Paderborn. Vor dem Gastspiel mit Paderborn sinniert der Manager über HSV-Gespräche und den Hoyzer-Skandal. Ein St. Paulianer frotzelt indes.

Die Suche nach Paderborner Wahrzeichen ist schnell beendet. Der Dom selbstverständlich. Elftes Jahrhundert, oberhalb der Paderquellen gelegen. Dann das Rathaus aus dem 17. Jahrhundert. Ein herausragendes Beispiel der Weser-Renaissance. Und schließlich das Schloss Neuhaus. Natürlich auch ein paar Jahrhunderte alt. Und natürlich auch eine Sehenswürdigkeit.

Wer aber das neueste Aushängeschild Paderborns finden will, der muss noch in die Liese-Meitner-Straße 12 fahren. Hier, vier Kilometer außerhalb des Zentrums, steht ein zweckmäßiger Flachdachbau. Zwei Stockwerke, viel weiß und blau, Industriegebietschick. Hier hat Markus Krösche, Geschäftsführer des SC Paderborn, sein Büro.

„Kaffee oder Wasser?“, fragt Mister Paderborn, wie Krösche hier auch gerne genannt wird. Am Freitag (18.30 Uhr) trifft er mit dem SC auf den HSV („ein Club ohne Grenzen“). Für den Aufsteiger ist es natürlich ein besonderes Spiel beim Tabellenführer. Doch vor allem für Krösche ist es ein besonderes Spiel. Um ein Haar wäre Mister Paderborn im Sommer Mister HSV geworden. „Hamburg hätte mich sehr gereizt“, sagt der Familienvater, der auch bei diesem Thema nicht lange um den heißen Brei herumredet. Im Mai waren er, der Mainzer Rouven Schröder und Ralf Becker noch als Kandidaten für die vakante Position des HSV-Sportvorstands übrig geblieben. „Ich hatte sowohl mit den Verantwortlichen gute Gespräche geführt als auch mit meiner Familie alles durchgesprochen“, erinnert sich Krösche. „Aber am Ende konnten sich die Clubs nicht einigen.“ Krösche und Schröder sagten ab, Becker zu. „Das war für mich völlig in Ordnung. Ich bin keiner, der sich aus seinem Vertrag rauspressen will.“

HSV-Anfrage steigert Krösches Marktwert

Krösches Büro sieht so aus wie der Rest der gerade erst neu gebauten Geschäftsstelle. Funktional, ökonomisch, zweckdienlich. Auf dem Schreibtisch stehen ein aufgeklappter Laptop, ein gerahmtes Familienfoto und ein paar gestapelte Papiere. Auf einem Flipchart hinter dem Schreibtisch hängt eine To-Do-Liste. „Zugang Ärzte!“, steht da rot auf weiß geschrieben. „Behandlungsdokumentation“, „Nada-Bericht“ und „Regeneration“. Er zeigt auf das große Jubelfoto an der Wand. „DFB-Pokal, dritte Runde, 1:0-Sieg gegen Ingolstadt“, sagt er. „Ich versuche immer, Ziele zu visualisieren.“

Krösche ist so einer, den man Urgestein nennt. Paderborner Rekordspieler, kurze Zeit Trainer der zweiten Mannschaft und nun Geschäftsführer. Mit einer kurzen Unterbrechung von zwei Leverkusen-Jahren ist Krösche seit 17 Jahren in Ostwestfalen-Lippe. Seine Frau hat er hier kennengelernt, seine beiden Kinder wurden hier geboren. All das ist bekannt und nicht neu. Ziemlich neu aber ist, dass dieser Ur-Paderborner derzeit als eine der spannendsten Personalien im Profifußball gilt. Mit 38 Jahren ist er der jüngste Sportchef der Zweiten Liga – und gilt nach Anfragen vom HSV und einiger anderer Clubs schon jetzt als kommender Erstligamanager.

St. Paulis Schultz lobt ehemaligen Weggefährten

„Ich traue ihm definitiv zu, einen großen Verein zu führen“, sagt einer, der ihn wie kaum ein Zweiter kennt. St. Paulis U-19-Trainer Timo Schultz und Krösche waren vor 20 Jahren zusammen im Werder-Internat, sind in Bremen zusammen zur Schule gegangen und haben gerade erst gemeinsam den DFB-Jahrgang zum Fußballlehrer absolviert. Als Zimmergenossen. „Markus hat den Fußball aus allen Perspektiven kennengelernt. Er hat keine Probleme Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen“, lobt „Schulle“, und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Der HSV muss es ja nicht unbedingt sein.“

Doch wer verstehen will, warum ausgerechnet diesem Krösche die Zukunft gehören soll, der muss ein wenig in die Vergangenheit gucken. Zum Beispiel in die Zeit, als der defensive Mittelfeldmann ganz nebenbei zur Profikarriere sein BWL-Studium an der Fachhochschule der Wirtschaft in Paderborn durchgezogen hat. „Mir war früh klar, dass ich mich mit 27 oder 28 Jahren um die Karriere nach der Karriere kümmern muss, wenn ich es nicht geschafft habe, bis dahin so viel zu verdienen, dass ich nie wieder arbeiten muss“, sagt er. „Also habe ich mich gekümmert.“

Krösches Autohandel ist Geschichte

Nach sechs Semestern schloss er sein Bachelorstudium mit 2,7 ab. Titel der Abschlussarbeit: „Die finanzielle Situation von Fußballprofis nach der Karriere – eine empirische Befragung unter 400 Fußballprofis“.

