Hamburg. Titz wollte wenigstens am Sonntag spielen. Lasogga hätte bei Dynamo auf der Bank sitzen sollen. Spieler sammeln Geld für die Fans.
Khaled Narey wurde zum Matchwinner. Als es nach einem friedlichen 1:1 aussah, erzielte der torgefährliche Neuzugang aus Fürth den Siegtreffer für den HSV. Anders als in Sandhausen, wo Narey vor drei Wochen einen Doppelpack zum 3:0-Erfolg beigesteuert hatte, verzichtete der 24 Jahre alte Angreifer bei seinem Kopfballtor diesmal auf große Jubelgesten. Der Grund: Statt wie ursprünglich geplant in Dresden spielte die A-Elf der Hamburger im Volkspark gegen ein Reservistenteam, bei dem auch Co-Trainer André Kilian mitkickte.
Einen Tag nach der kurzfristigen Absage des Zweitligaduells bei Dynamo Dresden wollte HSV-Coach Christian Titz im Spielrhythmus bleiben und setzte daher ein internes Testspiel unter der Leitung von Schiedsrichter Tim Kossek an. Dabei ließ er die Elf zusammen, die auch in Dresden beginnen sollte – mit Verteidiger Léo Lacroix für David Bates, aber ohne Pierre-Michel Lasogga, der die zwischenzeitliche Führung für das B-Team erzielte.
Der Doppeltorschütze beim jüngsten Sieg gegen Bielefeld (3:0) hätte in Dresden nur auf der Bank gesessen, wie Titz im Anschluss bestätigte. „Wir werden die Mannschaft immer so aufstellen, wie es am besten gegen den Gegner passt“, erklärte der Coach seine Planspiele.
Lasogga sollte als Joker kommen
Titz hatte vor, seinen bulligen Stürmer als Joker zu bringen. Lasoggas Kumpel Aaron Hunt sollte stattdessen in der Spitze beginnen. „Pierres Qualitäten wären sicherlich auch in Dresden sehr gut zur Geltung gekommen. Die Frage ist nur, wann. Das Spiel gegen Bielefeld hat gezeigt, dass ein Stürmer wie er große Qualitäten hat, wenn du einen Gegner müde gespielt hast und wir viel häufiger in die Box reinkommen“, sagte Titz.
Volkspark statt Dresden: HSV führt Spielersatztraining durch
Neben Lasogga hätte der HSV-Trainer noch mit weiteren Personalwechseln überraschen wollen. Vasilije Janjicic sollte im Mittelfeld-Zentrum an der Seite von Lewis Holtby beginnen. Alleiniger Abräumer vor der Abwehr wäre wie erwartet Matti Steinmann gewesen, Neuzugang Orel Mangala dagegen nur Ersatz.
Titz kritisiert Zeitpunkt der Spielabsage
Doch das beherrschende Thema am Sonnabend im Volkspark war nicht Titz’ geplantes Aufstellungspuzzle für die Partie in Dresden, sondern die Hintergründe der Spielabsage durch die DFL auf Bitten des sächsischen Innenministeriums.
„Ich finde es schade, dass wir nicht gespielt haben und möglicherweise hätte man es anders planen können“, sagte Titz, der den späten Zeitpunkt der weitreichenden Entscheidung kritisierte. „Ich glaube, man hätte verhindern können, dass wir und die Fans erst anreisen.“
HSV wollte Partie auf Sonntag verlegen
Nach dem Mord an einem 35-Jährigen am Rande eines Stadtfestes in Chemnitz vor einer Woche waren an diesem Sonnabend vier Demonstrationen in Chemnitz angemeldet worden. Wegen der Sicherung dieser Versammlungen, bei der auch Rechtsextreme erwartet wurden, forderte das sächsische Innenministerium alle verfügbaren Polizeikräfte des Bundeslandes an – und bat deshalb um die Verlegung der Zweitligapartie in Dresden. Nach etwas Gegenwehr kam die DFL der Bitte schließlich nach.
