Hamburg. Dem HSV passiert gegen Darmstadt Einmaliges. Nun schwindet die Zuversicht, am Ende auf jeden Fall aufzusteigen. Eine Analyse.
Das Spiel am Sonntag war bereits ein paar Minuten vorbei, als Hannes Wolf noch immer schäumte. „Wir haben viele junge Leute im Kader dabei – aber ich hätte schon erwartet, dass sie es besser machen“, schimpfte der HSV-Trainer, der gar nicht erst um den heißen Brei herumreden wollte. „Man muss halt Vollgas geben“, sagte Wolf deutlich. „Auch die jungen Spieler bei uns im Kader müssen sich strecken. Es darf nicht das Gefühl aufkommen: Hey cool, ich bin bei den Profis dabei.“
Nach ein paar Minuten des Dampfablassens hatte sich Wolf aber schnell wieder beruhigt. „Wir müssen eben daraus lernen“, sagte der Fußballlehrer versöhnlich. Und überhaupt: Letztendlich war es ja nur ein Freundschaftsspiel mit zweimal 25 Minuten gewesen. 0:1 hatten die jungen Profi-Reservisten gegen die U-21-Talente verloren. Und obwohl es bereits nach der ersten Halbzeit 0:4 hätte stehen können, wollte Wolf mit seinem zweiten Anzug nicht zu hart ins Gericht gehen: „Die Jungs können ja kicken.“ Wolfs Hauptproblem an diesem Wochenende war aber mitnichten der uninspirierte 0:1-Auftritt seiner Reservisten am Sonntag, sondern die sehr viel folgenreichere 2:3-Niederlage seiner Elitekicker am Vortag gegen Darmstadt.
HSV verlor noch nie nach 2:0-Heimführung
„Sehr, sehr bitter“ sei diese historische Pleite gewesen, sagte Wolf am Tag danach und nur eine Woche nach dem herausragenden 4:0-Derbysieg. „Extrem ärgerlich“ und auch „sehr nervig“. 2:0 hatte der HSV nach 16 fulminanten Minuten geführt, am Ende dann aber doch noch 2:3 verloren. Nie zuvor ist dem HSV Vergleichbares im Volkspark passiert.
Blieb am Tag danach die Frage: Wie konnte das alles nur passieren? „Ich habe keine Erklärung für die zweite Halbzeit. Wir müssen eigentlich 4:0, 5:0 in Führung gehen“, gab sich Offensivmann Khaled Narey unschlüssig. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass Darmstadt noch ins Spiel finden könnte.“
Die HSV-Profis in der Einzelkritik
Doch was, wenn diese Nicht-Erklärung die Erklärung für das Unerklärliche war? Der HSV, der die biederen und harmlosen Darmstädter zu Beginn der Partie total im Griff hatte, trat im zweiten Durchgang plötzlich unerklärlich arrogant auf. „Wir haben Bälle viel zu einfach hergegeben“, kritisierte Wolf. „Wir hatten es uns selbst zuzuschreiben, dass dieses Spiel noch einmal aufging.“
Eklatante Abhängigkeit von Aaron Hunt
Wirklich zum Problem wird eine so bittere Pleite aber erst dann, wenn es eher die Regel als die Ausnahme ist. Und tatsächlich hat der HSV in der Rückrunde nur 13 von möglichen 27 Punkten geholt. Die Hamburger gingen sang- und klanglos in Kiel unter, verloren 0:2 gegen Arminia Bielefeld, 1:2 in Regensburg und nun auch noch 2:3 gegen Darmstadt. Insgesamt kassierte der HSV doppelt so viele Niederlagen (sechs) wie Verfolger Union Berlin (drei). Und so ist es wohl auch kein Wunder, dass dieser HSV neben der Partie gegen 98 an diesem Wochenende auch die Zuversicht verlor, auf jeden Fall am Saisonende aufzusteigen. „Wenn wir solche Spiele zu Hause nicht gewinnen, dann müssen wir gar nicht erst an die anderen denken“, gab Narey am Sonnabend zu bedenken.
Rund 52.600 potenzielle HSV-Trainer (ohne die 2000 Darmstadt-Fans) waren gegen Darmstadt im Volksparkstadion dabei – und dürften 52.600 Erklärungsansätze für die HSV-Misere haben. Fan-Erkenntnis Nummer eins: die Abhängigkeit von Aaron Hunt. In 19 Spielen mit dem Kapitän holte der HSV 2,3 Punkte pro Spiel. Ohne Hunt reichte es zu 1,0 Punkten. „Aaron ist ein ganz wichtiger Spieler für uns“, sagte auch Wolf. „Aber Aaron wird auch gegen Bochum und Paderborn nicht dabei sein. Wir müssen es akzeptieren, wie es ist …“
Hannes Wolf erteilt Fiete Arp einen Rat
Nicht so einfach akzeptieren wollte Wolf dagegen Volkes Meinung Nummer zwei: die fehlende Stärke seiner jungen Reservisten. So saßen gegen Darmstadt mit Ausnahme von Lewis Holtby nur Spieler auf der Bank, die allesamt in dieser Saison kein einziges Mal getroffen haben. „Natürlich erhofft man sich Impulse“, sagte Wolf, der erst auf Nachfrage zum formschwachen Stürmer Fiete Arp etwas deutlicher wurde. „Das ist jetzt gar nicht böse gemeint“, antwortete Wolf auf die Frage, wie der Bald-Bayer aus seinem seit langer Zeit andauernden Formtief kommen könnte. „Einfach besser trainieren. Besser trainieren hilft meistens, um besser zu spielen.“
Nun denn. Dank der Länderspielpause haben die Hamburger genug Zeit, um besser zu trainieren. Besser gespielt werden soll dann wieder in zwei Wochen – im offiziellen Punktspiel in Bochum.