Hamburg. HSV empfängt Union Berlin zum Spitzenspiel, das in Hamburg aber nur auf begrenztes Interesse stößt. Lasogga droht auszufallen.

Es war um die Mittagszeit am Sonntag, als Hannes Wolf das Gefühl für Raum und Zeit abhanden­gekommen war. Ob er vor dem wegweisenden Spiel des HSV gegen Union Berlin an diesem Montag (20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) ein Zwischenfazit seiner ersten vier Wochen in Hamburg ziehen könnte?, wurde der HSV-Trainer gefragt. Wolf verdrehte die Augen, als ob er gerade in eine tiefe Spalte des Raum-Zeit-Kontinuums gefallen sei, und fragte kopfschüttelnd zurück: „Waren das wirklich nur vier Wochen? Alleine die Länderspielpause dauerte doch gefühlte dreieinhalb Wochen. Die war wie eine Winterpause.“

Nun ist Wolf nicht gerade für ausschweifende Übertreibungen bekannt. Zudem hatte der Fußballlehrer, der ganz nebenbei seit exakt 33 Tagen im Amt ist, nicht ganz unrecht. Sage und schreibe 16 Tage dauerte die Pause zwischen dem überzeugenden Sieg im Erzgebirge (3:1) und dem Heimspiel heute Abend gegen Union. Mehr als genug Zeit also, um so richtige Vorfreude auf dieses Spitzenspiel zwischen dem Zweiten und Vierten der Zweiten Liga zu entwickeln. Einerseits. Oder andererseits vielleicht auch zu viel Zeit, um sich durch ganz andere Themen ablenken zu lassen.

Tatsächlich war die Länderspielpause in der Hansestadt weniger durch das übliche Spitzenspiel-Vorgeplänkel bestimmt, als viel mehr durch allerhand HSV-Folklore: der Präsidentenwahlkampf, die Rolle des Beirats, die Bilanzzahlen und Millionen-Fehlbeträge. „Natürlich interessiere ich mich auch für diese Themen“, antwortete Wolf am Sonntag auf Nachfrage. „Es ändert aber nichts daran, dass wir unsere Energie voll auf das Team richten müssen.“

Lasoggas Wade bereitet Sorge

Einen ganz besonderen Energiefluss kann seit Sonntagvormittag Pierre-Michel Lasoggas rechter Regio suralis, besser bekannt als Wadenmuskel, vertragen. Gerade einmal eine halbe Stunde im Abschlusstraining war absolviert, als der Sturmbulle die alte Lothar-Matthäus-Weisheit zitieren musste: Die Wade hat zugemacht.

Knapp zehn Minuten knetete, tätschelte und kühlte HSV-Physiotherapeut Zacharias Flore den hart gewordenen Muskel, ehe der niemals aufgebende Lasogga aufgab. „Pierre hat an der Wade etwas gespürt“, klärte Wolf später auf, und präzisierte: „Strukturell scheint da nichts kaputt zu sein, aber die Zeit bis zum Spiel wird natürlich eng.“

Eine endgültige Entscheidung für oder gegen Lasogga soll erst im Laufe des heutigen Vormittags getroffen werden. „Es gibt nur zwei Szenarien: Er kann nicht – oder er kann voll. Irgendetwas dazwischen geht nicht“, sagte Wolf. „Pierre wird nicht im Kader sein, wenn er nicht voll belastbar ist. Er hilft uns gegen Union nur, wenn er 100 Prozent geben kann.“

HSV-Trainer Wolf: "Kampfansagen? Was soll das bringen?"

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    Wolf: Union ist „Best of Zweite Liga“

    Dass Hamburgs Trainer allerhöchsten Respekt vor dem Gegner aus der Hauptstadt hat, wurde am Tag vor dem Gipfeltreffen auch unabhängig von der Personalie Lasogga sehr deutlich. „Berlin ist eine absolute Spitzenmannschaft der Zweiten Liga, die bis zum Ende um den Aufstieg mitspielen wird“, schwärmte Wolf, der Union jenseits der normalen Höflichkeitslobhudeleien als „eine Art Best of Zweite Liga“ betitelte.

    Doch während ganz Hamburg vor dem letzten Spitzenspiel gegen den 1. FC Köln mindestens eine Woche auf das Top-Duell hinfieberte, ist der Euphorielevel diesmal auf einem unerwartet niedrigem Niveau stehen geblieben. So hat der HSV gerade einmal 44.000 Karten im Vorverkauf abgesetzt – so wenige wie bislang noch nie in dieser Saison. Selbst gegen die wenig attraktiven Heidenheimer (45.379), Regensburger (44.716) und Bielefelder (46.934) kamen mehr Zuschauer in den Volkspark.

    Wolf verzichtet auf Muskelspielchen

    Was also tun? Einen etwas verwegenen Lösungsansatz hatte am Sonntag ein Reporter, der Wolf fragte, ob der HSV nach vier Pflichtspielsiegen in Folge (und dem möglichen Trainer-Startrekord mit dem fünften Seriensieg gegen Union) nun „nicht ein wenig die Muskeln zeigen“ müsse. Wolfs Stirn legte sich in tiefe Falten. Und als der Reporter nachlegte und „eine Kampfansage an die Konkurrenz“ erbat, hatte man endgültig den Eindruck, als wenn der Trainer zurück in die Zukunft wollte.

    Im Hier und Jetzt muss er aber ganz profan nach einem Plan B für den Fall suchen, dass Lasoggas Wade weiterhin zwickt. Möglichkeit eins: Hee-chan Hwang hilft im Sturm aus und Bakery Jatta auf dem linken Flügel. Möglichkeit zwei: Fiete Arp macht den Lasogga. Ganz zum Schluss von Wolfs gesammelten Ausblicken in die Zukunft erlaubte sich der Coach am Sonntag dann doch noch ein kleines Kampfansägchen. „Ich glaube schon“, sagte der Trainer, „dass Fußball-Deutschland an diesem Montag ein bisschen nach Hamburg guckt.“

    Na bitte, geht doch.