Hamburg. Der neue HSV-Trainer kämpfte sich durch Dortmunder Niederungen bis ganz nach oben. Dann kamen Jürgen Klopp und eine Frau.
Wer am Mittwochmorgen versuchte, sich im Volkspark auf die Spur von Hannes Wolf zu begeben, der brauchte entweder sehr gute Augen oder ein sehr gutes Fernglas. In seiner ersten Einheit als neuer HSV-Trainer gewährte Wolf den Zuschauern keinen Einblick in seine Übungsformen. Was daran liegt, dass der Club zwei Tage vor einem Spiel – am Freitagabend (18.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) gastiert der HSV beim 1. FC Magdeburg – immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert. Doch auch aus der Ferne ließ sich erkennen, dass Wolf in seiner Art des Fußballs vor allem auf eines achtet: alles.
Mit einem freundlichen „Guten Morgen zusammen“ war Wolf um 10.55 Uhr die Treppe zum Trainingsplatz hinabgestiegen, die in den vergangenen Jahren schon so viele Trainer hinabgestiegen waren. Immer mit der Hoffnung verbunden: Ab jetzt wird alles besser. Ab jetzt wird alles anders. 20 Minuten durften die Medien das Aufwärmprogramm verfolgen, ehe der HSV die Tore schloss, um sich in Ruhe auf das Spiel in Magdeburg vorzubereiten.
Wolf stellt den Menschen in den Vordergrund
Was aber wird Wolf in Hamburg alles anders machen, damit zumindest einiges besser wird? Wer sich auf die Spur des 37 Jahre alten Trainers begibt, der landet immer wieder bei Heiner Brune. Der 68-Jährige gilt als Entdecker von Hannes Wolf. Im Frühjahr 2006 suchte der damalige Vorsitzende des Bezirksligisten ASC Dortmund einen Stürmer. Brune hörte von Wolf, der damals in Schwerte als Spielertrainer bei der SG Eintracht Ergste arbeitete. Brune beobachtete Wolf undercover bei einem Training. „Ich war begeistert, wie Hannes eine Mannschaft in der untersten Klasse organisiert hatte. Denn dort spielen ja eigentlich nur Hobbykicker“, erzählte er später einmal.
Die HSV-Trainer seit 2008
Brune holte Wolf zum ASC nach Dortmund, und dieser krempelte den Club um. Zusammen stiegen sie zweimal bis in die Westfalenliga auf. Zwischen Brune und Wolf entwickelte sich ein Vater-Sohn-Verhältnis. Noch heute halten sie Kontakt. Immer wieder schwärmte der Entdecker in den vergangenen Jahren von seinem Schützling. „Hannes ist ein äußerst respektvoller Mensch. Er stellt immer den Menschen in den Vordergrund. Es gab durch Hannes plötzlich eine neue Kultur bei uns, was den Umgang mit den Fans, den Gegnern und den Schiedsrichtern angeht. Eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung“, sagte Brune über Wolf.
Unterschiedliche Spielideen
Die Zeit im Aplerbeck sollte den heutigen HSV-Trainer auf den entscheidenden Karriereweg bringen. Im Januar 2009 wurde Wolf wegen seiner Erfolge mit dem ASC zu Dortmunds „Sportler des Jahres“ gekürt. Auf der Gala lernte er nicht nur seine Frau Julia (35) kennen, die bei Borussia Dortmund in der Handball-Bundesliga spielte und mit der er heute zwei Töchter hat, sondern auch Jürgen Klopp. Der damalige BVB-Trainer war als Ehrengast vor Ort und wurde auf Wolf aufmerksam. Klopp holte sich dessen Handynummer und rief ihn zwei Wochen später tatsächlich an. Es dauerte nicht lange, ehe Wolf zum BVB wechselte.
