Hamburg. Im August verletzte sich Jairo Samperio schwer am Knie. Jetzt hat der Spanier beim HSV trotz Verletzung eine neue Aufgabe gefunden.

Es ist Tag 83 nach dem Schock. Jairo Samperio trainiert am Donnerstagmorgen gerade im Rehazentrum des UKE, als auf seinem Handy eine Nachricht seiner Freundin Carmen aufleuchtet. Eine Motivationsbotschaft. Mit dem Kernsatz: „Tú lo lograrás“ – „Du wirst es schaffen.“ Es ist die 83. Nachricht dieser Art seit dem 23. August. Seit dem verhängnisvollen Moment, als Jairo im Training des HSV nach einem Kopfballduell mit Fabian Gmeiner so unglücklich mit dem rechten Fuß landete, dass er sich dabei einen Totalschaden im rechten Knie zuzog. Ein lauter Schrei. Ein großer Schreck für alle Zuschauer. Und wenige Stunden später die Gewissheit. Vorderes und hinteres Kreuzband gerissen. Das Saisonaus.

Drei Monate später sitzen Jairo und seine Carmen im Café Nord Coast in der Nähe ihrer Wohnung in der Innenstadt, bestellen sich jeweils eine heiße Schokolade und reden über ihr Leben seit diesem Vormittag im August. „Ich schreibe ihm jeden Tag eine Motivationsnachricht. So lange, bis Jairo das erste Mal wieder spielen wird“, sagt Carmen Gómez Pérez. Dass ihr Freund 83 Tage nach dem Unfall wieder daran denken kann, irgendwann auf den Fußballplatz zurückzukehren, war zunächst gar nicht klar. „Ich bin froh, heute sagen zu können, dass ich zurückkomme“, sagt der 25 Jahre alte Jairo beim Treffen mit dem Abendblatt. Auf seinem Handy zeigt er eine Datei mit Notizen. Jede Nachricht seiner Freundin hat er hinzugefügt. „Am Ende kann ich vielleicht ein Buch daraus machen“, sagt Jairo.

"Jeder gibt hier 100 Prozent für mich"

Seit drei Monaten arbeitet er nahezu täglich im Kraftraum daran, wieder Fußball spielen zu können. „Manche Tage bin ich aufgewacht, und es war schwer. Ich hatte Schmerzen und wusste, dass das ganze Programm erneut beginnt“, sagt Jairo. „Die Verletzung war sehr hart. Ich muss Schritt für Schritt gehen“, sagt der Mittelfeldspieler, der vor der Saison vom spanischen Club UD Las Palmas zum HSV gewechselt war, um seine Karriere wieder in Schwung zu bringen. Stattdessen musste er nur wenige Wochen nach dem Wechsel um die Fortsetzung seine Karriere fürchten. Die schlimmsten Tage sind nun vorbei. Weil er nach seiner Verletzung eine große Unterstützung erfahren hat – vom HSV und von seiner Freundin. „Jeder gibt hier 100 Prozent für mich. Dafür bin ich sehr dankbar.“

Jairos Freundin erfuhr im Internet vom Unfall

Jairo erinnert sich, wie er am 23. August noch vor der Diagnose ins Krankenhaus gefahren wurde und sich bei Carmen meldete. Er habe Pro­bleme mit dem Knie und müsse untersucht werden, sagte er ihr. Er wusste bereits, dass es eine äußerst schwere Verletzung war. Aber er wollte es seiner Freundin vorsichtig vermitteln, um ihr keine großen Sorgen zu bereiten.

Doch über das Internet hatte Carmen schon von dem schweren Trainingsunfall erfahren. Eigentlich wollte sie an diesem Tag das erste Mal mit Jairo zum Deutschunterricht beim HSV fahren. Die Frauen und Freundinnen der Spieler sind eingeladen, an den Kursen teilzunehmen. Doch statt in den Volkspark fuhr sie ins UKE. Von diesem Moment an wurde sie für Jairo zum größten Helfer. „Es ist das Wichtigste, dass Carmen bei mir ist in dieser Zeit. Ich konnte nichts mehr alleine. Alleine hätte ich das vielleicht nicht geschafft. Sie hilft mir, positiv zu bleiben.“

Carmen lernt mit Bates und dessen Freundin

Auch für die 23 Jahre alte Spanierin änderte sich das Leben. Die Jurastudentin verbrachte die ersten Wochen fast ausschließlich damit, ihren Freund umherzufahren. „Ich musste Carmen viel um Hilfe bitten. Das war gar nicht so einfach. Auch für sie war es nicht leicht. Sie ist viel alleine und muss viel auf mich warten.“ Dafür hat auch Carmen beim HSV neue Freunde gefunden. Drei Wochen nach der Verletzung begannen beide nachträglich mit dem Deutschkurs. Als Anfängerin geht Carmen in eine Gruppe mit David Bates und dessen Freundin. Jairo, der fast drei Jahre in Mainz spielte, lernt in der Fortgeschrittenen-Gruppe mit Léo Lacroix. „Es ist wichtig, dass der HSV uns Frauen mit einbindet. Dann geht es auch den Jungs besser“, sagt Carmen und lacht.

Die beiden hatten sich nach der Operation entschieden, für die ersten Monate der Reha in Hamburg zu bleiben. „Um weiter ein Teil des Teams zu sein“, sagt Jairo. Im Dezember plant er, mit Carmen für mehrere Wochen in die Heimat nach Kantabrien zu fliegen. Hier lernten sie sich vor acht Jahren in Jairos Heimatdorf Cabezón de la Sal kennen. Freunde hatten sie verkuppelt. Die Familie lebt noch dort. „Es ist gut für den Kopf, in der Nähe meiner Familie zu sein“, sagt Jairo, der seine Reha in Spanien fortsetzen wird. Im Januar reist der HSV zum Trainingslager in spanische La Manga. Dann will Jairo wieder beim Team sein.

Jairo entwickelt neue Ideen für den HSV

Sportchef Ralf Becker hatte kürzlich signalisiert, eine Lösung finden zu wollen, um Jairo über das Vertragsende im Sommer 2019 hinaus beim HSV zu halten, damit er möglicherweise noch mal im Volkspark spielen kann. „Ich vermisse den Fußballplatz. Aber ich mache mir keinen Druck. Ich bin zufrieden, wenn die Schritte so laufen wie geplant“, sagt der verletzte Flügelstürmer.

Beim HSV hat Jairo mit seiner positiven Einstellung Eindruck hinterlassen. Noch unter Christian Titz entstand die Idee, ihn im Trainerteam einzubinden. Jairo bekam Zugang zum Videoscouting-System. Seitdem kümmert er sich darum, aus Spielen aller Ligen Standardsituationen zu analysieren und neue Ideen für den HSV zu entwickeln.

Diese will er demnächst dem Videoanalysten Alexander Hahn und dann auch dem neuen Trainer Hannes Wolf vorstellen. „So bleibe ich nah am Team, habe etwas zu tun und kann den Jungs sogar helfen. Das ist wichtig“, sagt Jairo und ergänzt mit einem Lächeln: „Ich muss ja für einen neuen Vertrag als Co-Trainer arbeiten.“ Man nimmt ihm ab, wenn er sagt, dass er seinen Humor und seine Zuversicht nicht verloren hat.