Hamburg. Die Hamburger holen sich die Tabellenführung zurück, verpassen es aber, Trainer Hannes Wolf einen Startrekord zu bescheren.

Als Schiedsrichter Frank Willenborg um 22.22 Uhr das Spiel zwischen dem HSV und Union Berlin abpfiff, jubelten nur die Gäste. Die Hamburger sackten dagegen zu Boden. In letzter Minute hatte der HSV ein gewonnen geglaubtes Spiel doch noch aus der Hand gegeben. 2:2 (0:1) endete am Montagabend das Spitzenspiel des 14. Spieltags in der 2. Bundesliga.

„In den letzten Minuten haben wir geschlafen. Das ist richtig ärgerlich“, sagte HSV-Verteidiger Gotoku Sakai. Die Hamburger verteidigten zwar die Tabellenführung, verschenkten aber die Chance, den Vorsprung auf Verfolger Union deutlich auszubauen. "Es hat heute zwei Seiten. Schön, dass wir es gedreht haben. Auf der anderen Seite hätten wir gern gewonnen", sagte Hannes Wolf, der es verpasste, die historische Bestmarke von Frank Pagelsdorf aus dem Jahr 1997 zu übertreffen, als erster HSV-Trainer die ersten fünf Pflichtspiele zu gewinnen. Union bleibt neben Borussia Dortmund als einziges Team im deutschen Profifußball ungeschlagen.

Bereits vor dem Spitzenspiel im Volkspark war klar, dass das Duell ein historisches sein wird. Zum ersten Mal überhaupt trafen die beiden Clubs in einem Profispiel aufeinander. Das erste von bislang zwei Treffen liegt bereits 95 Jahre zurück. Es war ein echtes Endspiel. Mit 3:0 sicherte sich der HSV gegen die Berliner, damals noch als Union Schöneweide bekannt, im Juni 1923 die erste von bis heute sechs deutschen Meisterschaften.

HSV-Stürmer Lasogga muss passen

Im Hier und Jetzt geht es für den HSV um die Zweitligameisterschaft 2019. Trainer Wolf musste für dieses Projekt im Topspiel gegen Union allerdings auf seinen Toptorschützen verzichten. Bereits am Morgen war klar, dass Stürmer Pierre-Michel Lasogga (sieben Saisontore) wegen einer am Vortag erlittenen Wadenverletzung das Abendspiel verpassen wird. „Ich bin heute Morgen aufgestanden und habe direkt gespürt, dass es heute nicht geht“, sagte der 26-Järige. Für ihn durfte Bakery Jatta erstmals in dieser Saison von Beginn an ran. Der Gambier spielte auf dem linken Flügel. Der wiedergenesene Hee-chan Hwang rückte in die Sturmspitze.

Hwang und Jatta waren auch prompt die auffälligsten Hamburger in der Anfangsphase, suchten mit ihrem Tempo den schnellen Weg in die gefährliche Zone. Gefährlich wurde der HSV gegen die beste Defensive der Liga (acht Gegentore in 13 Spielen) aber nicht.

Stattdessen musste die zweitbeste Defensive der Liga früh das 13. Gegentor der Saison verdauen. Die Hamburger Rick van Drongelen und Léo Lacroix stellten sich im Strafraum gegen Unions Joashua Mees äußerst ungeschickt an. Der Berliner narrte gleich beide Innenverteidiger und traf aus zehn Metern unhaltbar für Julian Pollersbeck in die kurze Ecke (12.). Die „Eisernen“ zeigten nicht nur in dieser Szene, warum sie für Wolf zum „Best of Zweite Liga“ zählen.

Publikum wird unruhig

Dem HSV setzte der Rückstand sichtbar zu. Union überließ den Hamburgern den Spielaufbau, doch diese fanden im weiteren Verlauf zunächst keine Mittel, die kompakten und zweikampfstarken Berliner auszuhebeln. Hwang gelang es als zentraler Stürmer nicht, die Bälle zu verarbeiten. Jatta und Khaled Narey schafften es nur noch selten, über die Flügel ihre Schnelligkeit auszuspielen. Auch das Zentrum verdichtete Union, schaltete nach Ballgewinnen dann schnell um.

Den einzigen nennenswerten HSV-Torschuss in der ersten Halbzeit setzte Hunt aus 17 Metern knapp neben das Tor (45.). Das Hamburger Publikum wurde früh unruhig, während die rund 6000 Berliner unter den 45.584 Zuschauern im Volksparkstadion für mächtig Stimmung sorgten. „Die Halbzeitführung für Union ist hochverdient“, sagte HSV-Präsidentschaftskandidat Marcell Jansen bei Sky, "wir schaffen es nicht,die Berliner mit Sprints und Aggressivität unter Druck zu setzen."

Hunt und Holtby drehen das Spiel

In der Halbzeitpause muss HSV-Coach Wolf dann aber die richtigen Worte gefunden haben. Wie verwandelt spielte seine Mannschaft nun von Minute zu Minute druckvoller. Und der HSV belohnte sich in seiner stärksten Phase gleich zweimal.

Zunächst war es Hunt, der einen von ihm initiierten Angriff selbst abschloss, als er eine missglückte Abwehraktion des früheren HSV-Spielers Ken Reichel aus acht Metern mit links über die Linie schoss (58.). Nur sieben Minuten später scheiterte zunächst Jatta aus spitzem Winkel an Union-Keeper Rafal Gikiewicz, der direkt vor die Füße von Lewis Holtby abwehrte. Aus vier Meter musste der nur noch ins leere Tor zielen (65.). Mit zwei Angriffen drehte der HSV das Spiel.

Hwang hat Entscheidung auf dem Fuß

Die Hamburger hatten nun alles im Griff und konnten sich auf ihr Konterspiel beschränken. In der 89. Minute hätte Hwang alles klar machen können, als er drei Berliner stehen ließ. Doch Gikiewicz parierte sehenswert. Und so kam es, wie es im Fußball in solchen Fällen häufig kommt: Union schaffte im direkten Gegenzug das letztlich verdiente 2:2. Suleiman Abdullahi schüttelte nach einem langen Ball Lacroix ab und netzte aus kurzer Distanz zum späten Ausgleich ein (90.).

"Ich wurde leicht geschubst. Daraufhin habe ich Polle (Torhüter Pollersbeck; Anm. d. Red.) gesagt, er soll rauskommen", sagte Lacroix. "Dieses Unentschieden fühlt sich an wie eine Niederlage." Hunt sah es gelassener: „Das 2:2 wirft uns jetzt nicht aus der Bahn. Wir sind weiter Tabellenerster.“ Wo der Kapitän recht hat, hat er recht.