Bochum/Harsewinkel. Nach dem Hinspiel musste Christian Titz gehen. Nach der erneuten Nullnummer gegen Bochum fürchten viele Anhänger um das Saisonziel.

Am Tag nach der enttäuschenden Nullnummer gegen den VfL Bochum war man beim HSV um Gelassenheit bemüht. Es sei ja ein 0:0 der besseren Sorte gewesen, sagte der HSV-Trainer. Und im Übrigen gebe es auch keinen Grund zur Sorge: „Wir werden genügend Siege holen.“

Gesagt hat diesen Satz allerdings nicht Hannes Wolf. Sondern Vorgänger Christian Titz. Nicht an diesem Sonntag. Sondern vor gut fünf Monaten. Einen Tag nach einem 0:0 gegen Bochum – und einen Tag vor seiner Entlassung. „Wir müssen feststellen, dass wir nicht die Entwicklung genommen haben, die wichtig ist“, sagte seinerzeit Sportvorstand Ralf Becker, als er die Titz-Beurlaubung 24 Stunden später begründen musste: „Es ist meine Überzeugung, dass in dieser Konstellation unsere Saisonziele gefährdet werden.“

Wolf ist um Gelassenheit bemüht

HSV-Trainer Hannes Wolf mit Kyriakos Papadopoulos im Kurz-Trainingslager in Harsewinkel-
HSV-Trainer Hannes Wolf mit Kyriakos Papadopoulos im Kurz-Trainingslager in Harsewinkel- © Witters

153 Tage später steht Wolf auf dem Trainingsplatz der Klosterpforte im ostwestfälischen Harsewinkel – und ist ebenfalls um Gelassenheit bemüht. „Nichts passiert“, relativiert der Titz-Nachfolger. „Wir nehmen den Punkt mit.“

Zwei Tage lang haben sich Wolf und seine Mannschaft in dem Sporthotel einquartiert, um vor dem Pokalspiel am Dienstag (18.30 Uhr/Sky) in Paderborn nicht unnötig lang im Bus zu sitzen. Doch vor dem unverhofften Viertelfinal-Leckerbissen sind die Gedanken nach dem schwer verträglichen 0:0 in Bochum zunächst noch beim Schneckenrennen um den Aufstieg. „Das war schwere Kost“, gab Sportchef Becker ehrlich zu. „Wir sind noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.“

Die HSV-Profis in der Einzelkritik

Vielleicht sogar mit zwei blauen Augen, nimmt man die vielen Kommentare in den natürlich nur wenig aussagekräftigen sozialen Netzen zum Maßstab. „Hallo Herr Becker, hallo Herr Hoffmann, sind die Saisonziele nicht in Gefahr?“, fragte ein HSV-Fan bei Twitter und schickte ein „Pro Titz“ hinterher. Ein anderer stellte fest: „Wolf hat bisher systematisch nix bewirkt. Und zwar gar nix.“

Zusammenfassung aller Meldungen: Es brodelt

Will man die zahlreichen Wortmeldungen bei Twitter, Facebook und wo auch immer nach dem 0:0 in Bochum in nur zwei Wörtern zusammenfassen, dann vielleicht so: Es brodelt.

„Es läuft alles dem Ende zu. Nicht jeder hat die mentale Stärke, damit gut umzugehen“, sagte Becker, der nach der zweiten Nullnummer gegen Bochum ähnlich angefressen wirkte wie beim ersten 0:0 vor gut fünf Monaten. Der entscheidende Unterschied zu damals: Becker scheint weiterhin fest daran zu glauben, dass Trainer Wolf noch immer der richtige Mann für die Mission Wiederaufstieg ist: „Wir müssen zusammenhalten, auch wenn ich jetzt mal zwei oder drei kritische Dinge sage. Wir müssen da gemeinsam durch.“

Tatsächlich hätte eine erneute Trainerdiskussion beim HSV möglicherweise einen höheren Unterhaltungswert als das Remis gegen Bochum, nur die Sinnhaftigkeit einer derartigen Debatte erschließt sich nicht. Sehr wohl darf allerdings ganz nüchtern gefragt werden, inwiefern sich denn objektiv die Situationen nach dem 0:0 im Oktober (und 18 Punkten aus den ersten zehn Titz-Spielen) und dem 0:0 am Sonnabend (und nur 14 Punkten aus den gleichen zehn Wolf-Spielen) unterscheiden.

Wolf setzt sehr konsequent auf Lasogga

Vorwurf Nummer eins: Die Spieler hätten sich nicht weiterentwickelt. Ein Vorwurf, der weder komplett entkräftet noch einfach bestätigt werden kann. Tatsächlich setzt Wolf auf andere Spieler als Titz – ohne die Revolution ausgerufen zu haben. Die mittlerweile verliehenen Titz-Zöglinge Matti Steinmann und Christoph Moritz spielten umgehend keine Rolle mehr, Lewis Holtby ist nur noch Ersatz und das mutmaßliche Top­talent Fiete Arp nicht einmal das. Dafür setzt Wolf sehr konsequent auf Sturmtank Pierre-Michel Lasogga, der es mit mittlerweile 13 Saisontoren dankte. Auch Bakery Jatta, der unter Titz keine Chance erhielt, hat sich trotz seines schwachen Auftritts am Wochenende zum unumstrittenen Stammspieler entwickelt.

Vorwurf Nummer zwei: Wolfs Mannschaft spielt genauso unattraktiven Fußball wie unter Titz. Auch hier lautet die Antwort eindeutig: Jein. Wolf verzichtet auf Titz’ riskantes Liberospiel von Torhüter Julian Pollersbeck, lässt aber den Ball ähnlich häufig hintenrum spielen. Während der HSV im Derby gegen St. Pauli (4:0) brillierte und gegen Sandhausen (2:1), Dresden (1:0) sowie Heidenheim (2:2) zumindest teilweise überzeugte, enttäuschte das Team spielerisch gegen Bochum (0:0), Fürth (1:0) und Kiel (1:3) auf ganzer Linie. Am Sonntagmittag gab Wolf zu: „Wir haben ein paar Themen, an denen wir arbeiten müssen. Aber ich möchte das Spiel gegen Bochum nicht dramatisieren.“

Der HSV hat vier Punkte Vorsprung auf den Dritten

Bleibt Vorwurf Nummer drei: Unter Titz hätte der HSV genauso gute oder schlechte Chancen im Aufstiegsrennen wie unter Wolf. Eine Behauptung, die niemand seriös untermauern kann. Aber: Während es unter Titz vor allem in der Chefetage rumorte, bleibt es unter Wolf (trotz der schwachen Rückrunde) ruhig. Auch das kann im Endspurt der Saison zum Faktor werden. Und: Heute hat der HSV vier Punkte Vorsprung auf den Dritten (Union), seinerzeit hatte der HSV einen Punkt Rückstand (auf St. Pauli).

Den Hauptunterschied formulierte Wolf ungewollt am Sonntag: „Wir konzentrieren uns jetzt auf den nächsten Schritt.“ Ein Schritt, den Titz vor fünf Monaten eben nicht mehr gehen sollte.