Die Bitte des HSV, das Spiel auf diesen Sonntag oder Montag zu verlegen, blieb dagegen unerfüllt. „Wir haben keine Begründung bekommen, warum das nicht möglich war“, sagte Titz, der mit seiner Mannschaft für ein Abendessen in Dresden blieb und anschließend mit dem Bus zurück in die Hansestadt fuhr.
Titz’ Appell an die Gesellschaft
HSV-Supporters-Chef Tim-Oliver Horn bezeichnete die Spielabsage als „Armutszeugnis“. Auch Titz gestand, dass die Entscheider damit vor den Demonstranten kapituliert hätten, stellte aber auch klar: „Die Sicherheit zu gewährleisten, genießt oberste Priorität.“
Der HSV-Coach holte kurz Luft und setzte schließlich zu einem bemerkenswerten Appell an die Gesellschaft in Deutschland an. „Ich finde es bedenklich, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ermordet und gejagt werden. Menschen sollten sich nicht wie Tiere verhalten. Ich will in einem Land leben, in dem ich mich wohlfühle“, sagte Titz.
Für die Zukunft hat der Kurpfälzer daher nur einen Wunsch: „Ich würde mich freuen, wenn nun Lösungen präsentiert werden, damit so etwas (die Spielabsage; Anm. d. Red.) in Zukunft nicht noch einmal passiert.“
HSV-Spieler sammeln Geld für Fans
Als Erklärung, warum die Partie in Dresden weniger als 19 Stunden vor dem Anpfiff abgesagt wurde, gab das sächsische Innenministerium auf Nachfrage an, dass man die genaue Dimension der Demonstrationen in Chemnitz zunächst nicht überblickt habe. Zu der Einschätzung, dass eine fünfstellige Teilnehmerzahl erwartet werde, sei man erst im Laufe des Freitags gekommen.
Leidtragende dieser verspäteten Annahme waren vor allem die Fans. Viele hatten sich zum Zeitpunkt der Absage bereits auf den Weg nach Dresden gemacht, andere hatten ihr Bahnticket bereits gebucht und bleiben nun auf ihren Kosten sitzen.
Deshalb hat sich der HSV eine besondere Form der Entschädigung einfallen lassen. Die Spieler werden Geld sammeln und es der Fanbetreuung des Vereins übergeben. „Die können dann entscheiden, wie das Geld eingesetzt wird, damit wir wenigstens einen Teil der Kosten des einen oder anderen auffangen können“, sagte Titz, der an diesem Wochenende zuschauen muss, wie die Konkurrenz in der Tabelle vorbeizieht. „Wir haben nun einen kleinen Nachteil und hoffen, die Partie so schnell wie möglich nachholen zu können. Wir wollen nicht punktemäßig hinterherlaufen, ohne etwas dafürzukönnen.“
Derby-Ärger wegen Nachholspiel?
Ein sportlicher Nachteil könnte für den HSV auch deshalb entstehen, weil die Neuansetzung nur in Form einer englischen Woche möglich ist. Dem Vernehmen nach soll nun zum Anfang dieser Woche ein Nachholtermin bekanntgegeben werden, als wahrscheinlich gilt die Woche zwischen den Heimspielen gegen Heidenheim und Regensburg. Das wäre aus HSV-Sicht insofern ärgerlich, als dass man ausgerechnet vor dem Stadtderby gegen St. Pauli (30. September) in 15 Tagen fünf Spiele absolvieren müsste. „Natürlich ist das für unsere Regenerations- und Trainingsplanung nicht optimal, aber wir nehmen es jetzt so hin“, sagte Titz.
Bei einem dann unvermeidbaren Dreitagesrhythmus könnten die Hamburger allerdings auch von ihrem breiten Kader profitieren. Spieler wie Lasogga dürften dadurch zu mehr Einsatzzeit kommen. Und auch Neuzugang Hee-chan Hwang stünde bei einem Nachholtermin, der voraussichtlich auf den Oktober fallen wird, zur Verfügung.
Geplante A-Elf des HSV in Dresden: Pollersbeck – Sakai, Lacroix, van Drongelen, Santos – Steinmann – Narey, Janjicic, Holtby, Ito – Hunt.