsburg, Bochum, Nürnberg, beim HSV sowie bei Vasas Budapest. Und jetzt: Magdeburg. Der wilde Osten. „Als Trainer ist man ja irgendwie immer eine Art Vagabund“, sagt Oenning. „Dieses Leben hat aber auch was für sich. Auch wenn man sich plötzlich dabei ertappt, wie man mit Mitte 50 noch immer in kurzen Hosen auf dem Rasen steht.“

Doch er wollte es ja so. Genauso wie sein Engagement in Magdeburg. Eine Stadt, die nicht den besten Ruf hat. Viel Beton, zu viele Zweckbauten. Dazu noch sozialistischer Klassizismus at it’s best. Aber Oenning sagt überzeugend, dass er sich wohlfühle. „Magdeburg ist eine offene Elbstadt“, sagt der gebürtige Münsterländer. „Hier kann man gut klarkommen, auch wenn ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich noch nicht viel gesehen habe.“ Er habe ein kleines Apartment im Zentrum, pendele nur zwischen Wohnung und Stadion.

5700 Magdeburger wollen Volkspark entern

Wichtiger als der hübsch anzusehende Dom, das Kloster Unser Lieben Frauen oder die Grüne Zitadelle sind Oenning ohnehin die Rahmenbedingungen im Club. Ein paar Monate ist es her, dass er betonte, nur noch Projekte anzunehmen, von denen er zu 100 Prozent überzeugt sei. Und genau das sei beim FC der Fall. „Hier sind die Basisfaktoren, die mir wichtig sind, noch intakt. In Magdeburg ist es ein sehr kleiner Kreis, der die Entscheidungen fällt“, sagt Oenning. „Und Magdeburg hat eine riesige Fanbasis.“

Wie groß diese Fanbasis genau ist, wird man auch am Montag (20.30 Uhr/Sky) im Volksparkstadion beobachten können. Trotz des fanunfreundlichen Termins ist das komplette Auswärtskontingent von 5700 Tickets längst vergriffen. Auch Oenning hat sich zwei Karten für seine Söhne Falk, der am Sonntag 20 Jahre alt wird, und Fynn (16) gesichert.

„Natürlich ist es ein besonderes Spiel – aber in erster Linie für meine Mannschaft. Die meisten haben noch nicht oft vor einer so großen Kulisse gespielt“, sagt Oenning, der aber nicht verhehlen will, dass auch er sich auf seine erste Rückkehr als Trainer seit der Demission vom HSV 2011 freut: „Natürlich ist es auch für mich ein besonderes Spiel. Mich verbindet ja immer noch sehr viel mit der Stadt. Und auch mit dem HSV.“

Viele Spiele des HSV gesehen

Spiele des HSV habe er in dieser Saison jede Menge geschaut – zuletzt am Dienstag im Pokal in Paderborn. Und was er da gesehen hat, das hat Oenning überzeugt. „Der HSV wird aufsteigen. Die werden sich das nicht mehr nehmen lassen“, legt er sich fest, wobei er einschränkt: „Es ist aber auch nicht so einfach in der Zweiten Liga, wie sich das manch ein Hamburger vorgestellt hat.“

Das gilt auch oder besonders für Magdeburg. Als Oenning den Europapokalsieger von 1974 nach dem 13. Spieltag übernahm, hatte der Aufsteiger lediglich einen einzigen Sieg auf der Habenseite und war Vorletzter. Nach einem beeindruckenden Zwischenspurt zum Jahresbeginn („Wir sind sensationell in das Jahr gestartet“) mussten zuletzt ein paar Stimmungsdämpfer verkraftet werden.

Gegen Dresden kassierte der FC kurz vor Schluss den Ausgleich, beim 0:0 gegen Heidenheim verschoss Felix Lohkemper in der Nachspielzeit einen Strafstoß. Trotzdem bleibt Oenning optimistisch: „Wir spielen in der Rückrunde sehr stabilen und guten Fußball. Das müssen wir aber auch. Es ist die einzige Möglichkeit für uns, die Klasse zu halten.“

„Bei einer Entlassung falle ich nicht tot um“

Während der HSV mehr als 30 Millionen Euro für seinen Kader zur Verfügung hat, sind es in Magdeburg lediglich 13 Millionen Euro. Druck oder Stress empfindet Oenning trotz der bescheidenen Mittel aber nicht. „Ich bin gelassener geworden“, sagt der ausgebildete Deutsch- und Sportlehrer (Thema der Staatsarbeit: „Die Bedeutung des Sports in der deutschsprachigen Literatur seit den 20er-Jahren“).

Nach seiner anstrengenden Zeit beim HSV (ab Sommer 2010 erst als Co-Trainer von Armin Veh, von März bis September 2011 als Chefcoach) hatte er sogar die Muße, einen Roman zu schreiben. Nur veröffentlicht hat er diesen noch nicht. Sein Motto von damals gilt aber auch heute noch: „Ich falle nicht tot um, wenn ich mal entlassen werde“, sagte er vor Jahren. „Das Leben hat eine ganz Menge mehr zu bieten.“