Hamburg. Vor dem Rückrundenstart in Kiel ist die Hinspielpleite beim HSV präsent. Warum Sportchef Ralf Becker beinahe mit dem Rauchen anfing.

Hannes Wolf saß gerade im Auto, als die HSV-Welt implodierte. „Ich wusste, da ist ein Spiel. Ich war aber unterwegs und konnte es nicht gucken. Deshalb habe ich es damals nur im HSV-Netradio gehört“, berichtet Wolf von dem Spiel, das für viele das Spiel der Hinrunde war: HSV gegen Holstein Kiel, Zweitligaauftakt. „Schluss hier. Erstes Zweitligaspiel. 0:3 gegen Kiel. Jetzt werden sie wieder alle aus den Ecken kommen“, hörte Wolf Netradio-Reporter Lars Wegener kommentieren, als Wolf noch immer im Auto unterwegs war. Wegeners enttäuschter Schlusssatz: „Jetzt werden alle sagen: der HSV. In der Zweite Liga eben nicht angekommen.“

142 Tage später wird Hannes Wolf statt im Auto auf der Trainerbank sitzen, wenn sich Kiel und der HSV an diesem Sonntag (13.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) erneut gegenüberstehen. Und statt Wegener werden die HSV-Mitarbeiter Philipp Langer und Broder-Jürgen Trede am Netradio-Mikrofon sitzen. „Aberglaube“, erklärt Wegener augenzwinkernd.

Desaster und Albtraum

Tatsächlich hat der HSV seit dieser epischen Niederlage im großen (den Trainer) und im kleinen Stil (den Reporter) noch einmal alles auf links gedreht. „Natürlich hätte ich auf diese Erfahrung gerne verzichtet, aber vielleicht war das 0:3 im Nachhinein auch gut, um die Sinne nachhaltig zu schärfen“, sagt Sportchef Ralf Becker, ausgerechnet ein Ex-Kieler, der seinerzeit erstmals als HSV-Manager auf der Bank Platz genommen hatte. „57.000 Zuschauer, Freitagabend, 0:3 zum Start – herzlich willkommen in der Zweiten Liga.“

Viereinhalb Monate sind seitdem vergangen. Ein Trainer (Christian Titz) wurde entlassen, zwei Spieler (Orel Mangala und Hee-Chan Hwang) wurden kurz vor Transferfrist geholt, und Erster-Spieltag-Schlusslicht HSV ist mittlerweile Hinrundenmeister. „Man muss ja immer versuchen, das Positive aus solchen Spielen rauszuziehen. Und das Positive beim 0:3 gegen Kiel war, dass wir sehr, sehr schnell in dieser wirklich sehr schweren Zweiten Liga angekommen waren“, sagt Becker und bestellt sich einen Cappuccino. „Spätestens nach dieser Niederlage wusste jeder, was es eigentlich bedeutet, in dieser Liga auch nur ein Prozent nachzulassen. Wir wussten nach dem Spiel nur zu gut, dass uns in diesem Jahr rein gar nichts geschenkt wird.“

Der Lernprozess darf durchaus als hart bezeichnet werden. Während die „Bild“-Zeitung am Tag vor dem 0:3 das Titelbild der Aufstiegsausgabe vom kommenden Mai abdruckte, wurde nach dem 0:3 vom „Desaster“, „Albtraum“ und von einer „erbärmlichen Vorstellung“ geschrieben. „Bild“-Fazit: Der HSV spiele den „gleichen Mist wie immer“.

Rivale aus dem Norden unangenehm

Eine komplette Hinrunde später will Damals-HSV-Fanradio-Hörer-und-heute-HSV-Trainer Hannes Wolf von all dem nichts mehr wissen: „Ich war damals nicht dabei. Aber das ist lange her“, sagt der Coach, dessen Mannschaft mittlerweile seit elf Spielen ungeschlagen ist. Aus der Startelf vom ersten Spieltag dürften auch am Sonntag am ersten Rückrunden-Spieltag noch immer sieben Profis (Pollersbeck, Sakai, Bates, van Drongelen, Santos, Narey, Holtby) im natürlich ausverkauften Holstein-Stadion übrig bleiben – genauso wie die Gewissheit, dass der Rivale aus dem hohen Norden noch immer ein echt unangenehmer Brocken ist.

„Wir treffen auf eine Mannschaft, die sehr offensiv spielt und immer wieder fußballerische Lösungen sucht“, lobt Wolf die Kieler, die sich auf Rang fünf der Tabelle festgebissen haben. „Die Kieler haben eine klare Idee, wie sie das Ganze angehen. Sie haben eine Durchschlagskraft, eine echte Wucht.“

"Unglückliche Kettenreaktion"

Als Beispiel für diese Wucht könnte bestens das Hinspiel dienen, das als eines der verrücktesten Spiele der vergangenen Jahre gilt. Zur Halbzeit hätte der HSV 3:0 führen können. Vielleicht sogar müssen. In der zweiten Halbzeit schlugen dann die Kieler dreimal eiskalt zu. „Unglaublich. Das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle“, sagte Neuzugang Khaled Narey, der das Ganze als „Wahnsinnsspiel“ zusammenfasste.

Ein Spiel, das nachwirkte. „Wir mussten uns intern erst einmal so richtig schütteln“, sagt Becker. „Ich rauche ja nicht – aber nach der Partie hätte ich eigentlich anfangen müssen. Mir war dann schnell klar, dass vor uns ein paar wirklich ungemütliche Tage warten.“

Vor allem auf Ex-Trainer Titz. Der Coach, der von einer „unglücklichen Kettenreaktion“ sprach, änderte im Spiel darauf die Taktik und bemühte sich um größere Stabilität. Vier Siege, drei Remis und eine weitere Niederlage für die Geschichtsbücher (0:5 gegen Regensburg) später waren seine Tage trotzdem gezählt. Titz ging, Radiohörer Wolf kam – und Fan-Kommentator Wegener „durfte“ noch vor dem Kiel-Spiel in den Weihnachtsurlaub. Seine Empfehlung für Kiel: Netradio hören.

HSV: Pollersbeck – Sakai, Bates, van Drongelen, Santos – Mangala – Narey, Hunt, Holtby, Jatta – Hwang. Kiel: Kronholm – Dehm, Schmidt, Wahl, van den Bergh – Meffert – Mühling, Kinsombi – Lee – Schindler, Serra.