Hamburg. Am Dienstag hatte der Club sein achtes Minus in Folge veröffentlicht. Ein Fachmann zweifelt an der Rechnung.

Hans-Jürgen Beil kennt sich aus mit schockierenden Zahlen. Doch als der Hamburger Steuerberater und Insolvenzverwalter am Mittwochvormittag sein Büro in Rotherbaum betrat, verschlug es ihm kurzzeitig die Sprache. Der Grund: Seine Kollegen empfingen ihn mit dem aufgeschlagenen Abendblatt, in dem die besorgniserregende Bilanz des HSV einen dominanten Part einnahm. Nachdem sich Beil den 29 Seiten umfassenden Jahresabschlussbericht zukommen ließ, kam er zu einer vielsagenden Erkenntnis: „Die Bilanz ist geschickt aufgestellt.“

5,8 Millionen Euro beträgt der Verlust im abgelaufenen Geschäftsjahr 2017/18. Es ist das achte Mal in Folge, dass der HSV rote Zahlen schreibt. Dennoch ist der Club nicht überschuldet – unter anderem, weil die Werte der Spieler in der Bilanz mit 45,3 Millionen Euro angegeben werden. „Daran habe ich erhebliche Zweifel, denn dieser Wert erscheint mir deutlich zu hoch. Die Bilanz wurde geschönt“, sagt Beil im Gespräch mit dem Abendblatt.

Tatsächlich fällt es beim Blick auf den Kader schwer, eine vergleichbare Summe wie der HSV zu errechnen. Das Internetportal „transfermarkt.de“ gibt den aktuellen Gesamtwert aller HSV-Profis zwar mit 56,95 Millionen Euro an, zählt dabei aber auch die ausgeliehenen Hee-chan Hwang und Orel Mangala hinzu. Wie viel ist der Kader des HSV also wirklich wert? U-21-Europameister Julian Pollersbeck und Olympiasieger Douglas Santos könnten womöglich im Ernstfall für eine zweistellige Millionensumme verkauft werden. Auch entwicklungsfähige Spieler wie Fiete Arp, Rick van Drongelen und Gideon Jung haben einen Markt. Doch darüber hinaus wird es eng.

Neues Millionen-Minus des HSV - die Hintergründe

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    Experte: HSV wird auf Schuldenberg sitzen bleiben

    Das möglicherweise zu hoch angegebene Spielerkapital ist das eine, doch auch den mit 26,8 Millionen Euro aufgelisteten „Eintritt von Forderungsverzichten“, also erlassene Schulden, betrachtet Beil mit Sorge. Durch diesen sogenannten Buchgewinn gelang es dem Club, die Verbindlichkeiten um knapp 20 Millionen Euro auf 85 Millionen Euro abzubauen. „Normalerweise würde dieser Kredit zulasten des Eigenkapitals gehen“, sagt der Finanzexperte. „Der HSV hat seine Bilanz gut verkauft. Es muss dem Verein jedoch gelingen, auch ohne buchtechnische Vorgänge einen Gewinn zu erwirtschaften.“

    Ansonsten sieht Beil für die HSV-Zukunft schwarz. Für den Wirtschaftsfachmann erscheint es eine nicht zu überwindende Hürde für den Club aus dem Volkspark, in naher Zukunft schuldenfrei zu sein. „Es ist nicht absehbar, dass der HSV perspektivisch nachhaltige Gewinne erzielen wird. Um seinen riesigen Schuldenberg abzubauen, müsste der Verein wohl mehrere Jahre in der Champions League spielen“, sagt Beil.

    Doch dieser sportliche Erfolg ist momentan so weit entfernt wie noch nie. Für die laufende Saison sieht die Prognose sogar noch düsterer aus. Nach Abendblatt-Informationen steuert der HSV auf ein Rekorddefizit von mehr als 20 Millionen Euro zu. Im kommenden September wird zudem die Rückzahlung der Fananleihe in Höhe von 17,5 Millionen Euro fällig. Auch wenn der Club dafür noch an einem Plan feilt, sieht Beil die Lizenz im kommenden Sommer nicht gefährdet.

    Wie will sich der HSV für die Bundesliga aufstellen?

    Ohne den direkten Wiederaufstieg stünden die Hamburger jedoch vor noch größeren finanziellen Schwierigkeiten. Selbst im Falle einer Bundesligarückkehr drohen weitere Engpässe. „Die Stunde der Wahrheit kommt spätestens nach dem Aufstieg. Dann braucht die Mannschaft erhebliche Kaderverstärkungen, doch woher sollen die hierfür erforderlichen Investitionen kommen?“, fragt sich Beil.

    Die Antwort soll Sportvorstand Ralf Becker finden, der auf dem Transfermarkt ähnlich kreativ agieren muss, wie es Finanzvorstand Frank Wettstein beim Aufstellen der Geschäftsbilanz vormachte. Dennoch kann auch Wettstein nicht verbergen, dass sich die Defizite der Unternehmenspolitik in der Bilanz widerspiegeln.