Hamburg/Dresden. In Dresden können die Hamburger Tabellenführer werden. Aber in dem Nachholspiel geht es um viel mehr als nur um Fußball.
Am Montag war beim HSV vieles wie an jenem geschichtsträchtigen Freitag, den 31. August, vor zweieinhalb Wochen. Ein Abschlusstraining am Vormittag, ein kurzes Mittagessen und schließlich die Bahnfahrt nach Dresden, wo der HSV am heutigen Dienstag (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) im Nachholspiel des vierten Spieltags auf Dynamotrifft. Um 14.51 Uhr fuhr der EC179 aus Hamburg ab, und als der Zug schließlich um kurz nach 19 Uhr in Dresden ankam, hofften alle Hamburger vor allem eines: dass nun alles anders werden würde als an jenem 31. August.
„Wir haben nun ein Fußballspiel vor uns, bei dem ich einfach mal hoffe, dass die Menschen daraus gelernt haben, was in der Vergangenheit passiert ist“, sagte HSV-Trainer Christian Titz, bevor er zum zweiten Mal innerhalb von 17 Tagen in den Zug nach Dresden stieg. Zur Erinnerung: Beim ersten Mal wurde den Hamburgern noch vor der Ankunft in Dresden mitgeteilt, dass ihr Spiel am nächsten Tag nicht stattfinden könne, weil sämtliche Polizeikräfte für eine Demonstration von Rechtsradikalen im 78 Kilometer entfernten Chemnitz gebraucht werden würden.
„Wir sind Menschen und keine Tiere“
Titz verurteilte die Geschehnisse, die bis heute ganz Deutschland auf den Kopf stellen, schwer: „Es ist etwas Alarmierendes, wenn so etwas in unserer Gesellschaft passiert“, sagte er. „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Menschen ermordet oder durch die Straßen gejagt werden. Vielleicht sind das jetzt Anlässe, wo wir alle zusammenkommen und uns darüber Gedanken machen, wie wir in Zukunft solche Dinge verhindern können. Denn wir sind Menschen und keine Tiere.“
Der Dresdner Maik, der in sozialen Netzen nur unter dem Spitznamen „Ritter Runkel“ bekannt ist, brauchte an jenem Freitag nicht einmal zwei Stunden, ehe er sich genug Gedanken gemacht hatte. Er könne „zwei Fischköppen eine Übernachtung“ beim noch zu terminierenden Nachholspiel anbieten, schrieb der 39-Jährige, da ja sicher viele HSV-Anhänger auf ihren Übernachtungskosten für das so kurzfristig abgesagte Spiel sitzen bleiben würden. Dann fügte der Systembetreuer noch ein „#sogehtsächsisch“ am Ende seines Tweets hinzu.
Ein kleines Zeichen setzen
Zweieinhalb Wochen später will Ritter Runkel bloß keine zu große Sache aus seiner gut gemeinten Nachricht von damals machen. „Ich wollte einfach nur ein kleines Zeichen setzen“, sagt der Dresden-Fan im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich habe mich damals einfach wahnsinnig darüber geärgert, dass man ein Fußballspiel, an dem alle Freude haben sollten, wegen einer Demonstration von Rechten in Chemnitz absagen musste. Das ist doch die Kapitulation vor den Leuten, die mit den Ängsten der Menschen spielen.“
Aus dem „kleinen Zeichen“ ist innerhalb weniger Tage eine große Aktion geworden, die sich sogar bis zu HSV-Trainer Titz herumgesprochen hatte. Auch er und sein Team hatten 10.000 Euro gesammelt, um den HSV-Anhängern einen Teil der Reisekosten zu erstatten. „Ich habe schon mitbekommen, dass auch viele Dresdner bei der Aktion #Auswärtsbett HSV-Fans eine kostenfreie Übernachtungsmöglichkeit angeboten haben. Viele Dresdner haben ein tolles Zeichen gesetzt.“
Youngster Vagnoman soll von Anfang an spielen
Über das Geschehen abseits des Rasens, das abgesagte Spiel, Chemnitz und die Demonstration der Rechten dürfte somit mehr als genug gesagt worden sein. Da könnte man glatt vergessen, dass der HSV durch das Geschehen auf dem Rasen noch ein weiteres Zeichen setzen könnte. Ein sportliches Ausrufezeichen. Durch einen Sieg in dem Nachholspiel könnte der HSV tatsächlich erstmals in dieser Saison die Tabellenspitze übernehmen. „Diese Liga ist kein Selbstläufer“, versucht Titz vor übertriebener Euphorie zu warnen. „Diese Liga kann sehr unangenehm sein.“
Wie unangenehm die Zweite Liga genau sein kann, konnte man auch am Beispiel Dresden bestens verfolgen. Denn mit dem entlassenen Uwe Neuhaus, Interimsnachfolger Cristian Fiel und nun Neu-Coach Maik Walpurgis hat Dynamo bereits den dritten Trainer dieser Spielzeit. „Wir bereiten uns also schon zum dritten Mal auf eine wahrscheinlich komplett andere Mannschaft vor“, sagt Titz, der bereits Matchpläne für Dresden als Gegner unter Neuhaus und Fiel entworfen hatte.
Mögliche Überraschung
Sein Matchplan für das heutige Spiel könnte nun eine Überraschung bereithalten: Im Abschlusstraining ließ Titz Josha Vagnoman (17) unter den Augen von dessen Vater links vorne in der Startelf spielen. Ebenfalls in der mutmaßlichen A-Elf dabei: „Hattrickser“ Pierre-Michel Lasogga. Neuzugang Hee-Chan Hwang soll sich dagegen zunächst wohl auf der Bank ausruhen.
Aus der Ruhe lässt sich vor allem Ritter Runkel nicht bringen. Sein Tipp: 2:2. Einen HSV-Fan beherbergen wird er übrigens doch nicht. Es hat ganz einfach niemand Bedarf angemeldet. Jetzt will der Dynamo-Fan Geld für ein Projekt für benachteiligte Kinder spenden, die in Dresden ein paar Tage Ablenkung bekommen sollen. „Der Claim #Auswärtsbett“, so sein Fazit, „behält also seine Gültigkeit.“
HSV: Pollersbeck – Sakai, Bates, van Drongelen, Santos – Janjicic – Narey, Hunt, Moritz, Vagnoman – Lasogga. Dresden: Schubert – Dumic, Hartmann, Wahlqvist – Heise, Ebert, Nikolaou, Kreuzer – Aosman, Koné, Duljevic. Defensivtalent Jonas David (18) hat seinen ersten Profivertrag bis 2021 unterzeichnet.