Hamburg. Tom Mickel und Tobias Krull erinnern sich an eine Sternstunde des langjährigen Hamburgers, der Mittwoch in den Volkspark zurückkehrt.
Achteinhalb Jahre ist eine lange Zeit. Trotzdem kann sich Tobias Krull noch an erstaunlich viele Details vom 22. September 2010 zurückerinnern. „Natürlich habe ich die Partie nicht vergessen“, sagt der heute 27-Jährige, der seinerzeit beim Spiel der U 23 des VfL Wolfsburg gegen die U 23 des HSV im Tor stand. Gespielt wurde im VfL-Stadion am Elsterweg in Wolfsburg. „Wir haben 2:1 gewonnen, richtig?“, fragt er am Telefon. „Klos und Wolze haben unsere Tore geschossen. Und ich weiß auch noch, dass unser Co-Trainer nach einem Foul von Änis Ben-Hatira auf den Platz stürmte“, sagt Krull. Nur an einen kann sich das frühere Torhütertalent, das heute nebenbei in der Oberliga Niedersachsen beim MTV Gifhorn spielt, nicht mehr erinnern: den HSV-Torschützen.
Achtung, Trommelwirbel: Es war Dennis Diekmeier. Der statistisch am wenigsten erfolgreiche Torjäger aller Zeiten, der an diesem Mittwoch (20.30 Uhr/Sky) mit dem SV Sandhausen bei seinem HSV antritt. Diekmeiers bisherige Bilanz: 203 Bundesligaspiele ohne Treffer, 17 Zweitligapartien ohne Tor, 15 Drittligaspiele, neun DFB-Pokalspiele und sechs Relegationsspiele – und alle ohne einen einzigen Torerfolg.
„Stimmt“, sagt Krull am anderen Ende der Leitung. „Jetzt erinnere ich mich. Ausgerechnet Diekmeier hat gegen mich getroffen. Ich bin wohl weltweit der einzige Torhüter, der jemals von Dennis Diekmeier bezwungen wurde. Das ist doch auch etwas …“
Mickels Irrglaube bei Diekmeier
Tom Mickel muss lachen, als er von der Geschichte hört. Der 29 Jahre alte Torhüter wird am Mittwoch auf der HSV-Bank Platz nehmen, wenn Diekmeier ausgerechnet im Volkspark sein Sandhausen-Debüt feiert. Am Mittwochabend vor achteinhalb Jahren stand Mickel beim HSV-Nachwuchs in der Regionalliga Nord im Tor – und kann sich im Gegensatz zu Krull noch genau an Diekmeiers Kunstschuss erinnern: „Er hat’s mit der rechten Innenseite gemacht. Für Dickie war es ja eines seiner ersten HSV-Spiele überhaupt. Ich dachte noch: Guter Mann! Der ist ja vorne richtig gefährlich.“
Viele gemeinsame Jahre später beim HSV weiß der Torhüter, dass Diekmeier in etwa so torgefährlich ist wie er selbst. Auf das Wiedersehen mit seinem Kumpel freut sich Mickel aber unabhängig von dessen Torjägerqualitäten: „Ich bin froh, dass er wieder Fußball spielt, nachdem er ja ein paar Monate vertragslos war.“
Tatsächlich ist es mittlerweile mehr als ein Dreivierteljahr her, dass Diekmeier zuletzt in einem Pflichtspiel randurfte. Am 31. Spieltag der vergangenen Saison durfte Diekmeier gegen den SC Freiburg auflaufen – und 1:0 gewinnen. Die Hamburger schöpften kurzzeitig Hoffnung, stiegen drei Spiele später dann aber doch ab. Und Diekmeier unfreiwillig aus.
Wie Diekmeier sich beim HSV verpokerte
Die Geschichte um den gescheiterten Vertragspoker ist bekannt. Der HSV hatte Diekmeier einen Zweijahresvertrag mit der Option auf ein weiteres Jahr angeboten. 1,5 Millionen hätte der Dauerrenner verdienen sollen. Doch Diekmeiers Berater Volker Struth soll einen Vierjahresvertrag gefordert haben.
Sogar HSV-Investor Klaus-Michael Kühne, dessen Ehefrau Christine ein bekennender Diekmeier-Fan ist, schaltete sich ein. Via E-Mail ließ er die HSV-Chefs im vergangenen Winter wissen, dass man doch bitte schön innerhalb von 48 Stunden mit dem „Urgestein“ verlängern solle.
Am Ende kam es anders. „Man kann es eigentlich nicht fassen, dass diese ganze Geschichte jetzt mit einem Spiel beim HSV endet“, sagte Diekmeier kürzlich der „Mopo“, als er noch einmal über seinen Sommer voller Pleiten, Pech und Pannen räsonierte. Der CD Leganés, ein spanischer Erstligist, hätte ihn gewollt, auch ein Champions-League-Teilnehmer aus Frankreich. Ein Club aus den USA hätte angefragt, zudem noch mehrere Bundesligaclubs. Am Ende wurde es der SV Sandhausen.
Krull will Diekmeier-Rekord verteidigen
Diekmeiers Ehefrau Dana scheint sich jedenfalls mit Sandhausen statt Spanien/Frankreich/USA arrangiert zu haben. Mittwoch wird sie mit 150 Sandhausen-Fans eine Barkassenfahrt machen – und die unzähligen HSV-Eintrittskarten für sich und ihre Liebsten hat sie natürlich auch schon via Instagram gepostet.
Tobias Krull hat keine Eintrittskarte. Das Spiel gucken will er trotzdem. Und der Autoverkäufer aus Gifhorn hofft auf einen HSV-Sieg – ohne Diekmeier-Gegentreffer. „Jetzt will ich den Rekord, einziger von Diekmeier bezwungener Torhüter zu sein, auch für alle Ewigkeiten verteidigen.“ Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diekmeier kann sich zwar nicht an sein Tor gegen Krull erinnern, sieht in den torlosen Jahren danach aber kein Problem. „Das Toreschießen“, sagt er, „habe ich mir für Sandhausen aufgehoben.“