Hamburg. Sachsen lässt Partie in Dresden absagen, weil alle Polizisten in Chemnitz gebraucht werden. Fans bleiben auf Kosten sitzen.

Es war kurz nach 18 Uhr am Freitagabend, als die mediale Bombe platzte: „Auf Weisung des Staatsministeriums des Inneren des Landes Sachsen hat die Deutsche Fußball Liga (DFL) heute das für den morgigen Sonnabend geplant gewesene Spiel der Zweiten Bundesliga zwischen der SG Dynamo Dresden und dem Hamburger SV abgesagt“, teilte die DFL in einer nüchternen Pressemitteilung via E-Mail mit.

Drei Sätze, 77 Wörter, 543 Buchstaben – und nur eine Nachricht, die es aber in sich hatte: Der Rechtsstaat wurde von den sich androhenden Krawallen in Chemnitz, 74 Kilometer von Dresden entfernt, in die Knie gezwungen. Die DFL schrieb: „Hintergrund ist eine Verfügung des Staatsministeriums, dass aufgrund von Demonstrationen in Chemnitz am Sonnabend für das Spiel in Dresden vorgesehene Polizeikräfte dort nicht zur Verfügung stehen können. Die DFL bedauert die Absage, respektiert gleichwohl die Entscheidung des Staatsministeriums des Innern.“

HSV fuhr umsonst nach Dresden

Nichts anderes blieb auch dem HSV an diesem unrühmlichen Freitag übrig. Die Mannschaft von Trainer Christian Titz hatte erstmals von einer möglichen Absage bereits am Nachmittag erfahren, als die Hamburger noch immer im Zug nach Dresden unterwegs waren.

So machte die Pressekonferenz des sächsischen Polizeipräsidenten Jürgen Georgie (61), der sich am Nachmittag für die sofortige Absage des Spiels ausgesprochen hatte, auch im ICE von Hamburg nach Dresden schnell die Runde. „Wir müssen auch unter Abwägung aller dieser Umstände berücksichtigen, dass die Kräfte, die wir in Chemnitz brauchen, Auswirkungen auf andere Ereignisse haben werden“, hatte Georgie gesagt. Und weiter: „Für den Freistaat Sachsen haben wir darum gebeten, die Begegnung zwischen dem HSV und Dynamo Dresden zu verlegen.“

DFL wehrte sich gegen Spielabsage

Kurze Zeit und hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen später waren Fakten geschaffen. Dabei hatte sich nach Abendblatt-Informationen bis zuletzt die DFL gegen die Spielabsage gewehrt – allerdings ohne Erfolg. Noch bevor der HSV-Tross wie erwartet um 19.10 Uhr am Dresdner Hauptbahnhof ankam, hatten sich das sächsische Innenministerium, die Stadt Dresden, der Deutsche Fußball-Bund DFB und auch die DFL auf die historische Spielabsage verständigt.

„Natürlich hätten wir gerne morgen in Dresden gespielt und sind sportlich vorbereitet gewesen, entsprechend enttäuscht sind wir von dieser Absage“, sagte Vorstandschef Bernd Hoffmann, der wie ein Großteil der HSV-Anhänger bereits am Nachmittag in Dresden eingetroffen war. „Aber wir müssen wie unsere Gegner der Anordnung des sächsischen Innenministeriums folgen.“

Becker kritisiert Spielabsage

Etwas weniger diplomatisch drückte es Hoffmanns Vorstandskollege Ralf Becker aus. „Das ist schon ein Wahnsinn. Ich finde es extrem unglücklich, dass man zu dieser Entscheidung am Freitagabend gekommen ist. Das hätte man anders regeln müssen“, sagte der Sportchef, der auf dem Weg nach Dresden in Berlin umdrehte und mit dem Privatwagen wieder direkt zurück nach Hamburg reiste.

Die Mannschaft fuhr vom Dresdner Hauptbahnhof ins Mannschaftshotel, wo sie sich nach dem Abendessen entschied, noch am späten Abend mit dem Bus nach Hamburg zurückzufahren. Statt des Spiels ist jetzt für Sonnabendmittag ein Training im Volkspark angesetzt. „Es tut mir unendlich leid für unsere Fans, dass sie umsonst all diese Mühen auf sich genommen haben. Wir sind genauso wie sie sehr enttäuscht über die Spielabsage“, sagte Trainer Christian Titz.

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Warum das Spiel nicht eher abgesagt wurde

Bei vielen Fans sorgte vor allem der späte Zeitpunkt der Absage für Frust. „Wir haben erst im Laufe des Tages die Dimension überblickt. Die Teilnehmerzahl der Versammlungen in Chemnitz stieg rasant in den fünfstelligen Bereich“, sagte ein Sprecher des sächsischen Innenministeriums. Eine frühzeitigere Empfehlung, das Spiel zu verlegen, sei deshalb nicht möglich gewesen. „Wir bitten alle Betroffenen um Verständnis.“

„Katastrophe“: Supporters-Chef entsetzt

Noch gar nicht erst losgefahren war Supporters-Chef Tim Oliver Horn, der allerdings trotzdem keinerlei Verständnis für die Entscheidung des sächsischen Innenministeriums aufbringen wollte. „Es ist eine Katastrophe für viele Fans – vor allem für junge Leute –, die jetzt auf ihren Kosten sitzen bleiben“, schimpfte Horn, der selbst für 5 Uhr morgens an diesem Sonnabend die Hinfahrt nach Dresden gebucht hatte. „Viele Bahnkarten sind schon gebucht, einige sind auch schon da. Die Fans bleiben auf ihren Kosten sitzen“, sagte der Supporters-Chef.

Nach Abendblatt-Informationen sollen Bahnkarten bei einem Nachholtermin tatsächlich keine Gültigkeit mehr haben, obwohl die Fanbeauftragen des HSV in den kommenden Tagen genau hierüber mit der Bahn noch einmal in Verhandlung treten wollen. Auch eine Erstattung der Kosten für die Eintrittskarten soll nicht möglich sein, teilte Dynamo Dresden auf der eigenen Homepage mit. Klar ist demnach nur: Ein Nachholtermin kann frühestens nach dem nächsten Heimspiel gegen Heidenheim (15.9.) angesetzt werden, weil die kommenden beiden Wochen durch Länderspiele blockiert sind.

Horn wird voraussichtlich zum Nachholspiel fahren, glücklich wird ihn die Neuterminierung aber nicht machen. „Das Spiel weniger als 16 Stunden vorher abzusagen, ist total absurd, wirklich unfassbar“, sagte der Chef einer Agentur, der nun am Sonnabend arbeiten wird statt Fußball zu gucken. Sein Schlusswort: „Es ist ein Armutszeugnis, dass in Dresden kein Fußballspiel stattfinden kann, weil es in Chemnitz eine Demons­tration gibt. Das ist eine Kapitulation vor den Demonstranten.“