Zunächst wurde er Co-Trainer der Regionalligamannschaft, ehe er zwischen 2011 und 2016 mit der B- sowie der A-Jugend der Borussia drei deutsche Meisterschaften gewann. Wolf ließ sich nebenbei sowohl von Klopp inspirieren als später auch von dessen Nachfolger Thomas Tuchel. Von den beiden heutigen europäischen Toptrainern lernte er ganz unterschiedliche Spielideen: Klopps aggressives Pressingsystem, Tuchels dominanten Ballbesitzfußball. Mit Klopp, den Wolf zuletzt im Trainingslager des FC Liverpool am Genfer See besuchte, verbindet ihn noch heute ein „freundschaftliches Verhältnis“.
Freund der klaren Ansprache
Auf seinem Weg zu den Titeln mit dem BVB-Nachwuchs traf er im Finale der B-Jugend-Meisterschaft 2005 auch auf den heutigen Schalker-Trainer Domenico Tedesco, der zu diesem Zeitpunkt noch die U 17 des VfB Stuttgart betreute. Dortmund gewann das Endspiel mit 4:0. Beobachter von damals beschreiben die beiden als ähnliche Typen, zumindest an der Seitenlinie: emotional, direkt, kommunikativ.
Nach seinem Wechsel zu den Profis des VfB Stuttgart im Sommer 2016 sollte Wolf sich ein wenig verändern. Ein Zampano oder Rumpelstilzchen sei er nicht gewesen, sagen Wegbegleiter aus Stuttgart. Dafür ein Typ, der nach außen immer einen freundlichen Eindruck erweckte, nach innen aber mit einer klaren Ansprache überzeugte. Wolf habe keine Scheu gehabt, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen und erfahrene Spieler mal auf die Bank zu setzen, wenn es sein Matchplan erforderte. Für einen klaren Spielstil stand Wolf weder in Dortmund noch beim VfB Stuttgart.
Im Sommer sagte Wolf eine Stelle beim BVB ab
Doch das erwartet beim HSV auch keiner von ihm. Wolf soll Spiele gewinnen und – wie mit dem VfB – den Aufstieg schaffen. Die Bosse um Sportvorstand Ralf Becker, der Wolf einst schon zu Holstein Kiel holen wollte, vertrauen ihm aufgrund seiner Erfahrungen in der Zweiten Liga. „Der Fußball ist anders als in der Bundesliga. Du musst vor jedem Spiel zutiefst Respekt haben. Dafür brauchst du immer 100 Prozent, Power und eine mentale Schärfe“, sagte Wolf bei seiner Präsentation in Hamburg.
Um eine neue Herausforderung wie den HSV anzunehmen, sagte Wolf im Sommer sogar eine Rückkehr zu Borussia Dortmund ab. Der BVB hatte Wolf eine Stelle als Co-Trainer von Lucien Favre angeboten. Doch Wolf wollte lieber Chef bleiben. „Ich war nicht überzeugt, dass ich in der Rolle zu 100 Prozent helfen kann. Noch so einer, der so viel Energie hat, der die Leute verrückt macht und Vollgas geben will, das wäre eine andere Rolle gewesen“, sagte Wolf erst kürzlich.
Nun will der Trainer beim HSV Spuren hinterlassen. Er will mit seiner neuen Mannschaft die gesamte Palette an Spielsystemen beherrschen. Seine Ideen könnten Spuren von Klopp, Tuchel oder auch Tedesco enthalten. Vor allem aber will er in Hamburg eines sein: Hannes Wolf.
Vertrauen: Der zuletzt nur als Joker eingesetzte Pierre-Michel Lasogga darf sich Hoffnungen machen, unter Hannes Wolf wieder mehr zum Einsatz zu kommen. In der ersten Einheit des neuen Trainers zählte der Stürmer direkt zur A-Elf und dürfte damit auch im Spiel in Magdeburg gesetzt sein.
Vorhaben: Auch Kapitän Aaron Hunt will in Magdeburg spielen. Der 32-Jährige stand nach seinem Magen-Darm-Infekt am Mittwoch wieder auf dem Platz.