Um seine eigene finanzielle Situation brauchte sich Paderborns Rekordspieler (354 Einsätze) keine großen Gedanken machen. Neben dem Studium und der Fußballkarriere blieb für Krösche noch Zeit, um das Unternehmen Makroleasing zu gründen und erfolgreich auszubauen. Die Autofirma, die sich besonders unter Fußballprofis Beliebtheit erfreute, brachte Krösche einen stattlichen Nebenverdienst, jede Menge Kontakte in die Szene – und kurz vor seinem zwischenzeitlichen Wechsel zu Bayer Leverkusen die „Bild“-Schlagzeile „Reus’ Autohändler wird Co-Trainer“ ein.

Leverkusen ist Vergangenheit – genauso wie die operative Führung von Makroleasing. Nun konzentriere er sich auf die Weiterentwicklung des SC Paderborn. „Er denkt eher ans große Ganze, wie er immer zu sagen pflegt, ,mit allem Zip und Zap’“, sagt St. Paulis Schultz.

Rudolf Christa, der frühere Vizepräsident des SC Paderborn, ging im Sommer sogar noch einen etwas übertriebenen Schritt weiter. „Was Watzke beim BVB ist, wird Krösche künftig in Paderborn sein“, sagte Christa – und sorgte beim Hochgelobten nicht nur für Jubelsprünge. „Der Vergleich hinkt. Ich kümmere mich in erster Linie um den Sport“, sagt Krösche etwas verlegen – und fragt, ob man noch einen Kaffee wolle.

Nicht auf den Kopf, sondern auf den Bauch gehört

Man will. Ein Heißgetränk reicht allerdings kaum, um über alle Irrungen und Wirrungen des Sommers noch einmal zu referieren. Paderborns Aufstieg in die Zweite Liga, die HSV-Offerte, die Ausgliederung. „Es war schon sehr turbulent, alles war im Umbruch“, sagt Krösche – und untertreibt nun maßlos. Paderborns Präsident und seine Vizepräsidenten waren zurückgetreten, zudem musste ein neuer Aufsichtsrat bestimmt und der Verein in eine Kapitalgemeinschaft umgewandelt werden. Ganz nebenbei absolvierte Krösche seinen Fußballlehrerlehrgang (Note: 2,0) und stellte eine Low-Budget-Mannschaft (Profietat: 7,5 Millionen Euro) zusammen, die derzeit gerade mal fünf Punkte von Union Berlins Aufstiegsrelegationsplatz entfernt liegt.

Kein Wunder also, dass all das auch jenseits der Paderquellen im Fußballuniversum registriert wurde. Und Krösche? Hält den Ball weiter flach. „Ich habe keinen Karriereplan“, sagt er. „Als ich 2017 das Angebot aus Paderborn bekommen habe, als Geschäftsführer zurückzukehren, haben mir alle abgeraten. ,Bist du wahnsinnig?‘ wurde ich gefragt. Dritte Liga, Abstiegsplatz und finanzielle Probleme. Aber ich habe nicht auf den Kopf, sondern auf den Bauch gehört.“

Krösche wurde von Hoyzer-Skandal überrascht

Unschuldiger Jubel: Markus Krösche (weißes Trikot, 2.v.r.) im flogenschweren DFB-Pokalspiel gegen den HSV
Unschuldiger Jubel: Markus Krösche (weißes Trikot, 2.v.r.) im flogenschweren DFB-Pokalspiel gegen den HSV © Imago/Sven Simon

Dass man aber manchmal im Fußballleben auch den Kopf benutzen muss, zeigte sich bei Paderborns größtem Skandal der Clubgeschichte: dem verschobenen Hoyzer-Pokalspiel 2004. Gegen den HSV. Erst viel später kam heraus, dass nicht nur der später lebenslang gesperrte Schiedsrichter Robert Hoyzer für Paderborns 4:2-Sieg Geld annahm, um das Spiel zu verschieben. Sondern dass auch der niederländische SC-Kapitän Thijs Waterink vor der Partie gegen den HSV 10.000 Euro erhalten hatte. „Wir hatten gar keinen Verdacht. Die 10.000 Euro, die Watering danach verteilte, hätten von jedem freudigen Privatsponsor gekommen sein können. Keiner wusste, dass da schon vorher Geld geflossen war“, sagt Krösche heute. „Damals haben wir uns wirklich nichts dabei gedacht. Wir waren total überrascht, als das alles rauskam.“

14 Jahre sind seitdem vergangen. Die Fußballwelt hat sich auch nach dem mutmaßlich größten Fußballskandal der vergangenen 50 Jahre weitergedreht – nur Krösche ist noch immer in Paderborn. „Natürlich kann ich mir auch ein Leben jenseits von Paderborn vorstellen. Aber momentan passt hier alles gut zusammen“, sagt er. Auf einen Eintrag bei Wikipedia unter der Rubrik „Paderborn-Sehenswürdigkeiten“ kann er dennoch verzichten. Vielleicht würde es ja schon reichen, wenn im Internet-Lexikon überhaupt vermerkt werden würde, dass Krösche mittlerweile als Sportchef arbeitet. Aber wie sagt man so schön im Paderborner Land: Wat nich is, kan noch wäern.